01. Das Gift des Scheckenlöwen
01. Das Gift des Scheckenlöwen
in Sommer 525 07.09.2015 12:30von Glacies Citris • Herzog | 15.151 Beiträge
Es war ein ungewöhnlich grauer Sommertag, an dem Kalas den Jahrmarkt bereits im sechsten Jahr aufsuchte.
Wolken verhängten den Himmel, ließen nur trübes Sonnenlicht hindurch, Farben erschienen matt und gräulich - selbst das satte, dunkle Blau von Madeens Zelt.
Trist hätte Kalas diesen Tag genannt, wäre sein Herz nicht leicht und voller Vorfreude gewesen. Voller Sehnsucht nach Madeens Gesicht, den hübschen Augen, den sanften, geschickten Händen. Sehnsucht, die nun endlich wieder erfüllt werden würde.
Ein warmes Lächeln umspielte Kalas’ Lippen, als er die Plane am Eingang zurückzog und ins Zelt trat.
Das weißliche Pulver verschmolz sofort bei Kontakt mit dem kalten Tee, wurde zu einem Strudel und löste sich auf als würde es nicht existieren. Madeen grinste breit. Die Idee war spontan gekommen und hatte sich festgesetzt, er würde nicht mehr davon los kommen, bis er es ausprobiert hätte.
Gerade als er den Löffel aus der gläsernen, kleinen Tasse genommen hatte, seinen eigenen Tee umrührte, da wurde die Plane seines Zeltes auf gerissen und Kalas trat ein. Das Opfer von Madeens fixer Idee.
"Lord Dewside. So eine Überraschung." Spöttisch lächelte Madeen, ehe er eine Handgeste beschrieb und den.... Aufgepeppten Tee näher an die Kante des Tisches schob. "Meine Kristallkugel hat mich gar nicht vorgewarnt. So was aber auch."
"Vielleicht hättest du besser deine Münzen gefragt", erwiderte Kalas schmunzelnd. Er streifte Mantel und Stiefel ab, setzte sich gegenüber von Madeen hin, legte artig seine wohlgehütete Goldmünze auf den Tisch. "Die hätten dich vielleicht besser gewarnt."
"Nächstes Mal." Madeen grinste und nippte an seinem eigenen Tee. Mit Argusaugen beobachtete er Kalas, unterdrückte mit äußerster Selbstkontrolle jede unnötige Bewegung, jede Vorfreude. "Ich nahm mir die Freiheit den Tee zu zuckern. Andernfalls ist er ungenießbar."
"Nun, dann will ich deine Mühe würdigen", bemerkte Kalas und griff nach der Tasse, nippte an dem Tee. Er schmeckte ... interessant. Merkwürdig. Nicht unbedingt schlecht, aber doch sehr fremdartig. Und süß.
"Eine neue Sorte?", fragte er mit hochgezogenen Brauen und nahm einen weiteren, etwas größeren Schluck. Er konnte sich nicht entscheiden, ob er diesen Geschmack mochte oder nicht.
"Sehr neu." Madeen versteckte sein Gesicht hinter der kleinen Tasse, ehe sein breites Grinsen alles verdarb. Sein Tee, ungesüßt, rann seine Kehle hinab und dennoch... Madeen konnte sich kaum noch zügeln.
"Ich merke es."
Kalas nahm einen weiteren, noch tieferen Schluck.
Nein, er konnte wirklich nicht behaupten, das Getränk besonders schmackhaft zu finden, aber er wäre sich selbst undankbar vorgekommen, Madeen das zu sagen. Also trank er höflich weiter und hoffte, dass er ihm keine zweite Tasse anbieten würde.
"Mei, man könnte meinen, ich verlange Euren Tod durch Gift", kicherte Madeen, setzte seine Tasse -sie war leer - ab. Er legte die Hand auf Kalas ' Tasse, verhinderte dass dieser den letzten Rest trank und lehnte sich vor. "Soll ich Euch diesen ach so garstigen Geschmack austreiben?"
"Nun, das würde ich nicht ablehnen", erwiderte Kalas mit einem ertappten Lächeln.
Er beugte sich seinerseits vor, streckte die Hand nach Madeen aus und berührte seine Wange.
"Wollen wir nach hinten gehen?"
Er überraschte sich selbst mit seinen Worten. Sonst gelang es ihm schließlich recht gut, nicht ungeduldig zu werden, eine Einladung abzuwarten.
Aber heute ... heute erschien Madeen ihm besonders anziehend, heute konnte er es kaum erwarten.
"So stürmisch, das kennt man gar nicht von Euch." Madeen grinste breit und lehnte sich vor, ließ die Berührung zu, doch gab keine klare Antwort. Ihm war nach spielen zu mute, nach ärgern und necken.
"Stört dich das etwa?", fragte Kalas mit ungewöhnlich rauer Stimme.
Er wollte heute nicht spielen, Ungeduld kroch unter seine Haut, wie er sie selbst kaum von sich kannte. Er stand auf und umrundete den Tisch, nur um sich neben Madeen niederzulassen und ihn zu küssen.
"Bitte", raunte er, "ich habe ein Jahr gewartet."
Madeen lachte rau und dunkel, ließ den Kuss zu, doch sobald er endete, lehnte er sich zurück. Sein Blick war herausfordernd, neckend.
"Und ich nicht?"
"Man könnte meinen, du hättest es nicht."
Zumindest schien er nicht so sehr vom Verlangen getrieben zu sein wie Kalas, obwohl normalerweise doch er der weitaus leidenschaftlichere von ihnen war.
"Wir haben nur so wenig Zeit", murmelte er und versuchte, zu überzeugen, strich mit den Händen lockend Madeens Leib entlang. "Wir sollten sie nutzen."
Madeen lächelte. Er mochte die Tapferkeit, beinahe Verzweiflung die Kalas unter Einfluss des Pulvers an den Tag legte.
Also lehnte er sich vor, schlang die Arme um dessen Nacken, küsste und knabberte neckend an dessen Hals.
"Einverstanden ~"
Erleichtert lachte Kalas und küsste Madeens Stirn, ehe er ihn erst auf die Füße, dann mit sich in den hinteren Teil des Zeltes zog. Und kaum dass sie beide sich inmitten des Berges an Kissen niedergelassen hatten, der Madeens Bett darstellte, war er auch schon damit beschäftigt, ungeduldig an seiner Kleidung zu nesteln. Küsse und Streicheleinheiten, danach sehnte er sich jetzt nicht, wilde Begierde verschleierte Kalas’ Gedanken, ließen ihn nur ein einziges Ziel anstreben. Und jede Sekunde, die verstrich, ohne dass er bekam, was er wollte, machte es schlimmer.
"Lass mich -", Madeen konnte nicht mal zu Ende sprechen, da erklang schon das Reißen von Stoff, die Riemen, welche seine Robe hielten fielen nutzlos, mit gerissenen Saum hinab, entblößten Madeens Leib. "Egal."
"Es tut mir leid", antwortete Kalas und schenkte Madeen einen Kuss, der entschuldigend hatte sein sollen, jedoch eher rau und fordernd war. Ungeschickt fingerte er an seiner eigenen Kleidung, zerrte sich das Hemd vom bleichen Oberkörper, ehe er sich seiner Hose widmete, die ihm im Schritt schon so eng vorkam, dass es schmerzte.
Glucksend half Madeen, öffnete die knöpfe von Kalas Hose, zog sie ihm hinab. Dann lehnte er sich auf die Unterarme zurück, lachte. Die Beine angestellt und gespreizt lockte er Kalas mit dem Blick.
Und Kalas nahm an, was ihm geboten wurde.
Er fiel geradezu über Madeen her, packte seine Hüfte, noch ehe er sich von seiner Hose losgestrampelt hatte. Dann zog er ihn an sich, keuchte heiser auf, als er sich gegen sein Becken stemmte und tief in ihn stieß. Das war alles, was er in diesem Moment wollte, alles woran er dachte, nichts als das Stillen dieser grausamen Gier, die mit jedem Moment zu wachsen schien.
Madeen schrie auf, überrascht und gierig nach mehr. Der unterschwellig pochende Schmerz würde schwinden, die Lust nur noch mehr anfachen. Bereitwillig hob Madeen das Becken, ermöglichte Kalas besser, tiefer einzudringen.
Kalas rang nach Luft, krallte sich in Madeens Haut fest, hinterließ unweigerlich dunkle Kratzspuren darauf. Aber er konnte nicht anders. Er erinnerte sich nicht daran, jemals solch große, drängende Lust verspürt zu haben, wie in diesem Moment. Selbst in seiner Jugend, selbst nach langen Pausen nicht. Es überraschte, überrumpelte ihn ein wenig, doch er würde sich erst später Gedanken darum machen. Im Augenblick konnte er das gar nicht, waren seine Gedanken doch unfokussiert und fiebrig, sein ganzer Körper von triebhafter Wollust erfüllt, als dass Kalas auch nur einen Satz im Geist bilden konnte.
Keuchen bewegte er sich auf Madeen, in ihm, küsste seinen Torso, biss ihn auch manchmal - meist fester als beabsichtigt.
Nie hatte Madeen zugelassen, dass seine Kontrolle derart über den Haufen geworfen wurde, nie hatte er zugelassen, dass es seine Haut war, die von Nägeln, Lippen und Zähnen markiert wurden.
Aber für Kalas machte er gerne eine einzigartige Ausnahme. Denn das Gefühl zu brennen, derart gewollt zu werden schmeichelte seinem Stolz, ließ seine Knie weich werden. Und nicht mal das wissen, dass er selbst durch mogeln diesen Zustand wach gerufen hatte, konnte es dämpfen.
Eine Weile genoss Kalas den Rausch.
Ließ sich von der Lust tragen, labte sich an dem schwindelerregenden Gefühl, Madeen so wild und schnell zu nehmen, als wäre es das letzte Mal. Das Feuer in ihm weitete sich immer mehr aus, ließ seine Venen auf eine Weise brennen, wie er sie in diesem Ausmaß nie erlebt hatte.
Und das gefiel ihm.
Bis es zur Qual wurde. Bis der Sinnesrausch nicht mehr intensiver werden konnte, bis Kalas sich fühlte, als würde er jeden Moment vergehen, bis er nur noch davon erlöst werden wollte.
Doch das geschah nicht.
Und egal wie laut er stöhnte, egal wie eng er sich an Madeen presste, egal wie er seinen Namen keuchte - sein Höhepunkt kam nicht.
Geschüttelt von purer Wollust und der unersättlichen Gier nach mehr schlang Madeen die Beine enger um Kalas, selbst dann als sein Glied pochte und sein Körper sich verkrampfte.
Irgendwann wollte Kalas nur noch, dass es endete, auf welche Weise auch immer. Doch Madeen, unersättlich anscheinend, klammerte sich nur fester an ihn, und wann immer Kalas inne hielt, spitze sich diese schmerzliche Gier nur noch weiter zu. Ihm blieb gar nichts anderes übrig, als weiter zu machen, obwohl seine Muskeln protestierten und er längst keine Freude mehr an diesem Akt verspürte. Er hielt sich nicht länger an Madeen fest, stützte sich mit den Ellbogen zu beiden Seiten von ihm ab. Die Küsse versiegten gleichermaßen, er presste die Stirn gegen die braune Brust unter sich, alles andere drohte, ihn in den Wahnsinn zu treiben.
Mechanischer wurden seine Bewegungen, während seine Gedanken davon wanderten, zu allen möglichen Dingen, nur fort von dieser unerträglichen Qual, die scheinbar einfach kein Ende nehmen wollte. Wenigstens war es ein geringer Trost, dass sie es irgendwann musste - entweder, weil sein Körper endlich zur Ruhe kommen, oder er vor Erschöpfung zusammenbrechen würde.
Madeen fand seine Erlösung mit einem unterdrückten Heulen, er stieß ein ersticktes Schluchzen aus und erschlaffte, Kalas mit zittrigen Armen. Er lachte dumpf auf, ein grotesk fröhlicher Laut.
"Bei allen heiligen Gottheiten... ich hätte viel früher auf die Idee mit dem Pulver kommen müssen."
"Pulver?", wiederholte Kalas ächzend und wälzte sich schließlich von Madeen herunter, ließ sich rücklinks in die Kissen fallen. Er war seinem Ziel nicht näher gekommen, das Blut pulsierte noch immer geradezu schmerzhaft zwischen seinen Lenden, drängte ihn, schrie danach, weiterzumachen. Doch mittlerweile pochte es in seinem Schädel und von der stetigen Anspannung schmerzten auch seine Gliedmaßen - das machte es nicht angenehmer, doch es lenkte ihn davon ab, verhinderte, dass er an seinem ungestillten Verlangen erstickte. Er schloss die Augen und legte sich eine Hand auf die Stirn.
"Was ... meinst du damit ...?", brachte er hervor, doch er kannte die Antwort bereits.
Der Tee. Der fremde, süßliche Geschmack.
Er hätte besser wissen müssen, hätte misstrauisch werden sollen.
Aber das war er nicht.
Stattdessen hatte er Madeens Gift bis zum letzten Tropfen getrunken und nicht den Hauch eines Verdachtes geschöpft, nicht einmal dann, als sich sein Empfinden so plötzlich geändert hatte.
"Pulver aus dem Reißzahn eines Scheckenlöwen", murmelte Madeen sanft, rollte sich auf den Bauch und küsste Kalas auf die Brust, fühlte das hämmernde Herz heftig gegen die Lippen.
Die Reißzähne der Scheckenlöwen.
Natürlich.
Kalas hatte einmal davon gelesen, wie die Einheimischen der Selori-Steppe diese zu zermahlen pflegten und als Aphrodisiakum verwendeten. Es war dort anscheinend ein beliebtes Mittel bei älteren Männern oder Frauen, die mehr Schwung ihr Liebesleben bringen wollten. Doch es hatte auch eine dunkle Seite, denn die Kriegerinnen der Stämme waren bekannt dafür, in Kriegszeiten die schönen Jünglinge ihrer besiegten Feinde gefangen zu nehmen, ihnen immer wieder die Substanz zu verabreichen und sich an ihnen zu vergehen, bis sie entweder das Interesse verloren oder die Männer an Erschöpfung starben ...
"So ist das also", wisperte Kalas. Er spürte Madeens Kuss kaum, zwischen Schmerz, Erschöpfung und noch immer brennender Gier war kaum noch Platz - außer für dieses dumpfe, ohnmächtige Gefühl, das aus seinem Magen kam und seinen Hals emporkroch. Er wusste nicht, wie er es einordnen oder was er jetzt sagen sollte. Aber er wusste, dass er nicht länger bleiben wollte. Langsam setzte er sich auf, ließ den stumpfen Blick zu seiner Kleidung wandern und griff danach.
Wäre Madeen nicht trunken und benebelt vom Nachhall dieser göttlichen Lust gewesen, dann hätte er wohl gemerkt, dass etwas nicht stimmte, dass seine Gabe zur Beobachtung ihn in einen Irrweg geführt hatte. So allerdings, tat er nichts weiter, als sanft zu murren, Kalas widerwillig Platz zu machen.
Wortlos und ungeschickt streifte Kalas sein Hemd über, sog scharf den Atem ein, als er seine Hose zuknöpfte, die sich nun eng über sein noch immer stark geschwollenes Geschlecht spannte.
"Ich ... ich gehe jetzt", sagte er schließlich heiser. "Ich fühle mich krank."
Es war mehr die Gewohnheit als irgendein bewusster Gedanke, die ihn dazu veranlasste, im Vorbeigehen die Münze vom Tisch zu nehmen und in die Brusttasche seines Hemds zu stecken.
"Gute Besserung", schnurrte Madeen abwesend, rollte sich in seinem Bett eng zusammen. Seine Augen fielen zu und ehe er sich versah, war er ein geschlummert.
Nachdem er sich irgendwie zurück nach Hause geschleppt, Efren befohlen hatte, bekannt zu geben, dass er sich nicht wohlfühlte und nicht gestört werden wollte, schloss Kalas sich in seinem Zimmer ein. Er musste seine Gedanken ordnen, seine Gefühle, und er wollte dabei allein sein. Er musste dabei allein sein, er konnte nun niemanden um sich ertragen.
Und er konnte nicht schnell genug erneut aus seiner Kleidung schlüpfen und in seinem privaten Badezimmer verschwinden, mit kühlem, reinem Wasser den Schweiß und was sonst noch an seiner Haut klebte, abzuwaschen. Auch die Wirkung des Pulvers ließ nun endlich nach.
Zurück blieb ein zerschundener, verwirrter Lord, der in dieser Nacht kein Auge zu tat, geplagt von dem Gedanken, sich derart benutzen lassen zu haben. Wachgehalten vom hilflosen Zorn, der nach und nach durch seine zitternden Glieder kroch.
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RE: 01. Das Gift des Scheckenlöwen
in Sommer 525 07.09.2015 12:30von Glacies Citris • Herzog | 15.151 Beiträge
Schon früh besuchte Kalas am nächsten Morgen den Jahrmarkt.
Er fühlte sich ausgelaugt vom gestrigen Tag, der schlaflosen Nacht, den Gedanken und Gefühlen, die ihn quälten und ihm keine Ruhe gaben.
Er war noch bleicher als sonst, hatte dicke, dunkle Augenringe und sein im Nacken zusammengebundenes Haar war zerzauster als sonst, als er mit einer weit energischeren Bewegung, als beabsichtigt, die Plane am Eingang von Madeens Zelt aufriss.
Das breite Grinsen wurde aus Madeens Gesicht gewischt, als er höchst unzeremoniell die aufschwingende Zeltplane in eben jenes bekam, fauchend zurück stolperte und sich auf seinen Hintern setzte. Zorn blitzte in seinen Augen auf, ließ sie hell und blau blitzen.
"Was soll das?!"
Es war wohl ein Reflex, der Kalas dazu bewegte, flüchtiges Mitleid zu spüren, sich zu bücken und Madeen aufzuhelfen, während er mechanisch antwortete:
"Entschuldige. Ich habe dich nicht gesehen."
Denn was, außer einem Reflex, konnte ihn in diesem Moment noch dazu bewegen, Mitleid mit diesem Mann zu haben?
Und da war es wieder. Madeens typisches, breites Grinsen, angehaucht von Spott.
"Ah, Lord Dewside." Madeen verneigte sich leicht, doch alles andere als unterwürfig. "Euch sei dies Missgeschick natürlich vergeben und vergessen."
Zum ersten Mal seit vielen Jahren verspürte Kalas den Wunsch, jemandem mit der Faust mitten ins Gesicht zu schlagen. Und zum ersten Mal in seinem Leben fiel es ihm wirklich schwer, diesem Drang nicht nachzugehen. Trotzdem zwang er sich dazu, seinen Zorn zu schlucken. Vielleicht würde er daran ersticken, aber das war ganz sicher besser, als sich in eine blind tobende Bestie zu verwandeln.
"Ich muss mit dir sprechen", antwortete er heiser, anstatt auf Madeens Bemerkung einzugehen, und setzte sich auf seinen üblichen Platz.
Augenblicklich erstarrte Madeen, das Lächeln fiel als Grimasse von seinen Lippen, leer und hohl. In seinen Augen flackerte unterschwellig Furcht und Vorsicht auf.
Kalas trug eine regungslose Maske im Gesicht, während er Madeen eindringlich musterte. Nur seine leicht bebenden Hände gaben einen Hinweis darauf, was sich in ihm abspielte. Dass Madeen trotzdem etwas ahnte, entging ihm natürlich nicht, er hatte es erwartet. Dass es den Wahrsager aber anscheinend derartig überraschte, schmerzte, ja, es schürte seinen inneren Zorn nur noch mehr.
Ruhig und mit untypischer Tonlosigkeit in der Stimme, brach Kalas schließlich das Schweigen:
"Warum?"
"Was glaubst du warum?" Madeen verzog das Gesicht, die vollen Lippen zu einem Fauchen, Angriff, anstelle der Verteidigung. "Es gibt kein Warum. Kein Darum. Keine Antwort. Keines meiner Worte würde dich zufrieden stellen, so ist es doch."
Es war die schlechteste Antwort, die Madeen hätte geben können.
Bei jeder anderen wäre Kalas bereit gewesen, sich in Geduld zu üben, weiter zu sprechen, zu versuchen, ihn zu verstehen, ihm zu verzeihen.
Aber mit diesen Worten brach etwas in ihm und weder sein Geist, noch sein Herz wussten, sich anders dagegen zu wehren, als sich zu verschließen. Sich zurückzuziehen.
"Ich verstehe."
Knapp waren diese zwei Worte, kamen gepresst über seine Lippen.
"Dann hoffe ich", fuhr Kalas fort und diesmal gelang es ihm nicht, das Zittern ganz aus seiner Stimme zu halten, "dass du es gestern genossen hast. Es war das letzte Mal."
Er zog die Münze hervor, die er nun schon seit fünf Jahren aufbewahrte und knallte sie auf den Tisch.
"Aber du hast sicher noch genug Pulver und genug Lords übrig. Und wenn nicht, kannst du dir beides hiervon kaufen."
Er erhob sich, drehte sich um, wollte nur noch fort aus diesem verfluchten Zelt.
Sein Gesicht, sein Ausdruck, alles zerbrach, zerfiel zu tausenden von Scherben, entblößten die Fratze blanker Furcht und Fassungslosigkeit, die Madeen so verzweifelt hatte verstecken wollen. Er griff nach Kalas, erwischte ihn nicht, nur leere, blanke Luft.
In dem Gedränge des Jahrmarkts ging man leicht verloren, man wurde betäubt, blind und in die Knie gezwungen. Madeen schrie wütend, dann verzweifelt. Er sah, hatte Kalas einmal fast, wurde hart um die Brust gefasst und zurückgezogen. Schwerer Dialekt, klobige Arme, ein Kopf mit Glatze schob sich in sein Blickfeld und egal wie sehr er tobte, schrie und am Ende jämmerlich heulte...
Es war NICHT das letzte Mal!
Kalas hörte Madeens Schreie, doch er ging nicht auf sie ein, er versuchte sie auszublenden, zwang sich dazu, alles Gefühl zu verbannen und weiter zu gehen.
An diesem Abend schloss er sich erneut in seinem Zimmer ein, betrank sich mit dem stärksten Wein, den er hatte finden können und fragte sich, wie es möglich war, dass er so dumm hatte sein können, so leichtgläubig und naiv, wie er hatte glauben können, dass er Madeen etwas bedeutete. Wie er sich in ihn hatte verlieben können.
Er fand keine Antworten darauf und weinte sich in den Schlaf.
Einen Tag später kehrte der Husten mit ungeahnter Gewalt zurück.
Eine Woche später wünschte er sich, die Krankheit möge ihn endlich dahinraffen, von seinen Qualen erlösen.
Einen Monat später glich er einem Gespenst, bleich, durchsichtig und abgemagert, mit eingefallenen Wangen und leeren, grauen Augen.
Danach wurde es besser. Seine langsame, vorrübergehende Genesung begann und die Wunde in seinem Herzen begann, eine Kruste zu bilden, dünn und weich noch, doch Kalas wusste, dass sie verheilen würde. Zeit heilte nicht alle Wunden, vermochte aber sehr wohl, sie zu schließen. Zeit ließ vergessen, verdrängen.
So war es immer gewesen.
So würde es auch jetzt sein.
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