01: Sturmnacht
- Gewalt
Tharaniel spürte den schweren Blick eines fremden Beobachters im Nacken. Und egal wie viele Haken er schlug, wie viele Umwege, durch viele Schleichwege, der Schattentänzer wurde den Beobachter nicht los. Er spürte am Rand seiner Wahrnehmung ein kratzen, den Hauch einer Anwesenheit.
Als sein Treiben langsam auffällig wurde, sein Versteckspiel die Wachen unnötig alarmierten, machte er sich Zähne knirschend auf den Weg zurück zum Anwesen seines Herrn.
Herr! Euer Befehl wurde ausgeführt aber jemand ist mir gefolgt!
Die Tür achtlos hinter sich zu knallend hielt Tharaniel sich nicht mit Erklärungen für die verschreckten Diener auf. Stattdessen stürmte er direkt hoch, auf der Suche nach seinem Herrn.
Ich bin den Verfolger nicht losgeworden!
Dem Schattentänzer zu folgen schien für Arahiel die beste Möglichkeit zu sein. Die einzige Alternative. Er hatte seine Möglichkeiten verloren, als er Lucifer in dessen eigenen Blut gefunden hatte. Zorn war die erste, Verzweiflung die nächste Reaktion.
Der gefallene Engel war immer hinter dem Schattentänzer her gehuscht, häufig über die Dächer.
Seine letzte Hoffnung war nun ein neuer Mensch, jemand der ihm eine Zukunft gab, ohne Gitter, triefend von blauer Magie.
Das dunkle Leder seiner engen Hose knirschte, Arahiel sah das hohe Eisentor an, erkannte die spitzen Zaunpfähle. Es brauchte nur einen schnellen schlag roter Schwingen und der gefallene Engel stand in dem Hof. Kurz richtete er seine Kleidung. Das enge Korsett mimte minimale, weibliche Rundungen und verdeckte die freiliegenden stellen seiner Wirbelsäule, ließ aber genug Platz für seine Schwingen um schnell zu erscheinen und zu verschwinden.
Das wilde, feuerrote Haar zu einem unordentlichen Zopf gebändigt, sah Arahiel an der Fassade empor. Sein Schwert sicher in der Schneide an seiner Hüfte, der Umhang kurz genug um nicht zu stören... Eigentlich könnte er über den Balkon in das Haus gelangen. Aber...
Dann sieh zu, dass du ihn jetzt loswirst.
Elliot führte ein Glas blutroten Weins an seine Lippen, während er aus einem Fenster in seinem Zimmer schaute.
Draußen war es stockfinster, als herrsche tiefste Nacht, und der Wind heulte wie tausend Ungeheuer.
Wenn dieses Wetter zu einem gut sein sollte, dann dazu, Verfolger abzuhängen.
Oder hat es einen bestimmten Grund, weshalb du ihn nicht einmal während eines Sturms loswerden konntest?
Ich habe es versucht. Aber...
Tharaniel legte den Kopf schief und kniff die Augen leicht zusammen. Es war noch stärker geworden, dieses Kratzen.
Es scheint als wäre mein Verfolger mir ähnlich.
Auf sein Klopfen reagierte niemand, was Arahiel zu tief frustrierte. Er stöhnte dumpf auf und sah hoch. Der Balkon war nicht so weit über der Erde. Aber der Wind war mörderisch. Dennoch...
Der Feuerengel stieß sich kräftig vom Boden ab, ein starker Flügelschlag beförderte seinen Körper nach oben, ehe der Wind ihn ergriff. Arahiel schrie erschrocken auf, konnte gerade noch die Brüstung des Balkons erfassen. Er verbarg seine Schwingen wieder, doch der fauchende Wind riss ihm eine der feuerroten Schwungfedern aus, trug sie davon.
Fluchend schwang der Engel sich über die Brüstung auf den Balkon.
Vergewissere dich selbst.
Er ist hier.
Es kostete Elliot große Mühe, ruhig zu bleiben und sich langsam umzudrehen, nach draußen zu schauen, wo eine Frau mit langem, roten Haar das Geländer seines Balkons erklomm.
Möglich, dass sie dir ähnlich ist.
Ich muss aber gestehen, dass sie weitaus hübscher ist als du es meistens bist.
Tharaniel hielt sich nicht mit laufen auf, er trat durch die Schatten und schälte sich aus jenem, seines Herrn.
Wer ist das...
Soll ich sie rein lassen?
Arahiel klopfte gegen die Balkontür und schlang die Arme um den eigenen Oberkörper. Der Wind heulte und riss selbst seinen dicken, langen Zopf mit.
Ich kenne sie nicht.
Elliot leerte sein Glas und stellte es auf dem Tischchen ab.
Dann deutete er auf die Tür.
Aber lass sie ruhig rein ... sie sieht nach einem interessanten Gast aus und nicht ungebetener als das restliche Ungeziefer, das du nicht vertreiben konntest.
Tharaniel unterdrückte einen scharfen Kommentar und öffnete stattdessen die gläserne Tür, worauf hin der 'Gast' sofort hinein stolperte.
"Danke, ich dachte schon ich ende auf dem Zaun. ", Arahiel fuhr sich die Locken aus dem Gesicht und sah dann zu dem Schattentänzer, ehe die schwarzen Augen des Feuerengels zu dem Menschen wanderten.
"Ja, ich befürchtete das Gleiche.
Und, hübsch wie Ihr auch seid, Ihr wäret tot auf meiner Brüstung sicher keine Zierde."
Schmunzelnd ließ Elliot seinen Blick über die fremde Frau gleiten.
Sie war schön, auf seltsame Weise, doch auf keine, die er begehrt hätte.
Und ihr ebenes Gesicht, ihre langen Locken und anmutige Haltung konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie zu groß, zu muskulös, nicht weich genug war, als dass er sie zu seinen Errungenschaften hätte zählen wollen.
Eine nahezu maskuline Stärke ging von ihr aus, nicht aber das süße, tödliche Gift, welches Frauen zu eigen war.
"Aber erlaubt mir die Frage, Teuerste, was führt eine Dame wie Euch an einem solchen Tag unter solchen Umständen zu meinem bescheidenen Heim?"
"Dieses Wesen da. ", ohne Scheu deutete Arahiel auf den Schattentänzer, entlockte ihm mit seiner Wortwahl ein entnervtes Fauchen. "Ich dachte, wenn jemand es einstellt, vielleicht hat man auch Arbeit für mich. "
"Ich bin kein es", erwiderte der Dämon, wurde aber gekonnt ignoriert.
Wem willst du denn mit diesen Worten etwas vormachen?
Elliots Augen funkelten Tharaniel nur einen kurzen Augenblick an, ehe sie sich wieder voller Interesse der Fremden zuwandte.
"Nun, es ist interessant, dass Ihr wisst, was es ist.
Interessant, allerdings kann ich nicht behaupten, dass mich dieses Wissen von einer Dame Eures Kalibers nicht sonderlich überrascht.
Meine Neugierte habt Ihr dennoch geweckt."
Der junge Lord ließ sich auf seinem Lieblingssessel nieder, fuhr sich durchs Haar, während er in das dunkelrote Samtkissen sank und fuhr dann fort:
"Erzählt mir: Wer seid Ihr?"
Was macht denn Euch aus? Woran erkennt Ihr, dass Ihr ein Mann sein? Nur weil Ihr von Anfang an einen Körper hattet und ich mir erst welche suchen musste?
Scharf hob sich Tharaniels unterschwelliger Zorn in seinen mentalen Worten hervor. Er stand still wie ein Zinnsoldat und lauerte auf einen Hinweis über den oder die Fremde.
"Zu aller erst, ich erwachte vor einigen Monaten am Strand und konnte mich an nichts als meinen Namen erinnern." Arahiel sah den jungen Adeligen, es musste ein Adliger sein anhand des Hochmuts und der lauernden, Raubtierhaften Intelligenz in den Augen. "Außer meinem Schwert hatte ich nichts mehr bei mir. Mein Name ist Arahiel "
Eben das, Tharaniel.
Elliots Blick ruhte auf der Fremden.
In seinem Gesicht war eine gewisse Faszination zu sehen, wie die, welche man einem fremdartigen Tier entgegenbringen würde.
"Eine interessante Geschichte.
Und nicht sonderlich glaubwürdig."
Seine Stimme klang nicht sonderlich besorgt bei diesen Worten.
"Welche Art von Arbeit habt Ihr im Sinn, Mylady?"
"Ich kann kämpfen. Besser als es hier", erwiderte Arahiel mit spitzer stimme. Er lächelte fast, während der Schattentänzer mit eindeutig aufgeriebenen Nerven auf den Engel reagierte.
Sie scheint dich zu mögen.
"Und warum glaubt Ihr, dass ich jemanden mit derartigen Fähigkeiten benötige?
Oder dass ich nicht in der Lage wäre, jemanden in der Stadt zu finden, welcher die gleichen Dienste unter weniger dubiosen Umständen anböte?"
Elliot musterte die Frau mit einer Mischung aus Spott und Skepsis.
"Oder habt Ihr etwa noch andere ... Dienste anzubieten?"
"Es konnte mich nicht mal in einer Stadt abhängen die wie ein Labyrinth aufgebaut ist." Arahiel zuckte mit den Schultern und verschränkte dann die Arme. "Ich bin weder dubios noch biete ich 'andere Dienste' an."
"Das sind gute Eigenschaften ... bräuchte ich einen Jagdhund."
Elliot seufzte.
"Aber leider habe ich keinen Bedarf nach einem, zumal diese Tätigkeit wohl unter die Kategorie 'anderer Dienste' fallen würde."
"Was bist du? ", zum ersten Mal richtete Tharaniel das Wort an die rothaarige Gestalt. Diese legte den Kopf schief und musterte den Schattentänzer aus schwarzen Augen.
Die Geschichte ähnelt Emilias.
Das ist mir nicht entgangen.
Hältst du diese hier auch für verflucht?
Elliot warf Arahiel ein Lächeln zu.
"Es wäre mir ebenfalls eine Freude, das zu erfahren."
Ich bin mir beinahe sicher.
Tharaniel musterte die rothaarige Frau, so glaubte er, angespannt. Sie hatte ein Schwert, doch nicht gezogen, nicht mal berührt.
"Ich weiß es selbst nicht mehr", erwiderte Arahiel bitter und räusperte sich dann.
Ich wäre ein Lügner, würde ich mich überrascht geben.
Elliots Blick war schwer zu entnehmen, was er von dieser Frau hielt, die er wie ein exotisches Tier betrachtete.
Er wusste einfach nicht, was er von ihr halten sollte.
Doch eine kleine, amüsante Idee tat sich in seinem Kopf auf.
"Wie traurig."
Elliot erhob sich mit einem Lächeln, das seiner Worte Lügen strafte und machte einen Schritt auf Arahiel zu.
"Mylady, ich glaube, es gibt da jemanden, den ihr treffen solltet."
Was geschieht, wenn zwei Verfluchte gemeinsam in einem Raum stehen?
"Ach ja?", Arahiel hoch eine Augenbraue, sah verwirrt zwischen Mensch und Dämon hin und her. Eindeutige Verwirrung, zusammen mit einem Funken an Vorsicht glomm in den schwarzen Augen auf.
Vor allem als Tharaniel sich ein kleines, gemeines Lächeln nicht verkneifen konnte.
Ich bin gespannt auf das Ergebnis, Herr.
Ich bin es nicht sonderlich.
Es geschah auch nicht viel, als nur ich mit einer der beiden zusammen war.
"Oh ja.
Aber seid unbesorgt, meine Liebe.
Es ist niemand, an dem Ihr Eure Kräfte demonstrieren müsstet."
Zumindest ging Elliot davon aus.
Emilias Geheimnis, falls es denn eines war, gehörte sicher nicht der schönen Art an, doch er konnte sie sich beim besten Willen nicht martialisch vorstellen.
"Na gut...", Arahiel dehnte das Wort leicht und legte den Kopf schief, seine Hände ruhten auf dem breiten Gürtel um seine Hüfte. Sie wanderten nicht einmal annähert zu dem Schwert.
"Dann ... dann lass mich wenigstens die Verletzung sehen."
Emilia hockte noch immer zwischen den durcheinandergeworfenen Büchern, direkt neben dem umgestürzten Regal, welches über Indivia zusammengebrochen war, hatte nun aber eine Hand vorsichtig auf dessen Schulter gelegt.
Welchen Beruf auch immer die junge Frau ausgeübt haben mochte, bevor sie ihr Gedächtnis verloren hatte, den einer Ärztin war es sicherlich nicht gewesen. Andererseits war sie überzeugt, dass es nicht übermäßig schwer sein konnte, eine gebrochene Rippe als solche zu identifizieren und Blut würde sie schon noch erkennen.
Zuwider wäre es ihr jedenfalls, den jungen Barden nun einfach sich selbst zu überlassen, war er doch nur ihretwegen auf die Leiter geklettert, hatte nur für sie nach diesem Gedichtband gegriffen, und somit war es auch ihre Schuld, dass er unter lautem Donnergrollen zusammengezuckt war und ein ganzes Regal mit sich herabgerissen hatte.
Fieberhaft suchte Emilia nach einer Möglichkeit, Lord Ashsteel dies zu erklären, ohne dass er wütend werden und seinen Zorn an Indivia auslassen würde. Die Schwierigkeit lag darin, ihn nicht auf sich selbst zu ziehen, denn Emilia glaubte nicht, dass dies ihr wohl bekommen würde. Sie hatte in Lord Ashsteel nicht den Wunsch erkennen können, ihr in irgendeiner Weise zu schaden, doch die offenkundige Faszination, mit der er sie betrachtete, ängstigte sie, zumal sie sich des Eindruckes nicht erwehren konnte, dass er in ihr nicht mehr als einen kurzweiligen Zeitvertreib sah, ein Spielzeug, dessen Funktionen es noch zu ergründen galt.
Und Emilia benötigte ihr Gedächtnis nicht, um zu wissen, was mit Spielzeugen geschah, derer ihr Besitzer überdrüssig geworden war.
"Na gut...", murmelte Indivia leise, ehe er sich ungeschickt, hin und wieder vor Schmerz auf winselnd, die Weste abstreifte. Das grüne, lange Wams folgte gleich darauf. Eine offene Wunde war nicht zusehen, sehr wohl aber der bereits dunkel schimmernde Abdruck, wo eine Querstrebe des Regals seitlich von Indivias Zwerchfell aufgeschlagen war. Er keuchte, sah man genauer hin, konnte man eine kleine Beule sehen, wo Rippenbögen nachgegeben und nach innen gedrückt worden waren. "Sehr schlimm?"
Emilia starrte den bloßen Brustkorb des jungen Mannes stirnrunzelnd an.
Dass eine Rippe so nicht aussehen sollte, war ihr durchaus bewusst, aber was sie mit diesem Wissen anfangen sollte, erschloss sich ihr nicht so recht. Einen Verband würde sie bestimmt improvisieren können, doch würde er nutzen? Oder würde sie es damit noch schlimmer machen?
"Ich glaube nicht ... zumindest nicht besonders", murmelte Emilia und streckte die Hand aus, berührte mit den Fingerkuppen vorsichtig die Haut unmittelbar neben der verletzten Stelle.
"Aber einen Arzt solltest du dennoch aufsuchen ..."
Sie kam nicht dazu, mehr zu sagen, denn just in diesem Augenblick wurde die Tür aufgestoßen und als das Mädchen erschrocken herumfuhr, erblickte sie niemand anderen als Lord Ashsteel, der mit verschränkten Armen und erhobener Braue im Rahmen stand, hinter ihm noch zwei Begleiter, einer bekannt, der andere fremd.
"Wie ich sehe, seid ihr euch näher gekommen", sagte er nach einem langen Moment peinlichen Schweigens mit einem spöttischen Grinsen und belustigtem Funkeln in den Augen. Keine Spur von Ärger war in seinem Gesicht zu lesen, kaum Anspannung in seiner Körperhaltung. Nur diese Fassade aus anzüglichem Humor, mit der er fortfuhr: "Ich hoffe, dass wir nicht stören?"
Schamesröte stieg in Emilias Gesicht und sie zog hastig die Hand zurück, ehe sie sich schnell erhob.
"Ganz und gar nicht, Mylord", brachte sie hervor, wagte nicht, den jungen Mann dabei anzuschauen. "Indivia wurde meinetwegen verletzt. Er benötigt einen Arzt."
Indivia zog sich ruckartig sein Wams über, bewegte sich falsch und schrie beinahe vor Schmerz. Seine Rippen pochten, er bekam kaum Luft und ihm wurde schwarz vor Augen, er schmeckte den fahlen Geschmack von Metall.
"Was wolltet Ihr mir zeigen?", fragte Arahiel verwirrt, musterte das Chaos aus wirr herum liegenden Büchern, eine Flutwelle, die sich über den blanken Boden ergoss. Der gefallene Engel hob eine Augenbraue, als der junge Bursche mit der Blume im Haar bleich wurde, schwankte.
Hier ist es wohl ziemlich wild zur Sache gegangen, Herr.
Ja. Bedauerlich, dass ich nicht anwesend war.
"Ich muss Euch darum bitten, Euch einen Augenblick zu gedulden, Mylady."
Elliot eilte zu der Stelle, an der der Indivia zusammengebrochen war und beugte sich über ihn.
Ruf einen Arzt, Tharaniel.
Meinem Goldkehlchen soll es an nichts mangeln.
Es wirkte nicht wie eine schwerwiegende Verletzung, doch Elliot wollte kein Risiko eingehen.
Dazu hatte er nun doch zu viel Gefallen an diesem jungen Barden gefunden.
Sehr wohl, Herr
Rasch eilte Tharaniel aus dem Raum, trieb einen Botenjungen auf und jagte ihn vor die Tür um einen Arzt zu organisieren, der zu dieser Stunde und bei diesem Wetter verfügbar war.
Sobald der Bursche raus geeilt war, beeilte der Schattentänzer sich zu seinem Herrn zurück zu kehren.
Es ist jemand auf dem Weg.
"Ich warte vor der Tür", erwiderte Arahiel ruhig und ging aus dem Raum, lehnte sich im Flur gegen die Wand und starrte nachdenklich vor sich hin. Die dunkle Präsenz in dem verwüsteten Raum war natürlich nicht von einer einzigen Wand gedämpft, aber er musste ungestört nachdenken. Was war das?
"Ich...es tut mir leid", keuchte Indivia leise, schlang einen Arm um seine Brust. "Ich...werde für den Schaden aufkommen ...irgendwie ... es war meine Schuld."
"Sei doch nicht dumm.
Du bist mittellos, mein Freund."
Elliot streichelte sacht über die Wange des jungen Mannes, lächelte ihn an.
"Werde lieber erst gesund.
Danach können wir immer noch darüber sprechen."
Aus großen, unschuldig anmutenden Augen sah Indivia auf, nickte dann jedoch. Er verzog das Gesicht und atmete gepresst. Sein Brustkorb tat unendlich weh.
Tharaniel - ungesehen war er wieder in den Raum getreten - verlagerte das Gewicht von einem auf den anderen Fuß, schoss tödlich kalte Blicke in Emilias Richtung ab.
"Komm, ich helfe dir in dein Zimmer."
Emilia stand mit gesenktem Kopf in einer Ecke des Raumes, die Hände zusammengelegt, und schaute zu, wie Lord Ashsteel dem jungen Mann aufhalf und stützte.
Sie war fest darum bemüht, den Augen des elfischen Dieners keine Aufmerksamkeit zu schenken, ihn einfach zu ignorieren.
Was leichter gesagt als getan war, wenn er sie anschaute, als würde er jeden Augenblick einen Dolch in ihrer Magengrube versenken ...
"Da-danke!" Keuchend ließ Indiva sich auf den Adeligen, lächelte ihn dankend an. Auch er bemerkte die eiskalten Blicke, mörderischen Blicke vom Diener des Lords. Und schauderte.
"Nicht dafür."
Emilia beeilte sich, ebenfalls mit Lord Ashsteel und Indivia in den Flur zu gelangen, wollte sie doch in keinem Fall mit diesem Diener alleine in der Bibliothek zurückbleiben. Doch sie zögerte, auch das Zimmer des jungen Barden zu betreten, schließlich hatte sie keine Einladung erhalten. Also beschloss sie, vorerst abzuwarten.
Und so kam es, dass sie sich dem anderen Neuankömmling zuwandte, einem Menschen - ob Mann oder Frau konnte sie seltsamerweise nicht so recht festmachen - mit brauner Haut, durchnässtem roten Haar und einem Schwert.
Etwas ging von ihm aus, das Emilia zutiefst beunruhigte und gleichzeitig mit Neugierde erfüllte. Was es war, konnte sie nicht festmachen, musste sich schon Mühe geben, nicht unhöflich zu starren.
Im Gegensatz zu der jungen Frau hatte der gefallene Engel keinerlei Probleme damit, unhöflich zu starren. Aus schwarzen Augen musterte er sie, von den spitzen ihrer hellen Haare bis zum Saum ihres Kleides. Sie hatte eindeutig weibliche Rundungen, etwas das Arahiel nicht mehr lange vor gaukeln konnte. Aber ihre Aura... Sie war...
Irgendwann fühlte Emilia sich dann endgültig unbehaglich.
Der Blick dieser fremden Person machte sie nervös, doch es wäre unhöflich gewesen, einfach fortzulaufen, und auch, einfach Indivias Zimmer zu betreten.
Also schaute sie schließlich auf, ihre blauen Augen trafen dunkle, undurchdringliche, welche in ihr etwas zu sehen schienen.
Und ja, ihr war, als würde sie auch etwas in dieser Person sehen.
"Guten Tag", brach Emilia schließlich das Schweigen und knickste leicht. "Ich bin Emilia."
Arahiel legte den Kopf schief und lächelte dann matt. Er verschränkte die Arme und sah dann den Flur hinab.
"Ich bin Arahiel."
Emilia nickte leicht.
Sie war zu angespannt, um etwas besonders Höfliches zu erwidern.
Stattdessen fragte sie:
"Seid Ihr auch ein Wintergast von Lord Ashsteel?"
"Ich weiß nicht ob", erwiderte Arahiel nur knapp, legte den Kopf schief. Diese Emilia... War sie auch ein gefallener Engel?
"Ah."
Emilia blickte scheu beiseite.
"Ich weiß es auch nicht."
Ihr Blick wurde abwesend, eine Spur von Melancholie und Trauer trat hinein.
Sie war sicher nicht mehr als ein kurzweiliger Zeitvertreib für den Lord, ihre Geschichte und das ungelöste Geheimnis darum für ihn nur eine Möglichkeit, seinen Verstand auf angenehme Weise zu üben, auf die gleiche Weise, wie andere Menschen Schach spielten oder sich Bücher mit Rätseln zu Gemüte führten.
"Ich weiß nicht mal ob ich sowas schon mal gemacht habe", Arahiel winkte ab und streckte sich, er dehnte die Muskeln in seinen Armen und ließ die Gelenke seiner Finger knacken. Langsam könnte der Lord sich aber auch zu einer Antwort aufraffen...
Überrascht blickte Emilia auf.
"Wie meinen?", fragte sie unsicher.
"Unwichtig." Arahiel winkte ab und begann dann unruhig den Gang auf und ab zu gehen.
Tharaniel führte inzwischen den Heiler in das Zimmer des Barden, sobald er das Haus betreten hatte. Indivia lag bleich und mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Bett, atmete flach.
Was der Heiler alles diagnostizierte ging völlig an dem Schattentänzer vorbei, er warf immer wieder einen Blick nach draußen, zu den beiden... Wesen.
Der Schmerz in der Seite, als er nachließ hätte Indivia lachen und tanzen können. Stattdessen wurde ihm von dem Heiler verordnet sich zu schonen. Er lächelte den Mann an, sah dann jedoch zum Lord auf. Betroffen biss der Barde sich auf die Unterlippe. Er hatte Lord Ashsteel nur Schwierigkeiten bereitet...
"Was schaust du mich so an, mein Freund?", fragte Elliot amüsiert, als der Heiler wieder verschwunden war.
Wie ein Kind, das man bei einem Streich erwischt hat.
"Sorgst du dich immer noch um den Zwischenfall in der Bibliothek?"
Elliot machte sich keine großen Sorgen darum. Er würde sich einfach von seinem Lieblingstischlerunternehmen ein neues Regal anfertigen und liefern lassen, um die neuentstandene Lücke damit zu füllen, und derweil einige Diener damit beauftragen, Ordnung in das Chaos zu bringen. Genug leere Regalbretter gab es ohnehin noch und Elliot war sicher, dass wenigstens ein paar Dienstleute lesen konnten.
"Ich hab Euch schon wieder Scherereien bereitet...", murmelte Indivia leise und setzte sich auf, spielte mit dem Saum seines Oberteils. Verlegen und verschämt, wie ein Kind, so saß er da, wartete auf die Strafe, die vermutlich gleich kommen würde. So mit gesenktem Kopf entging ihm das spöttische Lächeln Tharaniels.
Das macht Euch zu seiner Glucke?
Nun, das stört mich nicht - dieses Goldkehlchen ist eben einfach entzückend.
Lächelnd beugte Elliot sich vor und legte einen Finger unter Indivias Kinn, hob es sanft an.
"Und jetzt befürchtest du, dass ich dich bestrafe?"
Indiva sah hoch, blickte aus unschuldigen, grünen Augen auf. Er wirkte wie ein junges, verschrecktes Kätzchen, das nichts von der Welt und der harschen Realität wusste, bis es einen Tritt abbekam.
Er hat keine Ahnung.
Natürlich nicht.
Er ist unschuldiger, als alles, was je in mein Schlafgemach gekommen ist und sich "Jungfrau" schimpfte.
Das ist das Hinreißende an meinem Goldkehlchen.
"Sorge dich nicht, mein Freund", sagte Elliot leise, das Gesicht geradezu unanständig nah an dem des anderen Mannes. "Ich könnte dich niemals auch nur bestrafen wollen."
Unendlich zart fühlte sich Indivias Wange an, als er mit dem Finger sanft darüber strich, unendlich groß schienen die grünen Augen, als der junge Lord sich noch weiter vorbeugte und einen Kuss auf die Stirn hauchte.
"Ruh dich gut aus, mein Lieber.
Du hast es nötig."
Erst als er sich erhoben und Indivia den Rücken gekehrt hatte, ließ Elliot das süffisante Lächeln zu, nach dem seine Lippen die ganze Zeit schon verlangt hatten.
In ausgesprochen guter Stimmung trat er in den Flur zu seinen beiden Gästen, die sich schweigend, Arahiel unruhig und Emilia offenbar peinlich berührt, dort aufhielten.
"Entschuldigt, meine Damen, dass ich Euch habe warten lassen.
Ich bitte untertänigst um Vergebung."
Soll ich das Goldkehlchen schon mal anketten?
Tharaniel verließ das Zimmer des schlafenden Barden als lautloser Schatten in Form eines lebenden Wesens.
"Ich bin schlimmeres gewohnt." Arahiel fasste sich kurz an den Hals, dort wo der Rubin in der Kuhle zwischen seinen Schlüsselbeinen ruhte. Er wirkte wieder ziemlich gefasst und ruhig, immerhin hin seine Zukunft jetzt von der Entscheidung des Lords ab.
Wenn du so versessen darauf bist ... ich müsste irgendwo noch Ketten haben, die dir ganz gut stehen dürften.
Fragend schaute Elliot von einer Frau zur Anderen.
"Habt Ihr Euch schon miteinander vertraut gemacht?"
Unwahrscheinlich.
Keine der beiden schien sehr gesprächig.
Unwahrscheinlich. Ich eigne mich nicht für Ketten
"Ausreichend." Arahiel legte eine behandschuhte Hand auf den Griff seines Schwertes, nahm die Hand sofort wieder weg, als der Schattentänzer sehr empfindlich darauf reagierte.
Ach wirklich?
Ich würde mich zu gerne selbst davon überzeugen.
Ich glaube nämlich, dass sie deiner ganz und gar angemessen wären.
Die Vorstellung trieb ein Glitzern in Elliots Augen.
Ketten und Fesseln waren für ihn zumeist uninteressant gewesen, hatte er selbst sie doch nie anlegen wollen und waren die meisten Mädchen, wenn überhaupt gewillt, doch reichlich untalentiert damit gewesen.
Aber Tharaniel ... das war zumindest ein amüsantes Gedankenspiel.
"Nun, dann wird es wohl kein Fehler sein, auf Vorstellungen zu verzichten.
Darf ich meine Damen darum bitten, mir in den Salon zu folgen?
Die Angelegenheiten lassen sich hier nur so schwerlich besprechen."
Wirklich, Herr.
Mit den Schultern zuckend folgte Arahiel dem Lord. Hoffentlich würde er sich bald entscheiden. Während dem Laufen entwirrte der gefallene Engel sein langes, rotes Lockenhaar, flocht es erneut.
Wie bedauerlich.
Dann bring uns Tee.
Den guten, der letzte Woche geliefert wurde.
Mit ausladender Geste deutete Elliot auf die bequemen Sofas, sobald er den Salon betrat, hielt in der vollendeten Manier des wahren Edelmannes, der er nicht war, den Damen die Tür offen, bis diese eingetreten waren.
Tharaniel war schon weg, ehe die beiden anderen sich setzen konnten. Er erschien plötzlich in der Küche und erschreckte einige der Angestellten beinahe zu Tode.
Leder knarrte, als Arahiel sich auf einem der Sofas niederließ, sein Schwert neben sich am Sofa angelehnt. Er wusste nicht ob er amüsiert oder beleidigt sein sollte, hielt der Lord ihn doch immer noch für eine Frau. Aber andererseits... Genau das wollte der gefallene Engel ja.
"Nun, wo soll ich beginnen?", sagte Elliot, als er es sich in seinem Sessel bequem gemacht hatte.
"Ihr beide habt mir ja einen Teil Eurer Geschichten erzählt.
Du, Emilia, etwas ausführlicher als Ihr, Lady Arahiel, aber mir hat sich gleich die faszinierende Ähnlichkeit aufgedrängt, welche Euren Werdegängen zu eigen ist."
Er machte eine dramatische Pause, um sicherzugehen, dass er auch wirklich das Gehör seiner beiden Gäste hatte, aber auch, um sich noch einen kurzen Moment lang an dem unsicheren Blick in Emilias Augen zu weiden.
"Meine Damen, ihr beide seid offenbar eines Tages aufgewacht, ohne zu wissen, was davor war."
"So ein Zufall. ", murmelte der gefallene Engel leise, musterte die junge Frau neben ihm mit skeptisch anmutenden Blick. Arahiel legte den Kopf schief.
Emilia senkte den Kopf, um Arahiels Blick zu entgehen.
"Um ehrlich zu sein", hörte sie Lord Ashsteel sagen, "weiß ich nicht, ob hier an einen Zufall zu glauben ist.
Ihr mögt Euch nicht daran erinnern, doch es geschieht äußerst selten, dass ein junger Mensch seine Erinnerungen und Identität verliert."
"Und was erwartet Ihr jetzt?", Arahiel legte den Kopf schief, die Arme vor der flachen Brust verschränkt. Was wollte dieser dumme Mensch denn? Dass er ihm alles verriet? Oh nein, zu deutlich war die Reaktion der Menschheit beim letzten Mal noch in seinem Hirn eingebrannt.
Elliot lächelte.
"Wie es der Zufall so will, meine liebe Arahiel, bin ich sehr an Emilias Geschichte interessiert.
Und sollte deine - ich darf dich doch duzen? - wirklich mit ihrer verwoben sein, wäre das für mich eine wichtige Information."
Er strich sich langsam durch das lange, schwarze Haar, ehe er fortfuhr:
"Unter diesen Umständen jedenfalls möchte ich dich um deine Zusammenarbeit bitten."
"Fein, meinetwegen. Aber ich sage es nochmal, Lord Ashsteel." Arahiel nickte bloß, hob die Hände in besänftigender Gestik. Seine schwarzen Augen blickten zu Emilia rüber und er erkannte nichts. Nichts an ihr kam ihm bekannt vor. Sie war eine vollkommene Fremde. Ebenso wie der junge Barde ein Fremder war.
Elliot hob eine Braue und folgte seinem Blick.
Doch Emilia saß einfach nur stumm da und schien den Fußboden zu bewundern.
"Was möchtest du mir noch einmal mitteilen, Arahiel?"
Tharaniel, wo bleibt der Tee?
"Diese Frau hier ist für mich eine ebenso fremde Person wie Ihr." Arahiel legte den Kopf schief und fuhr zusammen, als die Tür aufging, der Schattentänzer mit eisig perfekter Miene ein Tablett mit Tee herein trug.
"Nun, es würde mich wundern, wäre sie es nicht.
Kannst du mit Sicherheit sagen, dass du deine eigene Mutter erkennen würdest?
Oder irgendein anderes Gesicht aus deiner Vergangenheit?"
Emilia hörte die Worte Lord Ashsteels, Arahiels, verstand sie alle und erwiderte doch selbst, erzählte nicht von dem seltsamen Gefühl, welches sie überkam, wenn sie in diese dunklen Augen blickte. Sie fühlte sich wie eine Zuschauerin in einem Theaterstück, unfähig, unbefugt selbst zu sprechen.
Als dann auch noch der unheimliche Diener eintrat, wäre sie am liebsten geflohen.
Arahiel nahm die Tasse von dem Diener nicht entgegen, ignorierte das heiße Gebräu. Wenn er genau hinsah, konnte er sehen wie sich immer wieder feine Partikel von der Haut, den Haaren, selbst der Kleidung des Schattentänzers ablösten, sich neu an seinem Körper formatierten. Eine lebende Illusion, zusammengehalten von dämonischer Macht. Etwas, das die Nackenhaare des Gefallenen Engels zu Berge stehen ließ.
Mit einem Lächeln, das einer eiskalten Drohung gleichkam, überreichte Tharaniel auch der jungen Lady ihren Tee, achtete darauf, sie nicht zu berühren, wie man darauf achtete ein widerliches Insekt zu begutachten, doch nicht zu berühren. Abschaum.
"Nein. Vermutlich nicht", Arahiels Stimme triefte vor verletztem Stolz, auch wenn er es zu unterdrücken versuchte. "Obwohl ich meine Mutter mit Sicherheit wieder erkennen würde. Diese Schlampe zu vergessen wäre eine Gnade."
"Oh?"
Lächelnd führte Elliot seine Tasse zum Mund.
"Nun, mit Schlampen kenne ich mich aus.
Es ist eine Wohltat, dass heute keine mit mir in diesem Salon sitzt, nicht wahr, Emilia?"
Er warf dem Mädchen, das mit regungsloser Miene da saß einen kurzen Blick zu, woraufhin es nahezu mechanisch begann, in der Teetasse zu rühren. Er konnte sehen, dass Emilias Augen auf ihm ruhten und es doch nicht taten, konnte nicht lesen, was dahinter lag ... ob dahinter etwas lag.
Wie eine Puppe.
Eine hübsche, leblose Puppe.
Sie ist ihr so unähnlich ...
"Erzähl mir mehr von deiner Mutter, Arahiel."
"Da gibt es nichts zu erzählen." Arahiel legte den Kopf schief und stellte die Tasse ab.
Der Tee dampfte, mehr noch als zuvor, was Tharaniel mit leisem Lächeln quittierte. Der Schattentänzer legte den Kopf schief und schmunzelte.
"Wie gesagt. Sie ließ mich einfach zurück."
"Ja, das tuen Mütter gelegentlich."
Elliots Miene blieb unbekümmert, nahezu ungerührt.
Seine leibliche Mutter hatte ihn weggegeben, weil sie die Schande nicht ertragen hatte, und seine Ziehmutter hatte ihn ihre Abscheu auf eine solche Weise spüren lassen, dass er sich beinahe um ihren Tod gefreut hatte - bis ihm klar geworden war, dass somit auch niemand anderes übrig war, welcher den Hass seines Vaters abfangen konnte.
In seinen Augen war es ein sehr gnädiges Schicksal, wenn Arahiel von der eigenen Mutter lediglich zurückgelassen worden war.
"Du weißt nicht, wo sie nun ist?"
"Fort. Ich weiß nicht wo sie ist und werde sie auch nicht suchen." Arahiel wusste nicht, was es diesem Mensch brachte, über seine Mutter nachzudenken, Was wollte er denn noch alles wissen? "Ich schulde ihr keinerlei Loyalität, geschweige denn Liebe"
"Eine kluge Einstellung.
Blut mag dicker sein, doch ein Mensch trägt immer noch mehr Wasser in sich."
Elliot nippte an seiner Tasse, genoss einen kurzen Augenblick lang das käftige Aroma des Tees, bevor er sich wieder Arahiel widmete.
"Doch aus diesem Grunde frage ich nicht.
Ich möchte wissen, woran du dich erinnerst."
Glaubst du, dass sie lügt?
Nein. Ich glaube, dieses Herumgetänzele ist einfach eine Art zu sagen, dass da nichts mehr ist, was erzählt werden kann.
Unschuldig lächelnd legte Tharaniel den Kopf schief, was ihm einen seltsamen Blick aus den schwarzen Augen der rothaarigen Person auf dem Sofa einbrachte.
"An den Strand. Ich wurde am Strand abgelegt, das ist alles. An alles davor erinnere ich mich nicht."
Hmm, und glaubst du auch, dass du nicht lügst, Tharaniel?, stichelte Elliot, aber er war gewillt, der Stimme in seinem Schädel zu glauben.
"Hm.
Wie bedauerlich."
Gedankenverloren rührte er in seiner Tasse herum, ehe er Emilia ansprach:
"Ich habe im Übrigen einen Diener angewiesen, deine Habseligkeiten aus dem Gasthaus zu holen.
Sie sollten bald eintreffen."
Zu gütig von Euch, Herr.
Tharaniel lächelte süffisant und wartete ruhig auf weitere Befehle.
"Ja. Sehr bedauerlich ", kommentierte Arahiel langsam und sah dann wieder mit offenem Interesse zu Emilia. Was war es nur... Was für ein Engel wäre sie wohl? Vielleicht wie er? Der gefallene Engel bereitete sich innerlich schon auf den Moment vor, wo er Emilia alleine erwischen würde.
Das war eindeutig sarkastisch, Herr
Oh, vielen Dank für diese kluge und aufschlussreiche Bemerkung, Tharaniel.
Ohne sie wäre mir das doch tatsächlich entgangen.
"Habt Dank, Mylord", kam die Antwort der jungen Frau.
Elliot schenkte ihr ein gönnerhaftes Lächeln, welches sie nur mit einem leeren Blick quittierte.
"Aber nicht doch, meine Liebe.
Alles für ein Lächeln von deinen Lippen."
Er erhob sich und schaute in die Runde.
"Nun, meine Damen, habt ihr noch Wünsche an mich?
Sonst würde ich mich nun meinen Pflichten widmen und euch erst zum heutigen Abendessen wieder rufen lassen.
Tut in der Zwischenzeit, was immer euch beliebt, und zögert nicht, eure Stimmen zu erheben, sollte es euch an etwas mangeln."
"Wenn Ihr kein Bedarf an meinen Diensten habt, würde ich mir einen anderen Auftragsgeber suchen", sagte Arahiel direkt und verschränkte die Arme vor der Brust.
Diese Direktheit löste in Tharaniel einen stummen Anfall von hämischen Lachen aus.
Wie lange wollt Ihr sie noch zappeln lassen?
"Oh, das wird nicht notwendig sein."
Elliot lachte leise.
"Morgen wird sich der Sturm gelegt haben - Tharaniel wird dann deine Fähigkeiten prüfen, meine Liebe.
Und anhand dessen werde ich entscheiden, ob ich deine Dienste in Anspruch nehmen werde.
Fühl dich bis dahin als mein Gast."
Mit dem allergrößten Vergnügen.
"Hoffentlich.", knurrte der rothaarige Engel leise. Dann jedoch lächelte Arahiel süß und nickte. "Vielen Dank."
Ich dachte mir schon, dass du das sagen würdest.
"Gerne.
Ich werde ein Zimmer für die Nacht für dich herrichten lassen."
Elliot zwinkerte Arahiel zu und schritt dann Richtung Tür.
Komm mit in mein Zimmer, Tharaniel.
Oh, war das eine Einladung?
ein leichtes Lächeln trat auf Tharaniels Lippen, ehe er den Tisch abräumte und dann in die Schatten verschwand.
Gelüstet es dir etwa nach einer Einladung?
Elliot schmunzelte, als er sein Zimmer betrat.
Nun, du bist mir wahrscheinlich sogar noch lieber als diese unfähige Hure.
Wirf sie bitte gleich morgen raus und lass Selene mitteilen, dass sie höchst unzufriedenstellend war und ich besseres von ihren Mädchen gewohnt bin.
Das Thema wurde geschlossen. |
Ihr habt das arme Goldkehlchen nun einmal überfordert.
Kichernd trat der Schattentänzer aus den Schatten, in das Zimmer seines Herrn. Verneigte sich elegant.
"Ja, das habe ich wohl."
Elliot lachte trocken.
"Aber auch ihre Art sagt mir nicht zu.
Diese Hysterie, diese moralische Erhabenheit, diese Kratzbürstigkeit ... bei kleinen, unschuldigen Prinzessinnen hat das seinen Reiz, aber an einer Frau wie ihr ist es abstoßend und bewegt mich eher zu müdem Amüsement als zu brennender Leidenschaft."
"Die gute Selene wird sehr enttäuscht von ihr sein", bemerkte Tharaniel trocken, während er zum Fenster sah, einen krachenden Blitz beobachtete. "Ich kann sie auch jetzt vor die Tür setzen."
"Nun, ich habe nicht vor, die Ware der guten Selene zu beschädigen.
Stören wird sie mich ohnehin nicht, also kann das bis morgen warten."
Zumal Selene keine Frau war, mit der man sich anlegen wollte.
Elliot schritt zu seiner Glasvitrine und holte eine Flasche Branntwein hervor, goss sich ein Glas ein.
"Also sollten wir zwei uns lieber interessanteren Dingen widmen."
"Was könnte interessanter sein, als von zwei Frauen ohne Gedächtnis besucht zu werden?", spottete der Schattentänzer leise und sah aus dem Fenster, milde Interessiert. "Außerdem kenn ich Selene von früher."
"Herauszufinden, an was zwei Frauen ohne Gedächtnis sich erinnern, wenn man sie ins Schlafgemach einlädt und ihnen süßen Wein und süße Worte zukommen lässt", schlug Elliot belustigt vor, schüttelte dann aber rasch den Kopf. "Nein, Arahiel werde ich sicher keine Einladung zukommen lassen. Ich mag meine Frauen hübsch und weiblich, ein paar Vorzüge sollten sie schließlich schon besitzen."
Nicht, dass es wahrscheinlicher wäre, dass er Emilia bald eine Einladung zukommen lassen würde.
Sie war hübsch, äußerst anziehend sogar, auf eine Weise, die Elliot nie zuvor erlebt hatte. Doch der Eindruck, eine bloße Geste von ihm könnte sie verschrecken, und die Art und Weise, auf die sie Erinnerungen in ihm weckte, schreckten ihn ab.
"Was mögt Ihr an Arahiel nicht? Sie scheint Feuer zu haben, ganz wie Ihr es doch immer wollt?", beinahe hätte der Schattentänzer statt 'sie' 'er' gesagt. Tharaniel hob eine Augenbraue und legte den Kopf schief. "Natürlich,...wenn Ihr kein Bedarf an Emilia habt, könnte ich sie ja mal besuchen."
Elliot hob eine Braue.
"Was versetzt dich denn in den Glauben, ich hätte keinen Bedarf an ihr."
Er nippte an seinem Glas, rollte die goldene und angenehm scharfe Flüssigkeit auf seiner Zunge und ließ sie sich dann die Kehle herabrinnen. Er lächelte Tharaniel an.
"Ich bin eigentlich sehr neugierig, was sie unter ihrem Kleid versteckt.
Und sehr sicher, dass es mir gefallen wird."
"Welche der Damen meint Ihr nun?", lachte Tharaniel, musterte seinen Herrn scharf.
"Die von beiden, welche eindeutig besser mit den Reizen des zarten Geschlechts beschenkt wurde", erwiderte Elliot.
"Und wenn es darum geht, kann die werte Lady Arahiel nun einmal nicht mit dem jungen Fräulein Emilia verglichen werden."
Er leerte sein Glas.
"Aber wenn dir ihr Feuer gefällt, erlaube ich dir gerne, dich daran zu laben.
Ich traue ihr ohnehin nicht und zwischen den Laken werden Viele gesprächiger."
"Na dann...", Tharaniel schmunzelte wie immer. "Doch...warum wolltet Ihr mich sprechen?"
"Aus einem Grunde, der nicht allzu weit von dem entfernt ist, worüber wir gerade gesprochen haben."
Mit einem feinen Lächeln goss Elliot sich ein weiteres Glas ein und ließ sich dann in seinem Sessel nieder.
"Hat deine Abneigung dich für alles andere blind gemacht oder gibt es da noch etwas, was dir an Emilia aufgefallen ist?"
"Entweder sie ist nun mehr Maschine oder sie hat Angst vor jemandem.", sagte Tharaniel ruhig, teilte seinem Herrn über ihre mentale Verbindung seine Beobachtungen.
"Ja, das ist wahr", seufzte Elliot.
"Zu schade, dass man nicht in diesen hübschen Kopf blicken kann."
Er schüttelte den Kopf.
"Aber das meinte ich nicht."
Nachdenklich schwenkte er sein Glas, beobachtete den Branntwein Wellen schlagend.
"Findest du nicht, dass sie jemandem ähnlich sieht?"
"Meint Ihr, sie ist ein weiteres, uneheliches Kind Eurer Familie?" Tharaniel war vor dem stellen seiner Frage wohlwissentlich außer Schlagweite seines Herrn getreten.
"Möglich."
Versunken starrte Elliot in sein Glas und versuchte, seine Gedanken zu ordnen
Nach einem Zeichen zu suchen, das ihm helfen könnte, zu verstehen, das Rätsel zu lösen.
"Zumindest sieht sie der Emily, nach der ich sie benannt habe, bemerkenswert ähnlich.
Wenn ich meiner Erinnerung besser trauen könnte, würde ich sie identisch nennen."
"Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, sie ist wie ich ", murmelte Tharaniel in seinen nicht vorhandenen Bart, ehe sich räusperte und lauter fortfuhr. "Macht Ihr Euch keine Sorgen wegen dem Fluch, der auf ihr lastet? "
"Wie du, hm?"
Elliot lachte dunkel.
"Ich mache mir weder darum Sorgen, noch um irgendeinen Fluch.
Sie mag aussehen wie diese Schlampe, aber sie übertreffen kann Emilia mit keinem noch so dunklen Geheimnis."
Ein weiteres Mal führte er das Glas an seine Lippen, bemerkte schon, wie die Wirkung des Getränkes einsetzte, Wärme sich unter seine Haut legte, seine Sinne mit einem Mal so viel schärfer fühlten.
Manchmal tat es gut, sich dem Rausch ein wenig hinzugeben.
"Oh, so harsche Worte ", Tharaniel lächelte schmal und boshaft, er schüttelte gespielt tadelnd den Kopf, was eine feine Strähne aus seinem hellen Zopf löste. "Beinahe hätte ich Euch geglaubt. "
"Was hättest du mir beinahe geglaubt?
Dass sie ihr ähnlich sieht oder dass sie die liebe Emily nicht übertreffen kann?"
Elliot trank den verbleibenden Branntwein in einem Zug und stand dann auf.
Sein Körper fühlte sich leicht an, beinahe schwerelos, als er auf Tharaniel zutrat.
"Harsche Worte, ja, doch beinahe schmeichelhaft, wenn man bedenkt, was für eine Frau sie war."
Er streckte die Hand aus und legte sie an die Wange des Dämons, wie er es bei einer Geliebten getan hätte.
Doch seine Augen waren eisig und das Lächeln auf seinen Lippen hart und grimmig.
"Und glaub mir, Tharaniel:
Weder du, noch Emilia, noch irgendein anderer Mensch werden mich jemals fühlen lassen, was ich für diese Frau empfinde."
Tharaniels Lippen kräuselten sich zu einem haarfeinen kalten Lächeln, doch neigte er den Kopf, näher an Elliots Hand wie um zu testen.
Sein Körper, seine Haut, kalt und leblos, war sie doch nichts mehr als eine leere Hülle, die er mit Schatten füllte. Dem Echo von Gefühlen und beseelt von einem Funken mit unstillbaren Hunger nach mehr.
"Ich werde es in dem Moment wissen, in dem ich mir Eure Gestalt wie einen schönen Mantel überstreifen werde "
Elliot nahm das Gesicht des Dämons zwischen beide Hände, liebkoste es mit einer Zärtlichkeit, die weder zu seiner Person, noch zu dem gefrorenen Lächeln so recht passte. Er beugte sich vor, bewegte seinen Kopf seitlich an Tharaniels vorbei, die Lippen streiften flüchtig, wie zufällig seine Wange.
"Ja", wisperte er leise in sein Ohr, spielte dabei sacht mit seinem Haar. "Diesen Tag kannst du kaum abwarten, nicht wahr?"
Als Elliot den Kopf wieder zurückzog und dem Anderen ins Gesicht schaute, lag wieder der übliche Spott in seinen Augen.
"Aber jetzt wirst du mir dabei helfen, mich zu entkleiden.
Und mir dann ein Bad bereiten."
Tharaniel erwiderte das Lächeln mit gleichbleibender Kälte, doch huschte für einen Moment ein dunkler Hunger über seine Augen hinweg. Dann jedoch verneigte er sich leicht.
Elliot entging Tharaniels Blick nicht, doch beeindruckt war er keineswegs.
Er kannte diesen Ausdruck bereits zu gut - und er lebte nun einmal in einer Welt, in der jeder ein Stück von ihm wollte.
Sein Geld, seine Aufmerksamkeit, seine Freundschaft, seinen Körper - was machte es da, wenn ein kleiner Dämon Elliots Seele wollte?
Langsam streckte er die Arme aus, sodass sein Diener das Hemd aufknöpfen und ihm abnehmen konnte.
Elliot war bei Weitem nicht betrunken genug, um dazu nicht mehr selbst in der Lage zu sein, doch er liebte es, Tharaniel mit derartigen Nichtigkeiten zu beauftragen.
Mit einer Effizienz die an eine Maschine oder sehr oft wiederholte Routine erinnerte, begann der Schattentänzer seinen Herrn das Hemd zu öffnen, sorgsam auszuziehen. Oh, gerne hätte er getestet, wie schnell die weiße, zarte Haut an der Kehle sich unter seinen Zähnen und Lippen rot gefärbt hätte.
Langsam schloss Elliot die Augen, wartete darauf, dass Tharaniel ihn vollständig entkleidete.
Seine Gedanken wanderten dabei, suchten nach weiteren Schritten, die er gehen könnte, gehen müsste.
Ein Brief.
Er würde wohl einen Brief aufsetzen.
Eigentlich war Elliot kein großer Freund von Höflichkeiten, insbesondere, wenn diese nicht notwendig waren, doch in diesem Fall würde er eine Ausnahme machen.
Das würde es hoffentlich einfacher machen, an die Informationen zu kommen, die er haben wollte.
Tharaniel behielt seine kalte, professionelle Maske, auch wenn gleich er schon danach lechzte, die Seele zu kosten, einzuverleiben und seiner Sammlung ein weiteres Glanzstück hinzufügen.
Dem Hemd folgte die Schuhe, die Hose, bis Elliot mit nichts als seiner blassen Haut und dem dunklen Haar am Leib zurück blieb.
Als er nichts als kühle Luft mehr um sich spürte und Tharaniels Hände nicht mehr knapp über seiner Haut werkelten, schlug Elliot die Augen wieder auf.
Fang bloß nicht an, zu sabbern.
Das war die einzige Beachtung, die er seinem Diener schenkte, bevor er weiter seinen Gedanken nachging. Im Spiegel betrachtete er sich, während er darauf wartete, dass sein Bad bereitet wurde, musterte die helle Haut, den schlanken, männlichen Leib, die Augen, von denen das eine, das fliederblaue einem bekannten Paar so sehr glich, fuhr sich durch das schwarze Haar, welches so sehr vom Bild abwich. Einen hellen Ansatz konnte er noch nicht erkennen ... es würde noch dauern, bis ein erneutes Färben notwendig war.
Nur weil Ihr es so charmant befehlt.
Dunkel kichernd verschwand Tharanel im Badezimmer, wo man kurz darauf Wasser rauschen hörte, es leicht duftete. Nicht zu süß und erst recht nicht zu aufdringlich.
Was für ein gehorsamer Hund du doch bist.
Vielleicht stünde dir das Sabbern doch hervorragend zu Angesicht.
Nach einer Weile folgte Elliot dem blonden Dämon und ließ sich mit einem Seufzen in die Wanne gleiten.
Man konnte ansonsten über Tharaniel sagen, was man wollte, aber er wusste, wie man ein Bad zu bereiten hatte, wählte immer die richtigen Zusätze, traf immer die richtige Temperatur.
Tharaniels Antwort bestand aus einem dunklen Kichern, das beinahe sogar anziehend geklungen hätte. Wenn es denn einen Funken von Emotion in sich getragen hätte.
"Du scheinst mir unheimlich gut gelaunt heute.
Gibt es da etwas besonders amüsantes, das mir entgangen wäre?"
Ihr seid einfach herzallerliebst, wenn Ihr versucht boshaft zu sein.
Der Schattentänzer grinste und verneigte sich höhnisch.
Bin ich das?
Meine Güte, das wären beinahe die Worte gewesen, die ich dir zugesprochen hätte.
Nun muss ich mir wohl neue überlegen.
Elliot sank etwas tiefer ins Wasser, lehnte sich entspannt zurück, die Hände hinter dem Kopf verschränkt.
"Ich möchte eine kleine Reise unternehmen.
Nach Hythe."
Eine kleine Reise würde es wohl nicht werden, immerhin dauerte die Reise dorthin auch bei gutem Wetter mindestens zwei Tage, manchmal eine Woche. Eigentlich war Elliot auch nicht besonders begeistert von der Vorstellung, dorthin zurückzukehren, doch seine Neugierde würde in diesem Fall wohl siegen.
Tharaniel blinzelte verwirrt, runzelte kurz die Stirn, ehe er wieder ausdruckslos und beinahe schon maskenhaft wirkte.
"Hythe?"
Zustimmend nickte Elliot.
"Hythe.
Einen Ort, den Du kennen solltest - schließlich waren wir vor Jahren dort."
Er lächelte frostig.
"Zum Tod meiner geliebten Tante, wenn ich mich recht entsinne."
"Ah. Wirklich?" Tharaniel hob eine Augenbraue in einer falschen Geste des Nachdenkens, Besinnens, dann jedoch schüttelte er den Kopf. "Nein. Nicht das ich wüsste."
"Dein Gedächtnis lässt wirklich zu wünschen übrig.
Aber in deinem Alter muss man wohl darüber hinwegsehen."
Elliot dachte ungerne an seine letzte Reise dorthin zurück. Immerhin war die Nacht, in der es begonnen hatte, auch die Nacht gewesen, in der sich sein Leben für immer verändert hatte. In der sein Vater von einem Moment auf den nächsten aufgebrochen war, um am Krankenbett - am Sterbebett, wie sich später herausgestellt hatte - seiner geliebten Schwester zu sitzen, ungeachtet des Unwetters, welches über das Land hinweg gefegt war.
Letztendlich war es nicht Lord Clifford Ashsteel, in dessen Begleitung Elliot in die Hände seiner Familie zurückgekehrt war, sondern Tharaniel - auch wenn damals niemand sonst von ihm gewusst hatte. Als beide schließlich in Hythe angelang waren, hatte sie die Botschaft vom Tod der Lady Emily ereilt. Und das war das letzte Mal gewesen, dass er diesen Ort aufgesucht hatte.
"Mein Gedächtnis funktioniert hervorragend ", erwiderte Tharaniel mit einem gewissen, giftig wirkenden Unterton. Mit verschränkten Armen lauerte er hinter seinem Herrn, ehe eine boshafte Idee in seinem Kopf heran wuchs. "Aber vielleicht funktioniert Euer Gedächtnis nicht mehr. Was wurde nochmal aus Eurem Vater? "
"Ach ja, der gute Lord Clifford ..."
Elliot lächelte, obwohl sein Geist ihm einen anderen Ausdruck diktierte.
Zu lächeln war mit der Zeit einfach geworden. Einfach und angenehm. Echtheit war ohnehin keine wirkliche Tugend, die Wahrheit interessierte niemanden.
"Nun, wenn ich mich recht erinnere, ist er verschollen und nicht wieder aufgetaucht.
Ich vermute, dass dies daran liegt, dass es meinen Dienern an Begabung darin mangelt, ihn aufzuspüren."
"Nun, ich hätte Euch auch einfach liegen lassen können und ihn einfangen können ", gleichgültig zuckte der Schattentänzer mit den Schultern, als wäre es eine Lappalie.
"Das ist wahr."
Ein spöttisches Lächeln umspielte Elliots Lippen.
Ruckartig schoss seine Hand vor und er packte Tharaniel am Kragen, zog ihn so nah an sich heran, dass ihre Gesichter sich beinahe berührten.
"Aber das hast du nicht und das kannst du nun nicht mehr."
Seine Augen glitzerten wissend.
"Und du würdest nie bekommen, was du willst."
Tharaniel verzog die Lippen zu einem schmalen Lächeln, ehe er plötzlich, das wenige bisschen an Abstand zwischen ihnen beiden vollends überwunden hatte.
Kalte Kalkulation lag in dem kurzen, lieblosen Kuss, ehe der Schattentänzer die Hände auf die Schultern seines Herrn legte und - ihn untertauchte.
Im ersten Moment war Elliot tatsächlich überrascht.
Erschrocken sogar, als er spürte, wie sein Kopf unter die Oberfläche gedrückt wurde. Erinnerungen strömten auf ihn ein, die eines Kindes, das sich davor zu retten suchte, ertränkt zu werden. Ein Kind, dass der Gnade seiner Eltern schutzlos ausgeliefert war.
Aber nur einen Augenblick lang.
Einen Augenblick, in dem er sich daran entsinnen konnte, dass es nur Tharaniel war, dass der keine wirkliche Macht über ihn hatte, dass es ihm sogar missfallen dürfte, sollte er ertrinken. Er blieb einen Moment länger unter Wasser, als es notwendig gewesen wäre.
Und als er wieder auftauchte, lag ein kaltes Lächeln auf seinen Lippen.
Stürmisch, hm?
Er hatte den Gedanken nicht zu Ende gedacht, als er auch schon die Arme um Tharaniel schlang und ihn seinerseits küsste, ungezügelt und hart. Bevor er seinen Diener zu sich in die Wanne zog, seine Kehle umfasste und ihn daran unter die Wasseroberfläche drückte.
Nun, ein bisschen Leidenschaft hat noch niemandem geschadet.
Dass der Spieß sich erneut wenden würde hatte Tharaniel gewusst. Nur nicht dass es so schnell geschehen würde.
Unbewusst zuckte er gegen die Hände um seine Kehle, griff an die fremden Handgelenke und erreichte doch nichts. Egal wie sehr er sich wand und versuchte zu entkomme. Das Wasser brannte in seinen Augen, seinem Mund und legte sich ölig, bitter auf seine Zunge, ließ ihn beinahe würgen.
Was denn, raube ich dir etwa den Atem?
Elliots Lippen lächelten weiter, doch seine Augen waren frostiger als jeder Wintertag es sein könnte.
Es kitzelte ihn unter den Nägeln, Tharaniel so lange unter Wasser zu halten, bis er gezwungen wäre, entweder zu ertrinken oder sich in seine körperlose Form zu verflüchtigen. Doch so weit ließ er es nicht kommen, widerstand der Verlockung.
Nach einem Augenblick, der sich für seinen Diener wie eine Ewigkeit anfühlen musste, ließ Elliot seinen Hals los, umfasste stattdessen mit eisernem Griff seine Handgelenke und begrub, während der Kopf wieder auftauchte, Tharaniels Leib mit seinem eigenen, hielt ihn so weiter fest.
Hustend neigte Tharaniel den Kopf zur Seite, spuckte gezwungenermaßen das ölige, duftende Badewasser aus, während er seine Hände zu befreien versuchte, Elliots Leib von dem seinen runter zu schieben.
Leise und lachte Elliot - nicht hämisch oder schadenfroh, sondern eher auf die Weise, wie er in Gegenwart einer Frau gelacht hätte, die es zu bezirzen galt.
Sehr sanft, nur ein wenig heiser klang seine Stimme, als er in Tharaniels Ohr wisperte:
"Willst du etwa aufhören, bevor wir richtig angefangen haben?
Ich hätte dich nicht für jemanden gehalten, der etwas unvollständig lässt."
Blanker Zorn blitzte in Tharaniels hellen Augen auf, er fletschte die Zähne und begann sich heftiger zu wehren, legte den Kopf zurück. Oh, er würde diesem arroganten Menschen sein schönes Gesicht zertrümmern wie einer Porzellanpuppe.
"Nun zier dich doch nicht so."
Diesmal war Elliots Lachen alles andere als hübsch.
"Und ja, das ist ein Befehl.
Hör auf, dich zu wehren."
Er küsste Tharaniels Wange.
"Und wag es nicht, noch einmal Hand an mich anzulegen.
Betrachte auch das als Befehl."
Zähne knirschend stellte Tharaniel die letzte Gegenwehr ein, Lippen fest aufeinander gepresst und Augen halb hinter hellen Lidern und blassen Wimpern verborgen. Noch heller als sonst wirkte seine Haut, die Kiefer waren so verkrampft zusammen gebissen, als wolle er mit purer Kraft unterdrücken was in ihm brodelte.
Elliot musste sich große Mühe geben, nicht triumphierend zu kichern, stattdessen grinste er nur herablassend und begann damit, spielerisch über Tharaniels Haut zu streichen, seinen Hals mit Küssen zu liebkosen. Er vermutete, dass diese Behandlung seinen Diener weitaus mehr demütigen würde, als jeder Schlag ins Gesicht und der Gedanke daran wurde mit jedem Moment verlockender.
"Ganz schön ungemütlich hier, nicht wahr?", schnurrte Elliot. "Warum begeben wir uns nicht nach drüben?"
Er stieg aus der Wanne und schlang sich ein Handtuch um die Hüfte.
"Zieh dich aus, mein Lieber, und leg dich in mein Bett."
Plätschernd tropfte das Wasser zurück in die Wanne, als Tharaniel überraschend elegant aus der Wanne stieg, Stück für Stück seiner durchtränkten Kleidung abstreifte.
Sein Gesichtsausdruck war ebenso kalt wie sein Blick mörderisch war. Sein helles Haar klebte kurz an seinem Rücken, ehe er es über die Schulter nach vorne zog, mit stolzer Haltung, vollkommen nackt zu dem Bett schritt.
Mit Genugtuung schaute Elliot dem Dämon nach, legte sich in Gedanken schon zurecht, was er mit diesem hübschen Körper anstellen würde. Doch zuerst würde er ihn noch ein wenig schmoren lassen.
"Mach es dir schon gemütlich, Liebling", säuselte er. "Ich komme gleich nach."
Mit diesen Worten setzte er sich, noch immer in nichts als das Handtuch gehüllt, an seinen Schreibtisch, griff nach Papier und Tintenfass und ließ die Feder über ein unbeschriebenes Blatt fliegen.
Tharaniel betrachtete die Laken, als bestünden sie nicht aus roter Seide sondern fest gewordenen, geronnenen Blut. Sie raschelten leise unter seinem Gewicht, drapierten sich in weichen Falten neu um seinen blassen Leib.
Mit hellen, blitzenden Augen musterte, beobachtete Tharaniel das Heben und Senken der Feder, lag auf dem Bauch, das Kinn auf die gekreuzten Arme gestützt.
Elliot ließ sich Zeit, formulierte jedes Wort mit Sorgfalt, achtete auf das Schriftbild. Und als er schließlich seinen Namen unter die Nachricht setzte, verspürte er fast so etwas wie Vorfreude. Das Blatt ließ er zum Trocknen liegen, als er sich erhob, er legte das Handtuch auf seine Stuhllehne und ging dann langsam auf das Bett zu, wo Tharaniel schon gefügig auf ihn wartete.
Er hätte beinahe Mitleid bekommen können, wäre sein Dämonendiener nicht so ein unausstehlicher Widerling.
Andererseits war es wohl diese Eigenart, gepaart mit der gepflegten Abscheu, die er ihm gegenüber hegte, welche er an Tharaniel so schätzte.
Lächelnd ließ er sich neben ihm auf dem Bett nieder und fuhr sanft durch das feine, helle Haar, noch immer nass vom unfreiwilligen Bad.
Noch starrte Tharaniel unbeteiligt gerade aus, das einzige was er tat war die Beine anzuziehen, seinen Körper halb zu beugen. Fort von Elliot und enger zusammen. Er neigte den Kopf nach vorne, entzog dem Lord Zugriff auf sein Haar.
Fein kräuselten sich Elliots Lippen.
Er befahl Tharaniel nicht, sich zusammenzunehmen und Genuss vorzuspielen.
Es wäre eine dumme Bitte gewesen, besonders, da diese Abneigung ihren besonderen Reiz hatte, den er viel zu selten zu spüren bekam. Ehrliche, aufrichtige Abneigung, im Kontrast zu gespielt verliebten Blicken, unter denen er die Geltungssucht hervortriefen sehen konnte.
Insofern störte er sich kein bisschen an der starren, zusammengezogenen Körperhaltung, als er sich über Tharaniel beugte, mit mildem Interesse über seine Haut strich, zwischen den Schulterblättern dann eine kleine Narbe Narbe entdeckte und einen Kuss darauf hauchte.
Hübsch.
Von der Zeit vor oder während eures Paktes?
Ich bezweifle, dass die Antwort Euch wirklich interessiert.
Den Kopf gelangweilt auf eine Hand gestützt beobachtete der Schattentänzer die kleinen, albernen Gesten, Tharaniel sah aus den Augenwinkeln, die hellgrauen Augen unglaublich entnervt.
Oh, aber das tut es.
Erneut küsste Elliot die sternförmige Narbe, anscheinend von einem Feuer stammend.
Sehr sogar.
Langsam schob er sich ganz über Tharaniel.
Du kannst es mir ja erzählen.
Vielleicht hilft es gegen deine Langeweile.
Elliot hatte noch keine Erfahrungen mit anderen männlichen Körpern als dem eigenen, aber er sorgte sich nicht darum.
Letztendlich würde es auch hier nicht anders funktionieren als bei den ängstlichen Mädchen, die Schwangerschaften zu sehr fürchteten, und im Gegensatz zu diesen Fällen bedurfte es hier keiner langwierigen Vorbereitungen. Sonst würde es seinem ungezogenen Diener noch gefallen.
Das bezweifle ich.
Tharaniel biss die Zähne nur noch fester aufeinander, spürte sie knirschen und seine Kiefermuskeln schmerzen. Dennoch regte er sich nicht, obwohl er Elliot für seine Aufdringlichkeit zu gerne das Gesicht zerschlagen hätte.
Es ist eine lange Geschichte. Und überaus trocken.
Graue, leicht schräg stehende Augen blickten in den glänzend polierten Spiegel, schräg gegenüber des Bettes. Sah helles, platinblondes Haar über blasse Haut und roten Laken verteilt, falsches Schwarz auf Weiß, Rot. Und kalte Augen.
Hmm, wie du?
Elliot lachte trocken und fuhr mit den Händen Tharaniels Seite entlang, ehe er seine Beine auseinander zwang.
Aber das macht mir nichts.
Du kannst sie sicher hübsch ausschmücken.
Er reckte den Kopf leicht, durch den Spiegel hindurch blickte er seinem Untergebenen in die Augen und weidete sich an dem Ausdruck. Allein das bereitete ihm mehr Freude, als der Akt an sich es wohl tun würde.
Ihr seid einfach herzallerliebst.
Mit dunklem Kichern drehte Tharaniel sich abrupt um, rammte Elliot die Knie in den Magen.
Gibt Ihr wirklich ich würde Euch irgendwas freiwillig schenken?
Der Schattentänzer war elegant und schnell unter Elliot hervor an die Bettkante gerutscht.
Elliot schnappte nach Luft und presste seine Hand an den Bauch. Er hatte nicht erwartet, dass Tharaniel ihm Schmerz hinzufügen würde.
Doch nach einem Moment des Schocks drang nicht nur mehr ein Keuchen, sondern auch ein trockenes Lachen aus seiner Kehle. Es dauerte nicht lange, bis er sich aufraffte und Tharaniel einen Blick giftigen Amüsements zuwarf.
Natürlich nicht.
Seine Hand schoss vor und erwischte den hellen Haarschopf.
"Komm her", schnurrte er und ähnelte dabei ein wenig einem lauernden Tiger.
"Und halt still, bis ich dir sage, dass du dich wieder bewegen darfst."
Zähne wie ein wildes Tier gefletscht, die Augen beinahe vor Hass glühend knurrte er, krallte sich in die Hand, welche sein Haar hielt, ihn hielt wie einen Hund an der Leine.
Tharaniel hatte oft gehasst, doch noch nie hatte er das Gefühl gehabt, an seinem Hass zu ersticken, an ihm zu würgen wie an einer Rasierklinge. Und er konnte nichts tun, nichts um sich zu schützen. Nichts. Außer hassen.
An seinem Haar zog Elliot den ungezogenen Diener wieder ganz aufs Bett, drückte ihn unsanft bäuchlings nieder.
"Du magst diesen Körper, nicht wahr?", flüsterte er und rieb sich leicht an Tharaniels Rücken.
Erneut zwang er dessen Beine auseinander, drängte sich jedoch zu schnell dazwischen, als dass eine Gegenwehr wie zuvor möglich gewesen wäre. Er verschwendete keine Zeit mit weiterem Vorspiel, presste einfach rasch die Lenden an sein Becken.
Hoch und schrill hallte Tharaniels spitzer Schrei wieder. Erstaunlich schmerzerfüllt klang er, wimmerte leise, gedämpft durch Seide in welche er biss. Ein heftiges Zittern, Schaudern jagte durch seinen ganzen Körper
Wohlbekannt und dennoch lange nicht mehr gefühlt, beinahe vergessen, vergraben in alter Erinnerung, welche an den Rändern bereits vergilbte wie Pergament. Er schmeckte Blut, erzitterte wieder.
Ekel, Hass und Schmerz. Vielleicht auch ein klein wenig Wehmut nach etwas lang Verlorenen. Tharaniel biss in die Laken und knebelte sich selbst, ehe er Elliot die Genugtuung gab, mehr seiner Schreie zu hören.
Schmerzt es etwa?
Das wäre aber bedauerlich.
Elliot stieß ein nahezu boshaftes Grollen aus und legte die Hände auf Tharaniels Schultern, drückte ihn tiefer in die Laken, während er sich eng an ihn presste.
Er hatte kein Mitleid.
Bei jedem Anderen hätte er in diesem Moment wohl Bedenken bekommen, doch nicht bei Tharaniel.
Nicht bei einem ungehorsamen Diener wie ihm, der nicht einmal das Recht beanspruchen konnte, sich Mensch nennen zu können.
Nicht einmal die Kissen und Laken konnten Tharaniels geradezu erbärmliche Schreie dämpfen, während er versuchte sich zu wehren oder zumindest zu entkommen von diesem zu viel, diesem Übermaß an allem. Dumpf klang der Schattentänzer, seine ganze Gestalt schien zu erzittern, kurz wie eine Kerze in Wind zu flackern, doch nicht zu schwinden.
"Nein... Hört auf... Hört auf... Bitte... "
Nicht der Sturm war es, auch nicht der dumpfe Schmerz in seinen Rippen, der Indivia weckte, ihn aufrecht sitzen ließ.
Erbärmliches Schreien und Wimmern das durch die benachbarten Wände drang, ließ kalte Schauder über sein Rückgrat kriechen. Er erhob sich, setzte leise klirrend einen Fuß vor den anderen.
Tatsächlich hielt Elliot einen Moment lang inne.
"Aufhören?"
Mit einer Geste, die beinahe an Zärtlichkeit erinnerte, strich er durch Tharaniels Haar, ließ es durch seine Finger gleiten und betrachtete die hellen, feinen Strähnen dabei, wie sie wieder auf noch hellere Haut fiel, sich auf Nacken und Schultern legten. Dann legte er seine Lippen an diese Haut, glatt und weich, warm, so anders, als der Dämon ihm jemals erschienen war.
Verletzlich. Er war ... verletzlich.
"Das ist aber nicht besonders edel von dir - mich erst so zu verführen und dann einfach zu unterbrechen."
Betonend stieß Elliot noch einmal tief in ihn.
Dann aber lachte er leise und ließ von Tharaniel ab, ließ sich neben ihm in die Laken fallen und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
"Doch wenn du mich so herzzerreißend bittest ..."
Tharaniel stieß ein letztes, röchelndes Geräusch aus, als würde er an seinem eigenen Wimmern ersticken. Er lockerte, langsam, den Griff um die Laken, während sein Kopf vorsackte, sein Körper wie eine Puppe mit abgeschnittenen Fäden liegen blieb. Er roch sein Blut eher als das er es spürte, der Schmerz, welcher seine Wirbelsäule empor kroch fraß mit gierigen Zähnen jeden Nerv, tränkte ihn in Feuer.
Mit rissigen Lippen, aufgeplatzt und blutig, murmelte er leise, drehte den Kopf leicht. Er zitterte, heftig und blickte mit glasigen Augen durch den Schleier an hellem Haar.
Indivia spürte nur sein Blut aus dem Gesicht rinnen, er fühlte nur kalte, klebrige Furcht vor jenem Mann, der ihm so selbstverständlich Unterkunft geboten hatte. Bis jetzt hatte anscheinend nur... Nur der Diener ihn bemerkt und selbst der wirkte deutlich mitgenommen, geschändet gar.
Ein sanftes, leises Wimmern wich aus der Kehle des Barden, ehe er die Hände vor den Mund schlug. Zurück wich.
"Schsch", murmelte Elliot und fuhr erneut sanft durch Tharaniels Haar. "Es ist vorbei. Es passiert dir nichts."
Er strich zärtlich eine Träne von der blassen Wange des Dämonen, legte dann die Arme um ihn und zog ihn dicht an sich, küsste die schweißnasse Stirn.
"Möchtest du dich selbst verarzten oder-"
Er brach ab, als er einen hohen Laut aus Richtung der Tür hörte.
Stirnrunzelnd hob er den Kopf, erhob sich behände und schlüpfte in seine Hose, eilte zur Tür, von der das vertraute Gesicht seines Goldkehlchens gerade Abstand nahm.
"Indivia, mein Freund.
Was kann ich für dich tun?"
Er hat Euch gesehen.
Höhnisch klang Tharaniel wenngleich auch atemlos, flach vor Schmerz. Er erzitterte leicht, beobachtete wie der junge Barde kreidebleich zurück wich, zitterte als wollten seine Knochen gleich zerspringen.
Je näher Elliot kam, desto panischer wirkte Indivia, als der Lord dann auch noch das Wort erhob, flüchtete der Barde mit einem Aufschrei der Angst.
Ja, das hat er.
Und dich auch.
Elliot trat wieder von der Tür weg und musterte die gebrochene Gestalt auf seinem Bett mit einem spöttischen Lächeln, ehe er sich wieder zu Tharaniel setzte. Es erfüllte ihn mit einer gewissen Genugtuung, ihn so dort zu sehen. Schwach, kraft- und hilflos, völlig ausgeliefert. Er hatte lange nach der Schwachstelle seines Dieners gesucht, aber er hätte niemals erwartet, dass sie an dieser Stelle liegen würde.
Und deinem Ton nach zu urteilen geht es dir wieder gut genug, um zu beenden, was wir angefangen haben.
Sacht zog er mit dem Finger die Wirbelsäule Thraraniels nach.
Beinahe sofort verspannte Tharaniels Körper sich, er presste die Zähne zusammen und sah fort, zur Tür. Seine Gestalt schien erneut zu flackern, als wolle er fort doch konnte es nicht.
"Also doch nicht ..."
Elliot gab sich große Mühe, enttäuscht zu klingen, doch er vertraute darauf, dass sein langjähriger Diener den unterschwelligen Spott hören konnte.
"Zu schade, bei einem hübschen Körper, wie diesem hier."
Er fuhr sich durch das schwarze Haar und lachte gutgelaunt.
Fass mich nicht mehr an!
Dunkles knurren drang aus der Kehle des Schattentänzers, nachdem er sich umständlich erhoben hatte, auf unsicheren, langen Beinen seine nasse, unbrauchbare Kleidung einsammelte. Er war noch bleicher als sonst, die Miene wächsern, beinahe fiebrig.
Sonst geschieht was?
Mild interessiert beobachtete Elliot den Dämonen dabei, wie er seine Sachen auflas, zittrig, bleich, mit wirrem, halbgetrockneten Haar, Blut, das langsam seine Schenkel herabrann. Ein trauriger Schatten seiner Selbst, so schien es ihm.
Schließlich erhob auch Elliot sich und legte seinerseits seine Kleidung wieder an. Es schien, als hätte das Spielchen mit Tharaniel wieder einmal dafür gesorgt, dass es weitaus mehr Unannehmlichkeiten zu beseitigen gab, als es wert gewesen wäre. Andererseits war wahrscheinlich alleine dieser Anblick mehr wert als jegliche Unannehmlichkeit jemals wieder ausgleichen könnte.
Ehe er aus der Tür trat, drehte Elliot sich noch einmal zu seinem Diener um.
Noch ein kleiner Befehl für dich, bevor du dich ausweinen kannst:
Wenn du den kleinen Diva das nächste Mal siehst, wirst du ihm glaubhaft versichern, dass unsere kleine Affäre von dir gewünscht war und nichts gegen deinen Willen geschehen ist.
Und du wirst nichts tun oder verlauten lassen, was dem widerspricht.
Nein.
Tharaniel streifte sich ächzend seine Kleidung über und biss heftig die Zähne zusammen, vibrierte dumpfer Schmerz doch in ihm wieder.
Diva wird mir nicht glauben.
Deswegen sagte ich, dass du es ihm glaubhaft erzählen sollst.
Und du solltest besser wissen als ich, dass es kein "nein" für meine Befehle gibt.
Mit diesen Worten verschwand Elliot nach draußen in den Flur, um Indivia von Dummheiten abzuhalten.
Bitterlich kalt war Indivia , er zitterte heftig und spürte seinen Magen sich wölben, saure Galle auf seiner Zunge erscheinen.
Der Salon war trotz des eisernen Schweigens eine Rettung, er platzte hinein, bleich und weinend und zittrig.
Emilia blickte erschrocken auf und starrte Indivia an, als dieser durch die Tür gestolpert kam.
Schnell erhob sie sich, raffte ihr Kleid und eilte zu dem jungen Mann, der ganz außer sich schien, als wäre er Zeuge eines großen Grauens geworden.
"Was ist los?", fragte sie besorgt, als sie Indivia erreicht hatte, reichte ihm einen Arm zur Stütze und führte ihn zum Sofa.
"Er.. Er... ", Indivia zitterte heftig und würgte, unterdrückte den Reiz seinen Magen auf die teuren Polster zu entleeren.
Emilia hob einen Zipfel ihres Kleides an und tupfte damit vorsichtig Indivias Tränen ab.
"Was ist mit ihm?"
Als sie sah, wie bleich er war, wie er würgte und schluckte, warf sie Arahiel einen hilfesuchenden Blick zu.
"Kannst du uns bitte die Türe zum Garten öffnen?"
Eben dorthin führte sie Indivia.
"Ich... Ich will hier weg ", flüsterte ein verängstigt klingendes Stimmchen leise, ließ Arahiel zwar kalt, doch schien bei Emilia offene Türen einzurennen.
"Warum?", fragte Emilia sanft.
Sie hatte die Tür nun doch selbst geöffnet, Indivia nach draußen gebracht, wo sich der Wind mittlerweile einigermaßen gelegt hatte und die überdachte Terasse ohnehin kaum erreichte.
Vorsichtig legte sie die Hände an seine Schultern und schaute ihm sorgenvoll in die Augen.
"Was ist passiert? Hat dir jemand etwas angetan?"
Indivia schüttelte den Kopf, nagte auf seiner Unterlippe, wusste nicht wie und ob er erklären sollte. So saß er einfach da, wie ein verängstigtes Vögelchen, zitternd und in der Hoffnung aufgeplusterte Federn hielten das böse der Welt fern .
"Er ist Schlimmer noch als sein dieser Diener... ", flüsterte der Barde, leise. "Ergötzt sich... Am... Schmerz und flehen anderer "
"Wie meinst du das?", fragte Emilia leise.
"Lord Ashsteel? Fürchtest du ihn?"
Ihre Augen verdunkelten sich leicht, als sie Indivia an sich zog, in eine - wie sie hoffte - beruhigende, warme Umarmung.
"Was hat er dir angetan?"
Indivia verbiss sich eine Antwort, nahm stattdessen den Trost einfach hin und zitterte. Er hatte geglaubt, dass der Lord so etwas wie ein Freund sein könnte. War. Und als...
Die erbärmlichen Schreie hallten in seinen Ohren wieder, er presste die Hände auf sie und konnte das Schreien doch nicht stoppen.
Gelangweilt hob Arahiel drinnen den Kopf von seinem Schwert, das er mit großer Hingabe reinigte, pflegte und polierte.
"Lord Ashsteel. Falls Ihre Indivia sucht ", der Feuerengel sah den Lord ruhig an. "Der ist mit Emilia draußen "
"Danke, Arahiel, ich suche ihn in der Tat."
Elliot warf der rothaarigen Kriegerin ein galantes Lächeln zu, ehe er in Richtung des Gartens schritt.
Irgendwie hatte er damit gerechnet, Indivia bei Emilia zu finden. Schließlich hatte er sie schon wenige Stunden früher zusammengekauert wie zwei Kätzchen in der Bibliothek gefunden - es war nur passend, dass er sie jetzt hier antraf.
Auf einer Gartenbank saß der junge Barde, zusammengekauert, in der Umarmung der jungen Frau.
Er hatte Elliot den Rücken gekehrt, doch seine Ankunft blieb nicht unbemerkt - sofort richtete sich ein fliederblaues Augenpaar auf ihn. Fragend, besorgt ... doch nicht ohne ein gewisses Misstrauen.
Abgelenkt nestelte Indivia an dem Riemen, der die Glöckchen um seinen Knöchel hielt, er versuchte eiligst zu vergessen, zu...
Unbewusst drückte Emilia den jungen Mann enger an sich.
"Hab keine Angst", wisperte sie ihm zu. "Ich bin bei dir."
Dann schaute sie entschlossen zu Lord Ashsteel auf.
"Was wollt Ihr von uns?"
Er schien unverwunderlicherweise nicht im Mindesten eingeschüchtert zu sein.
Aber er wirkte nicht, als würde er sich jeden Moment auf Indivia stürzen.
Wenigstens wahrte er den Abstand.
"Reden", erwiderte der junge Lord mit erstaunlich weicher Stimme. "Nichts weiter."
Augenblicklich versteifte sich Indivias Körper, er stockte und erstarrte, klammerte sich unbewusst an Emilia, vielleicht auch fester als notwendig.
Vielleicht war er ein Feigling, doch traute sich nicht sich um zu drehen, aus Angst wieder Augen zu sehen, deren Kälte den Winter übertrumpfte.
Sanft strich Emilia über Indivias Haar, ließ zu, dass er sich enger an sie drückte.
"Dann sprecht mit mir, Mylord", sagte sie, indem sie allen Mut zusammennahm. Was auch immer geschehen war, was auch immer Indivia gesehen oder erfahren hatte, es schien ihr nicht, als könne er darüber reden. Mit ihr nicht und erst recht nicht mit dem Mann, den er so fürchtete.
Dieser verbeugte sich nun leicht und erwiderte:
"Wie du wünschst.
Dann frage ich dich:
Weißt du bereits, was geschehen ist?"
Emilia schüttelte nur den Kopf.
Warum war er noch hier. Wieso nicht gleich endgültig geflohen...
Indivia leckte sich die Lippen und versuchte seine Starre zu überwinden, wollte nicht nochmal hören sehen fühlen.
In dem Versuch, Indivia zu beruhigen, fuhr Emilia über seinen Rücken, gestattete ihm, das Gesicht an ihrem Kleid zu verstecken, ließ Lord Ashsteel dabei jedoch keinen Moment aus den Augen.
"Bedauerlicherweise", begann dieser, "hat mein lieber Freund Indivia etwas gesehen, was nicht für seine Augen bestimmt war, und von dem ich gehofft hatte, dass niemand es sehen oder in irgendeiner anderen Weise mitbekommen würde."
Emilias Brauen zogen sich zusammen und sie legte die Arme noch schützender um den jungen Barden.
Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch der Lord hob eine Hand und sprach weiter:
"Ich bedaure es sehr, dass dies trotzdem geschehen ist, und ihn derart erschreckt hat, denn mir ist bewusst, dass die Situation auf einen Außenstehenden anders gewirkt haben muss, als sie tatsächlich war.
Ich bitte deswegen vielmals um Vergebung für meine Indiskretion."
Bevor Emilia irgendetwas erwidern konnte, irgendeine der Fragen, die sich in ihrem Kopf auftaten, stellen konnte, fuhr er erneut fort:
"Aber ich möchte auch anmerken, dass es Dinge gibt, die schwierig zu verstehen sind, wenn man selbst keinerlei Erfahrung mit ihnen hat.
Deswegen möchte ich darum bitten, mir zu glauben, wenn ich sage, dass nichts gegen den Willen eines Anderen verstoßen hat - wenngleich ich ein wenig ungeschickt war und somit Schmerz verursacht habe, der nicht beabsichtigt war."
Zuckersüße Worte und bittere Galle. Indivia stieß Emilia zur Seite, gerade noch rechtzeitig, denn sein Magen rebellierte, allein der Gedanke an leblos kalte Augen und einem blutig geschrienen Mund, brachte bittere Magensäure und das wenige in ihm wieder zum Vorschein.
Er schluckte hart, den ätzenden Säuregeschmack auf der Zunge, während in Honig getauchte Worte in seinem Hirn widerhallten, echoten.
Elliot konnte nicht anders, als ein gewisses Mitleid mit dem jungen Mann zu verspüren.
Er hatte in ihm bislang wenig mehr gesehen, als einen amüsanten Zeitvertreib, doch ihm dabei zuzuschauen, wie er sich quälte und wand unter den Erinnerungen, die er ihm beschert hatte, war ihm in hohem Maße unangenehm.
"Ich sehe, dass meine Worte dich nicht besänftigen können", bemerkte er leise.
"Das ist traurig, doch ich verstehe es.
Ich werde nun gehen - es liegt nicht in meiner Absicht, dass meine Gegenwart dich schmerzt."
Ehe er wieder ins Innere des Hauses verschwand, warf er Emilia ein Taschentuch zu, welches sie mit leerem, nichtssagendem Blick auffing. Während er sich umdrehte, konnte er noch sehen, wie sie sich über Indivia beugte, ihm über den Rücken strich und begann, sein Gesicht abzutupfen.
Die flache, blitzende Klinge von Arahiels Schwert legte sich wie eine Sperre, eine Blockade vor Elliots Brust. Der Feuerengel sah nicht mal auf, blickte beinahe teilnahmslos vor sich her.
"Was Ihr mit Eurem Haustier macht ist Eure Sache. Es ist mir auch egal." Seine Stimme klang monoton und gleichgültig. "Aber sich an schwachen Seelen vergreifen? Das setzt Euch auf eine Stufe mit Eurem Dämon. "
Arahiel sah auf und legte den Kopf schief.
"Würdet Ihr Euren Singvogel vermissen? Jetzt wo er aus seinem goldenen Käfig geflohen ist? "
Trocken lachte Elliot auf.
"Mich an schwachen Seelen vergreifen, hm?"
Er schüttelte den Kopf.
"Sei unbesorgt, für Seelen habe ich keinerlei Verwendung - also kann es dir auch weiterhin egal sein, meine Liebe."
Er schob das Schwert beiseite und setzte seinen Weg zum Flur fort, nicht ohne sich aber noch einmal umzudrehen.
"Und was Indivia betrifft:
Ich habe ihn niemals eingesperrt - ihm steht frei an jeden Ort zu fliegen, an den er sich sehnt."
Plötzlich so bescheiden?
Tharaniel wirkte in besserer Verfassung als in dem Moment wo er aus Elliots Zimmer gewankt war.
Wo ist Eure Besitzgier, wo Euer stolz mit dem Ihr Euch immer brüstet?
Ich wusste nicht, dass es dich so sehr kümmert, welche Worte ich mit einer Dame wechsle.
Ist es etwa Eifersucht, die aus dir spricht?
Er öffnete die Tür.
Abgesehen davon kann ein verletzter Vogel nicht weit fliegen.
Eine Hand ergriff seinen Ärmel.
Als Elliot sich umdrehte konnte er Emilia sehen, die sich geradezu in seinen Arm krallte.
In ihrem hübschen, bittersüß vertrauten Gesicht konnte er Angst und Sorge aufblitzen sehen, Unsicherheit, aber auch Zorn.
"Mylord ..."
"Ja, Emilia?"
Er nahm ihre Hand, zwang sie mit sanfter Gewalt dazu, ihn loszulassen, stieß sie dann jedoch nicht von sich fort, hielt ihre kühlen Finger weiter vorsichtig in seinen.
"Er ist fortgelaufen ..."
"Ja, das weiß ich", seufzte Elliot. "Aber ich glaube kaum, dass ich der Richtige bin, ihm zu folgen."
"Er ist verletzt!"
"Auch das ist mir bewusst."
Vorsichtig nahm er Emilias Gesicht zwischen seine Hände, schaute ihr nachdenklich in die Augen.
"Ich werde ihn suchen lassen. Es wird nicht viel nutzen, wenn ich ihm durch meinen bloßen Anblick noch weiter verschreckte."
Er lächelte sie aufmunternd an.
"Wie klingt das für dich?"
Er beugte sich vor und küsste zart ihre Wange. Dabei entging ihm nicht, wie ihre Augen trüb und ihr Körper starr wurde, doch er ließ sich nicht davon abhalten, ihr noch einmal sanft über den Kiefer zu streicheln, ehe er sie wieder völlig losließ.
Und davon ganz abgesehen, wirst du ihn jetzt für mich suchen, Tharaniel.
Und ihn finden.
Und warum sollte ihn mein Anblick nicht noch mehr verschrecken?
Der Schattentänzer verzog beinahe angewidert den Mund, doch wich in die Schatten zurück. Er hatte keine Ahnung wo er das geflohene Goldkehlchen finden sollte, wo mit der Suche beginnen sollte.
Das kümmert mich nicht.
Du hast deinen Auftrag.
Und du wirst mein Goldkehlchen mit vollem Respekt behandeln und ihm keine Schmerzen hinzufügen.
Emilia schien sich mittlerweile aus der Schreckstarre erholt zu haben, denn sie schaute Elliot unverwandt an und sagte schließlich:
"Verzeiht mir die Frage, Mylord:
Was habt Ihr getan, das ihn so verstört hat?"
Nachdenklich runzelte er die Stirn.
"Denkst du darüber nach, ebenfalls zu flüchten, wenn dir meine Antwort darauf gefällt?"
Sie zögerte sichtlich, schüttelte dann aber den Kopf.
"Nein, Mylord.
Aber ich möchte eine Antwort erhalten."
Elliot lachte leise.
"Ich hatte dich nicht für neugierig gehalten, meine Liebe.
Aber es stört mich nicht, meine Geheimnisse mit dir zu teilen."
Er bot ihr seinen Arm an.
"Wollen wir nach oben gehen?
Dort spricht es sich besser."
Elliot führte Emilia nicht in sein eigenes Zimmer, sondern in ihres.
Er hatte in Erwägung gezogen, ihr alles zu offenbaren, das zerwühlte und mit Blutstropfen befleckte Laken für sich selbst sprechen zu lassen, doch er hatte es sich anders überlegt. Ein ruhiger, ungestörter Ort, über dem nicht die schwere, erdrückende Luft des Geschehenen hing, erschien ihm dann doch bessere Wahl. Falls sie mehr sehen musste, könnte er noch immer mehr zeigen.
So führte er sie zum Samtbezogenen Sofa, setzte sich neben sie, nachdem sie sich darauf niedergelassen hatte.
"Antworten willst du also, meine Liebe."
Das blonde Mädchen nickte zögerlich. Ihre Haltung war sichtlich angespannt, ihr Blick huschte aufmerksam umher. Emilia mochte naiv und unbedarft sein, doch sie war nicht vollkommen närrisch und einfältig.
"Nun, dann lass mich dir zuerst eine Frage stellen."
Sanft legte Elliot einen Finger unter das Kinn der jungen Dame und hob es leicht an, sodass ihr nichts blieb, als ihm direkt in die Augen zu schauen.
"Bist du noch unberührt?"
Sofort verkrampfte sie sich sichtlich, dieses Thema war offenbar ein sehr wunder Punkt bei ihr.
Still wertetete Elliot dies als ein "Ja", so unwahrscheinlich es ihm bei einem Mädchen ihres Äußeren auch erschien.
Er ließ sie los und lehnte sich zurück, lächelte dabei.
"Du musst mir keine Antwort darauf geben.
Ich weiß schließlich, dass du sie selbst nicht kennst."
Nachdenklich strich er sich durchs Haar, betrachtete eine glänzende, pechschwarze Strähne zwischen seinen Fingern.
"Worauf ich hinauswill ist folgendes:
Es gibt Dinge, die man nur versteht, wenn man es nicht mehr ist."
"Was mein lieber Freund jedenfalls gesehen hat", fuhr Elliot fort, die Augen immer auf Emilias starre Züge gerichtet, "hat er zweifelsohne deshalb missverstanden, weil er so unschuldig ist und nicht viel von derartigen Dingen versteht."
Die junge Frau rührte sich nicht, sie schien wie betäubt, ihre Blick ruhte fest auf ihm, doch er war nicht sicher, ob sie ihn wirklich sah. Er schenkte ihr ein schmales Lächeln, mit einem Hauch von Melancholie, ehe er sagte:
"Als Lord führt man ein einsames Leben, Emilia.
Man gewöhnt sich schnell daran, eine Maske zu tragen, weil das, was dahinter liegt, nicht erwünscht ist. Weil das, was dahinter liegt, nur behindert und nie dem gerecht werden kann, was man zu sein hat.
Aber", er beugte sich wieder vor und berührte ihren Arm, was sie zusammenfahren ließ, ohne dass sich irgendetwas anderes an ihr bewegte, "das, was dahinter liegt, verschwindet nicht, wenn man es wegsperrt. Es wird nur gieriger, wilder, quälender, ungeduldiger. Und es kommt hervor, sobald man die Maske fallen lässt."
Elliot lächelte weiter, doch es lag keine Freude darin, und er konnte Emilia ansehen, dass auch sie das erkennen konnte. Sie blinzelte nicht, wandte ihre unglaublich weiten Augen nicht ab, wich nur immer weiter zurück, während der junge Lord näher rückte.
"Eine kleine Liebelei sollte es sein, um ein unstillbares Verlangen zu lindern, dass ich zu lange zurückgehalten habe. Aber diese Gelegenheit hat mich unvorsichtig gemacht, gröber, als ich es beabsichtigt hatte, und ich habe ihn dabei verletzt, ohne es zu wollen ..."
Emilia lag nun mehr auf dem Sofa, als dass sie saß, halb unter ihm begraben, hatte Elliot sich doch nach und nach immer mehr über sie gebeugt. Sie hatte die ganze Zeit keinen Ton von sich gegeben, ihn nur regungslos angestarrt, wie eine Puppe, die weder schreien, noch sich zur Wehr setzen konnte. Doch als Elliot nun die Hand nach ihr ausstreckte, seine Fingerkuppe ihr Schlüsselbein berührte, erzitterte sie heftig, kniff die Augen fest zusammen und drehte den Kopf weg, während sie verzweifelten Tons wisperte:
"Nein ... bitte nicht ... bitte ..."
Sie schien nicht damit zu rechnen, dass er diese Worte erhören würde, doch Elliot ließ beim ersten Ton, der ihre Lippen verließ, von ihr ab und setzte sich wieder aufrecht, in gesittetem Abstand zu ihr hin.
"Das sagte er auch", antwortete er leise. "Und ich habe aufgehört."
Zitternd saß Emilia da und wusste nicht, was ihr mehr Angst machte:
Das, was Lord Ashsteel mit Indivia getan hatte, oder das, was er mit ihr hätte tun können.
Sie wollte nicht daran denken, doch sie konnte nicht anders, vor ihrem inneren Auge taten sich Bilder auf, Abgründe, sie musste sich vorstellen, wie er Indivia, seinen zarten Leib unter sich begrub und ... und plötzlich war sie an einem anderen Ort.
Ein lichter Raum, offene Fenster, in der leichten Sommerbrise wehende Vorhänge.
Ein Bett, weich von den Daunen, mit denen es gefüllt war.
Augen, offen, zu offen, nackt dahinter.
Gierig schlingende Lippen.
Doch was sollte eine Puppe dagegen tun?
Was konnte eine Puppe anderes tun als starr ertragen, in welche Kleider man sie zwängte, welche Spiele man mit ihr spielte, welche Worte man in ihren zugenähten Mund legte?
Eine Puppe kannte kein Leid, eine Puppe kannte keine Freude.
Eine Puppe war nur, was man ihr zu sein befahl ...
Da war sie wieder, diese Leere, diese Verlorenheit in Emilias Augen. Dieser entrückte Ausdruck, den Elliot schon einige Male an ihr gesehen hatte, als würde sie in einer anderen Welt schweben. Wie ein fremdartiges, exotisches Wesen, das man aus seiner Heimat entführt hatte, das aber wusste, dass es niemals hierher gehören würde.
Und dann geschah etwas seltsames, etwas, was er noch nicht an ihr gesehen hatte. In Emilias Augenwinkel erschien ein einziger, klarer Tropfen, rann ihre Wange herab und versank schließlich in ihrem Dekolleté.
Stirnrunzelnd streckte Elliot eine Hand aus und bewegte sie vor ihren Augen, doch sie zeigte keine Regung. Erst, als er vorsichtig ihre Hand berührte und fragend ihren Namen rief, wurde ihr Blick wieder klar, richtete sich erschrocken auf ihn. Und mit unwahrscheinlicher Kraft - so erschien es ihm zumindest - umfasste sie sein Handgelenk, klammerte sich geradezu daran.
"Indivia ist keine Puppe", hauchte sie.
Elliot schwieg einen Moment verwundert, antwortete dann:
"Das weiß ich."
Er versuchte, sich ihrem Griff zu entwinden, doch es gelang ihm nicht.
Außerdem lenkten ihn diese Augen, erfüllt mit einer Traurigkeit, die ihresgleichen suchte, zu sehr ab.
"Warum?
Warum ... warum hast du das dann getan?
Warum dachtest du, dass du ihm das antun könntest?"
Elliot starrte sein Gegenüber perplex an.
"Angetan?
Er wollte es doch nicht anders-"
Der Ausdruck in ihren Augen, das kurze Aufflackern von intensiven Zorn ließ ihn verstummen.
Noch jemand, der keine Puppe ist ...
Er ließ sich Emilias Worte noch einmal genau durch den Kopf gehen und fragte dann langsam:
"Du glaubst, dass ich Indivia verführt habe?"
Sie starrte ihn weiter an, hielt ihn weiter fest, doch eine Spur von Unsicherheit war in ihre Augen getreten.
Elliot schüttelte den Kopf.
"Es war Tharaniel, mein Diener - der im Übrigen den ersten Schritt auf mich zugetan hat.
Indivia hat uns lediglich gesehen.“
Lange herrschte das Schweigen, bevor Elliot sanft feststellte:
"Das sind nicht die Antworten, die du dir erhofft hast."
Emilia hüllte sich noch einen Augenblick länger in Stille.
Schließlich antwortete sie leise:
"Es sind nicht die, die ich erwartet habe, Mylord."
Er gab sich keine Mühe, die Bitternis aus seiner Stimme zu vertreiben, als er auflachte.
"Nein, das sind sie nicht.
Das sind sie niemals."
Er stand auf und schritt zum Fenster, starrte nach draußen, wo es - obwohl der Wind abgeklungen war - noch immer wie aus Eimern schüttete.
"Indivia vertraut dir."
Aus den Augenwinkeln schaute er Emilia an, schenkte ihr ein beinahe freundliches Lächeln.
"Kümmere dich gut um ihn.
Es wird besser sein, wenn ich ihn in den nächsten Tagen in Frieden lasse."
Das Thema wurde geschlossen. |
"Genug gespielt, Goldkehlchen. ", zischte Tharaniel fletschte gefährlich die Zähne. Er lächelte und näherte sich dem fliehenden Barden, brachte ihn zu fall. Indivia kreischte erschrocken auf, kroch zurück, wollte fort, als ihm erneut die Beine unter dem Leib fort gezogen wurden. Er bäuchlings auf dem Pflaster lag.
"Shshsh, nicht schreien ", flüsterte Tharaniel sanft, zog Indivia an den Handgelenken hoch. Beinahe spielerisch hauchte er einen Kuss auf die zarten, filigranen Gelenke. "Sonst werde ich sehr, sehr böse."
Indivia schlotterte, zitterte uns das hatte nichts mit dem Regen zu tun, dem scharfen Wind oder der Kälte. Den ganzen Weg zurück zur Villa wusste der Barde nicht, wer ihm mehr Angst einjagte. Elliot weil er das Monster gebrochen hatte oder Tharaniel, der genauso wenig menschlich wie mitfühlend war.
Herr, ich bringe ein regennasses Goldkehlchen für Euch mit.
Tharaniel kicherte düster, ehe er den vernässten, verängstigten Indivia in die Villa, dieser floh sofort fort in Emilias Zimmer.
Nun, dann bist du ja doch zu etwas zu gebrauchen.
Ich bin positiv überrascht, nachdem dein letzter Auftrag alles andere als befriedigend erfüllt wurde.
Ohne etwas zu sagen, verschwand Elliot in das angrenzende Badezimmer und kehrte mit einem Handtuch zurück, welches er der verblüfft aussehenden Emilia in die Hände drückte.
"Du wirst es brauchen."
Und noch ehe er das Zimmer verlassen konnte, huschte auch schon das vermisste Vögelchen hinein.
Elegant umrundete Elliot Indivia und sagte im Vorrübergehen.
"Sorge dich nicht, mein Freund.
Emilia wird sich deiner annehmen, nicht ich."
Mit diesen Worten verschwand er im Flur, schloss die Türe hinter sich.
Selbstzufrieden kämmte Tharaniel sein - nun schon wieder nasses Haar, trug allerdings bereits wieder ein trockenes Frack. Der Dämon lächelte, spürte noch de scharf-süßen Geschmack von Indivias Furcht auf den Lippen.
Ein leiser Laut wich aus der Kehle des Barden, er riss die Tür wieder auf und schlang plötzlich die Arme um Elliots Oberkörper, versteckte das Gesicht an dessen Rücken.
"Bleib da...bitte...."
Elliot erstarrte.
Er hatte mit vielem gerechnet, sich einige Arten ausgemalt, auf die Indivia wohl reagieren würde - doch eine Umarmung war nicht unter ihnen gewesen.
Langsam hob er die Arme und berührte vorsichtig die Hände des jungen Barden, strich sacht darüber.
Er beschloss, für den Augenblick zu schweigen.
Indivia schlotterte am ganzen Körper, sein Atem ging pfeifend und flach, er zitterte vor Furcht. Seine Finger krallten sich in den Stoff von Elliots Kleidung, allein der Gedanke an Tharaniel trieb den Barden dazu beinahe in den Lord hinein zu kriechen, auf der Suche nach einem sicheren Versteck.
"Nicht...."
Elliot musste nur ein Wort sagen und Tharaniel würde wie ein bleicher Schatten harmlos werden, sich zurückziehen. Er musste nur in der Nähe bleiben.
"Was nicht?", fragte Elliot sanft und drehte sich halb um, soweit es die enge, hilfesuchende Umarmung eben zuließ.
Vorsichtig strich er eine triefendnasse Haarsträhne aus Indivias Stirn.
"Was fehlt dir?"
"Nicht weggehen.", wisperte Indivia, er bebte und schüttelte den Kopf. Ohne Blumen, geflochtenen Zöpfen und Glöckchen wirkte er noch jünger, noch zerbrechlicher als sonst, schüttelte wieder den Kopf. "Nicht."
Elliot nickte langsam.
"Natürlich", erwiderte er leise. "Ich lasse dich nicht allein, wenn du das nicht möchtest."
Vorsichtig legte er seine Arme um den Jungen, störte sich wenig daran, dass nun auch die Vorderseite seines Hemds feucht wurde.
Langsam zog er Indivia an sich, legte sein Kinn sacht auf das nasse braune Haar.
Dumpf schluchzte Indivia auf, das Gesicht vor der Welt verborgen. Er hatte keinerlei romantischen Absichten, war im Moment einfach nur noch dankbar, geschützt und sicher zu sein. Was konnte besser gegen ein Monster schützen als ein stärkeres Monster.
Zärtlich strich Elliot über Indivias Kopf.
"Wollen wir ins Zimmer gehen?", fragte er leise. "Dann könnten wir dich abtrocknen und vor einer Erkältung bewahren."
Der junge Mann sah jetzt schon aus wie ein Häufchen Elend ... ein Schnupfen wäre wirklich das Einzige, was diesen Eindruck noch verstärken könnte.
"Aber nur nicht in Eures", hörte an ein jämmerliches Stimmchen leise wispern. Indivia unterdrückte ein Anfall von rauem Husten, er ließ Elliot nur zögerlich los.
Ein Lächeln konnte sich Elliot nun doch nicht verkneifen.
"Ich dachte an Emilias, wo wir gerade schon davor stehen."
Sanft schob er Indivia durch die Tür und auf das Sofa zu, nahm Emilia, die mit undeutbarem Blick zuschaute, das Handtuch aus der Hand und legte es um den Kopf des jungen Mannes, nachdem er ihn dazu bewegt hatte, sich zu setzen.
Indivia verkrampfte seine Hände in seine nasse Kleidung, den Kopf gesenkt und sich die Behandlung widerstandslos gefallen lassend.
"Hab keine Angst", sagte Elliot sanft, als er vorsichtig versuchte, Indivia das Hemd auszuziehen. "Ich will dich nur aus den nassen Sachen wissen."
Er bedeutete Emilia, ein weiteres Handtuch und eine Decke herbeizuschaffen.
Indivia sah aus großen, grünen Augen auf, ehe er zögerlich zu ließ, dass Elliot ihm das nasse klebrige Hemd vom Leib zog, er schauderte heftig, während seine verletzte Seite inzwischen blau und violett schimmerte, auch seine Unterarme und Ellenbogen von den Stürzen auf Kopfsteinpflaster und Bordsteine schimmerten wund.
Elliot schenkte dem bloßen Oberkörper des Jungen keine große Beachtung, hüllte ihn einfach in das weite, weiche Handtuch, welches Emilia ihm reichte, bedeckte damit nicht nur Schultern und Torso, sondern auch den Schoß.
"Deine Hose muss ich dir auch abnehmen."
Beinahe sofort wurde Indivias Blick starr und entsetzt. Er erhob sich, die Decke um sich geschlungen und befreite sich umständlich von dem nassen Stoff. Dann erst ließ er sich auf dem Sofa wieder nieder, zog die Beine eng an den Körper und hüllte sich in die Decke.
Emilia hatte sich zurückhaltend auf dem vom Sofa gegenübergelegenen Sessel niedergelassen und beobachtete stumm und aufmerksam das Geschehen. Sie wusste nicht, was es war, das sie hier sah, sie wusste nicht, was Lord Ashsteel bewegte und was Indivia, wusste nicht, was sie davon halten sollte.
Aber irgendetwas musste geschehen sein, das den jungen Mann dazu bewegt hatte, zu dem Lord zurückzukehren. Da war große Angst, das konnte sie sehen, doch sie wusste nicht, vor wem oder was.
Und sie konnte auch etwas in dem Lord sehen, etwas anderes als das Monster, für das sie ihn kurzzeitig gehalten hatte. Etwas, das hinter der Maske lag, hinter einer anderen, von der er gesprochen hatte. Etwas, das ehrlicher Sorge sehr nahe kam.
Es pochte leicht, was Indivia leicht zusammen fahren ließ. Er erzitterte, doch starrte leer vor sich hin. Auf das Pochen öffnete sich die Tür und ein gewisser Diener balancierte ein Tablett mit einer Kanne Tee hinein.
Ihr wollt vielleicht noch lange Freude an Eurem Goldkehlchen haben, also habe ich mir die Freiheit genommen.
Ich hoffe für deinen Hintern, dass du kein Gift hineingemischt hast.
Elliot wartete nicht ab, bis Tharaniel das Tablett abstellen konnte, nahm es ihm stattdessen aus der Hand und bemerkte mit einem süßlichen Lächeln:
"Danke, Tharaniel, sehr aufmerksam von dir.
Wenn du jetzt so freundlich wärst, uns zu verlassen - wir würden unser Gespräch gerne in einem sauberen Zimmer fortsetzen."
Verschluckt Euch nicht an dem Zucker.
Ein giftiges Lächeln, dann war der Schattentänzer aus dem Zimmer getreten. Das alleine reichte jedoch nicht aus, um die Anspannung aus Indivias Körper zu verscheuchen. Er war angespannt, so sehr, dass seine Muskeln zitterten, zu Reißen drohten.
Es war Emilia, die sich schließlich erhob und neben Indivia setzte, ihn vorsichtig in ihre Arme zog, hoffte, ihm wenigstens ein bisschen Trost zu spenden, seine Qual ein bisschen zu lindern.
Lord Ashsteel schien dies entweder nicht zu wollen oder nicht zu können, jedenfalls stellte er das Tablett auf dem Beistelltisch ab und goss sich eine Tasse Tee ein, an der er mit nachdenklichem Gesichtsausdruck nippte. Dann ließ er sich in dem Sessel nieder, auf dem eben noch sie selbst gesessen hatte und warf Indivia einen fragenden Blick zu.
"Hat Tharaniel dir etwas angetan?"
Indivia schüttelte den Kopf. Zu deutlich hatte er klar gemacht, was sonst passieren würde. Also lieber schweigen und sich hinter Elliot zu verstecken.
Emilia konnte sehen, wie Lord Ashsteel den Mund öffnete und offenbar eine weitere Frage stellen wollte.
Doch sie selbst kam ihm zuvor:
"Bitte, Mylord ... er ist verletzt und ausgekühlt ... bitte lasst ihn in Frieden."
Vorsichtig streichelte sie über Indivias Rücken, senkte aber gleichzeitig den Kopf, denn sie wusste, dass ihr keine Widerworte zustanden.
Doch Lord Ashsteel stieß statt einer harschen Antwort nur ein leises Lachen aus.
"Da hast du wohl Recht."
Langsam zeigte der Stress seine Wirkung, Indivia fühlte sich erschöpft, ausgelaugt, er schloss leise seufzend die Augen, senkte den Kopf und schlang die Decke enger um sich.
Elliot seufzte und stand auf.
Dann schritt er zum Sofa und packte Indivia, hob ihn - überrascht von der Leichtigkeit des jungen Mannes - mit beiden Armen hoch und legte ihn schließlich ins Bett, breitete noch mit eine zusätzliche Decke über ihm aus.
"Du solltest schlafen, mein Freund."
Tharaniel.
Bezieh mein Bett mit frischen Laken.
Und halte dich von Emilias und Indivias Zimmern fern, bis ich dir etwas anderes erlaube.
Indivia stieß einen überraschend hohen Laut aus, klammerte sich wegen des plötzlichen Mangels an festem Boden unter sich an den Lord.
Wie Ihr befehlt.
Tharaniel lächelte, obwohl ihn wohl niemand sehen konnte. Er strich ein letztes Mal die Laken von Indivias Bett glatt, ehe er aus dem Zimmer huschte. Elliot konnte ja nicht wissen, dass er seiner Pflicht nachgekommen war. Und das zerrissene band mit den Glöckchen und die zerfledderte, gelbe Blume auf Indivias Bett gelegt hatte.
Leise kichernd machte er sich an das Bett seines Herrn, spann in Gedanken schon einen Alptraum für ein gefangenes Vögelchen zusammen.
Ein halb belustigtes, halb mitleidiges Lächeln trat auf Elliots Lippen.
"Du kannst mich jetzt loslassen", teilte er dem jungen Barden mit, der sich noch immer in einen seiner Ärmel krallte.
"Ich bin nämlich sicher, dass du dein Bett nicht mit mir teilen möchtest."
"A...ich... ", Indivia wurde knallrot, er stotterte verlegen und ließ Elliot so schnell los, als hätte er sich verbrannt. Das Bett teilen wollte er auf keinen Fall.
Mit keiner Regung seiner Miene zeigte Elliot, was er von dieser beinahe schon unhöflichen Reaktion hielt, ob er überhaupt etwas davon hielt.
Er lächelte nur und sagte:
"Das dachte ich mir."
Dann trat er zurück.
"Es... Tut mir leid ", flüsterte Indivia leise, das Gesicht in den Händen verborgen. Er zitterte kurz und sah durch seine gespreizten Finger, seine Augen schimmerten noch immer nass.
"Was tut dir Leid?"
Elliots Stimme klang ungewöhnlich weich.
Abwartend stand er neben Indivias Bett - er hatte Zeit.
Und dass Zeit und Geduld wichtig waren, bei diesem kleinen Goldkehlchen, das hatte er schon von Anfang an geahnt.
"Ich muss mir etwas einfallen lassen... Ihr seid zu mir freundlich und ich nutze Euch einfach aus ", murmelte der Barde leise, vermutlich mehr zu sich selbst als zu Elliot. "Irgendwie muss ich mich revanchieren "
"Lass dir Zeit damit", antwortete Elliot kopfschüttelnd. "Ich bin geduldig und du solltest erst darauf warten, dass deine Wunden heilen."
Indivia legte den Kopf schief, die Hände nun nicht mehr wie eine fleischliche Maske vors Gesicht gepresst, locker auf dem Schoß liegend, so wirkte er ruhiger. Als wäre das zitternde Bündel Elend nur Einbildung gewesen. Wenn nicht das fröhlich unschuldige funkeln in den großen, grünen Augen gefehlt hätte.
Mittlerweile hatte Elliot verstanden, dass es besser wäre, vorerst keine Fragen mehr zu stellen.
Indivia schien nicht zu planen, wieder fortzulaufen, er wirkte mitgenommen, aber wieder einigermaßen gefasst - das war vorerst das Wichtigste.
"Möchtest du jetzt schlafen?"
Müde blinzelte Indivia, dann jedoch schenkte er Elliot ein warmes Lächeln und nickte. Der junge Barde rollte sich auf dem Bett zusammen, seufzte leise.
Die Maske hielt, bis die Tür hinter ihnen beiden zu viel. Erst dann erlaubte Indivia sich, sein Gesicht zu verziehend, starr und verzogen in stummes Leid. Er weinte vor Angst ohne es zu merken. Was hatte er hier zusuchen? Warum war er nicht gelaufen?
Genug gespielt, Goldkehlchen.
Ein Käfig? Deshalb? War er deshalb nur hier?
Ich will hier nicht bleiben. In diesem Käfig, kalt und klebrig vor goldenem Honig.
Zu einem engen Ball zusammengekauert lag Indivia unter der Decke, von nichts bedeckt außer seinem klammen Haar und kalten, salzigen Tränen.
Warum nennt er mich so. Was will er von mir?!
Die Angst ebbte ab, als Indivia glaubte, an ihr zu zerbrechen. Er atmete flach, hielt sich unter der dünnen Decke verkrochen, in seiner Höhle aus Stoff, warm und klamm von seiner Haut. Doch sie kam nicht wieder. Zumindest vorerst nicht.
"Also, meine Liebe", begann Elliot mit leicht gekräuselten Mundwinkeln, als seine Zimmertür hinter Emilia und ihm zugefallen war, "da du mich so darum bittest, gibt es sicher etwas, was du heute Abend mit mir vorhast."
"Nichts bestimmtes, Mylord.
Was Ihr möchtet."
Er lachte leise und schaute das Mädchen kopfschüttelnd an.
"Was ich möchte.
Eine gefährliche Aussage, meinst du nicht?"
"Ist es das?"
Elliot seufzte und trat näher an sie heran, legte eine Hand an ihre Wange.
"Ja, für ein Mädchen wie dich ist es das.
Sicher hast auch du mittlerweile begriffen, dass es nur eines gibt, was ich zu dieser Stunde mit einem hübschen Mädchen anzufangen weiß."
Er lächelte süffisant und legte die Hände an ihre Schultern.
"Oder sehr vieles, jenachdem, wie man es betrachtet."
Emilias Reaktion fiel aus, wie er es erwartet hatte.
Die Starre kehrte in ihren Körper, die Leere in ihre Augen zurück.
Elliot seufzte und drehte sie mühelos um, schob sie in Richtung Tür.
"Aber um ehrlich zu sein, sehe ich einfach zu gut aus, um mein Wissen an junge Damen weiterzugeben, die es nicht von mir lernen wollen.
Daher liegt es wohl in unserer beider Interessen, wenn ich Tharaniel damit beauftrage, dir ein anderes Zimmer zu bereiten und auf die Gesellschaft des anderen bis morgen früh verzichten."
"Wartet ... bitte wartet, Mylord", sagte Emilia schließlich, als Lord Ashsteel schon die Türe geöffnet hatte und im Begriff war, sie hinauszuschieben. Sie schaute ihn an, sah den fragenden Blick in seinen Augen und ihr wurde genau in diesem Moment bewusst, dass er sie nur auf diese Weise behandelte, um von ihr zu hören, was sie bewegte. Aber eine Wahl blieb ihr ohnehin nicht. "Was wird mit Indivia geschehen, wenn ich Euch jetzt verlasse, Mylord?"
Lord Ashsteel schwieg, die blauen Augen, eines dunkler als das andere, nachdenklich auf der jungen Frau ruhend.
Dann aber lachte er.
"Darum machst du dir Sorgen?
Dass ich gierige Bestie mit meinen perversen Gelüsten ins Nachbarzimmer schleiche und ausnutze, dass er im Augenblick geschwächt ist?"
Er schloss die Tür und behielt Emilia im Inneren des Raums, ließ von ihr ab.
"Wie du meinst.
Ich habe weder das Recht, noch die Fähigkeit, deine Gedanken über mich zu lenken.
Aber wenn es dich beruhigt, kannst du hier nächtigen - ich überlasse dir auch gerne mein Bett."
Und so endete die Sturmnacht für sie alle.
Das Thema wurde geschlossen. |
Bitte geben Sie einen Grund für die Verwarnung an
Der Grund erscheint unter dem Beitrag.Bei einer weiteren Verwarnung wird das Mitglied automatisch gesperrt.
Besucher
0 Mitglieder und 29 Gäste sind Online Wir begrüßen unser neuestes Mitglied: White Raspberry |
Forum Statistiken
Das Forum hat 613
Themen
und
36501
Beiträge.
Heute waren 0 Mitglieder Online: |
Forum Software ©Xobor.de | Forum erstellen |