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01: Welt der Namen

in Sommer 521 08.06.2015 18:43
von Glacies Citris Herzog | 15.151 Beiträge

Das zerschrammte Gold machte einen singenden, hohen Laut, rau und kratzend, als er es in schwindelerregender Geschwindigkeit auf der abgestoßenen Kante drehen ließ. Immer wieder, schnell und mit stetiger Wiederholung, ließ Madeen die Goldmünze drehen, sandte damit Lichtreflektionen durch das Dunkel des Zeltes. Während der Tabak der Wasserpfeife erst noch zog, es zu früh war um den süßen Rauch zu genießen, dachte Madeen nach. Ein Jahr war es her. Und die drei Münzen hatte er nicht ausgegeben. Sicher, sie waren etwas verschrammt, aber nicht fort. Es waren sogar noch die Gleichen.
"Ihr seid aber spät dran, Lord", murmelte der Wahrsager mit Spott in der Stimme, leckte sich die Lippen und legte die Hand auf die tanzende, drehende Münze, brachte sie abrupt zum Stillstand. "Tsk, tsk."

Erneut stand Kalas vor diesem Zelt, welches er vor ziemlich genau einem Jahr zum ersten und bisher auch einzigen Mal betreten hatte.
Die Sonne schien an diesem Tag ebenso warm und freundlich wie damals, der dunkelblaue Stoff mit den goldenen Zierden wirkte noch genauso dezent prächtig.
Drei Jahrzehnte lang lebte Kalas nun schon auf der Welt und es schien, als würden die Göttinnen ihm einen weiteren Sommer schenken. Im vergangenen Herbst war er bettlägerig geworden und obwohl er sich zwischenzeitlich besser gefühlt hatte, waren es immer nur kurze Pausen gewesen, in denen er sie nie ganz erholt hatte.
Mit dem Winter war die Krankheit dann entgültig in seine Glieder gefahren. Fieber hatte ihn niedergeworfen, Schleim und Eiter hatten seine Atemwege belegt und kein Moment war ohne Schmerzen vergangen, sodass er sich den Tod manchmal beinahe herbeigesehnt hatte. Einzig das Wissen, dass er noch immer der Lord der Dewsides war, dass er gebraucht wurde, dass er zwei Kinder alleine zurücklassen würde, hatte ihm die Kraft gegeben, solche Gedanken zu verbannen, bittere Medizin zu schlucken und tapfer dem Schmerz zu trotzen.
In den letzten Wintermonaten, als das Wetter milder geworden war und sich auf den kommenden Frühling eingestimmt hatte, war es dann besser geworden. Zwar hatte ein erster Blick in den Spiegel ihm einen anderen Mann gezeigt, mager, bleich und verhärmt, mit stumpfen, grauen Augen doch sein Atem war wieder frei gewesen und zum ersten Mal seit langem hatte er sich nicht mehr dazu zwingen müssen, am Leben festzuhalten.
Nun erschien ihm das alles wie ein ferner Traum. Er hatte wieder Fleisch und Muskeln angesetzt, sein Gesicht hatte wieder die wohlbekannte Form angenommen, seine Augen strahlten erneut und die wenigen grauen Haare gingen in glänzendem Blond unter. Kalas lebte wieder und er war gekommen, sein Versprechen einzuhalten.
Ein letztes Mal atmete er die frische Luft ein, die vor der Stadt herrschte, dann betrat er das Zelt, wo ihn sogleich der Duft exotischen Rauchs empfing.

Durch die aufschwingende Zeltplane abgelenkt ließ Madeen die Münze los, diese kreiselte nun wirr und frei von Banden über den Tisch, blieb knapp an der Kante liegen.
"Na sowas aber auch." Das kokette Lächeln kehrte mit zynischem Unterton auf seine Lippen zurück, Madeens Augen verengten sich leicht, er neigte den Kopf leicht. "Der Lord ohne Namen. Nein warte, Lord Drewside, richtig?"

Kalas schaute den Mann vor sich lange an, ohne ein Wort zu sagen.
Er schien sich nicht verändert zu haben, sein Lächeln war genau, wie er es in Erinnerung hatte. Ebenso die hellen Augen, das dunkle, leicht zerzauste Haar. Selbst die Roben schienen dieselben zu sein, wie vor einem Jahr.
"Dewside", korrigierte er schließlich leise und setzte sich auf das Kissen, das wie im Vorjahr am Tisch und gegenüber des Wahrsagers bereitstand. "Verzeih, es war unhöflich von mir, mich nicht vorzustellen. Auch ein Mann, der es ihn in den Karten lesen kann, verdient den Namen desjenigen, der ihm etwas schuldet."
Ein feines Lächeln legte sich auf seine Lippen.
"Besonders, wenn die Karten nicht gut darin sind, sich Namen zu merken."

"Genau genommen war es die Kristallkugel, die mir Euren Namen verraten hat." Madeen lachte auf und griff dann nach seiner Wasserpfeife, nahm einen tiefen Zug, doch bot dem Adeligen nichts an. Die blauen Augen leicht zusammen gekniffen musterte er ihn. "Nun, Lord Dewside..."
Den süßen Rauch langsam zwischen seinen Lippen entkommen lassend, lehnte der Wahrsager sich vor. Er blinzelte durch dichte Wimpern auf und da war es wieder - dieses freche, beinahe selbstgefällige Lächeln, dass an seinen Mundwinkeln zupfte.
"Namen sind Schall und Rauch. Vor allem Rauch. Außerdem sind die Gesichter eher meine Stärke."

"Du bist zu beneiden, wenn Namen in deiner Welt keinen Wert haben", erwiderte Kalas nachdenklich. "Denn in meiner sind sie alles."
Ein Name war es, der Kalas seine Legitimation gab, der ihn über das meiste Volk stellte. Doch ein Name war es auch, der an seine Nachkommen weitergegeben wurde, den sie in dem Zustand erhalten würde, in welchem er ihn hielt.
Und ein Name war leicht zu beschmutzen.
Ein Kuss auf die falschen Lippen konnte das bewirken, es reichte mitunter schon, sich in den falschen Augen zu verlieren.
"Darf ich dennoch nach deinem fragen?"

"Nun. Der Name, den man meiner Person gab, der steht draußen auf dem Schild.", Madeen spielte auf das winzige Holzschild über dem Eingang des Zeltes an, mit dem Alias, den man ihm für seine Zunft verpasst hatte, für seine Kunst. Seine Kunden. "Und der Name, der wirklich meine Person und nicht bloß das Eigentum des Jahrmarkts beschreibt...Madeen."

"Madeen ..."
Ein schöner Name. Kalas sprach ihn sanft aus, weich. Ließ ihn sich auf der Zunge zergehen. Fremdländisch, seltsam. Aber schön.
Ruhig fasste er den Wahrsager wieder in den Blick und sagte dann:
"Kalas, das ist der Name, der meine Person beschreibt."
Kalas Dewside, Patriarch einer alten Familie.
Kalas, der Kranke.
Kalas, der Narr. Der Narr, der zurückkehrt, um der Versuchung ins Auge zu blicken, der er vor langer Zeit abgeschworen hat
.

Madeen lehnte sich zurück, schenkte seiner Wasserpfeife erneut Aufmerksamkeit und seiner Lunge einen tiefen Zug von süßem Rauch. Er ließ ihn zusammen mit seinen Worten über seine Zunge Rollen, nutzte ihn wie Sichtbare Untermalung seiner Stimme.
"Nun. Womit kann ich, Euch Lord Dewside dienen?" Erneut zuckten seine Mundwinkel in einem Lächeln. Er gab nichts auf Rang. Erst recht nichts auf Namen. "Was ist diesmal Euer... Begehr? "

"Mein ... Begehr", widerholte Kalas langsam. "Solltest du es nicht bereits kennen?"
Was sein Begehr war, das wusste er selbst nicht. Zumindest nicht, wohin es ihn führen sollte.
Wenn Kalas in diese hellen Augen blickte, dem wissenden, anzüglichen Lächeln ausgesetzt war, dann wusste er, was ihn lockte. Doch er konnte nicht dahinter sehen, wusste nicht, ob er in ein Paradies, in die Irre oder ins Verderben geführt werden würde. Ein Jahrmarktsbesucher, das war er wohl, doch ebenso war er ein Lord und würde niemals aufhören, einer zu sein.
Als Mann hatte Kalas Wünsche und Bestrebungen, aber auch als Lord, als Vater und Onkel.
Und erfüllte er sich die einen, konnte es sein, das die anderen dafür zurückbleiben mussten.
"Oder schweigt deine Kristallkugel zu diesem Thema?"

Amüsiert gluckste Madeen, legte das Mundstück seiner Pfeife langsam zur Seite und erhob sich. Er war kein beeindruckender Mann, nicht einmal besonders groß oder stark, aber das hatte nie jemanden gestört, ihn selbst am wenigsten. Mit langsamem, wiegenden Gang schritt er an Kalas vorbei, zog die Plane zu und sperrte damit den Großteil des Tageslichts aus. Die Stimme zu einem rauen schnurren gedämpft raunte er leise.
"Ihr habt Angst vor Konsequenzen. Die Art wie Ihr Euch haltet, wie Ihr geht und redet. Ihr fürchtet um Euren Ruf", flüsterte Madeen, hielt die Stimme leise, hypnotisch. Seine Hände legten sich sacht auf Kalas Schultern und der Wahrsager beugte sich leicht vor, führte seine Lippen nahe an dem Ohr des anderen. "Sagt mir, Kalas - was ist Euer Begehr?"

Kalas erstarrte unter der sanften Berührung, erschauerte unter Madeens Worten.
Sein Herz schlug schneller und er hielt den Atem an, weil er befürchtete, dass die Luft zu schnell, zu hektisch und laut seinen Lippen entweichen würde.
Er wagte nicht, zu antworten, wagte nicht, sich zu bewegen, zu fliehen, sich hinzugeben.
Schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, flüsterte er:
"Zu leben. Mich wieder lebendig zu fühlen."
Seine Stimme klang belegt, sein Mund fühlte sich trocken an.
"Meinen Hunger zu stillen, ohne den Namen zu beschmutzen, den meine Tochter nach mir tragen muss."
Scham brannte mit einem Mal in seinen Wangen.
Er hatte sich doch geschworen, nie wieder zuzulassen, dass ein anderer Mann ihn bezirzte, bezauberte, in Versuchung führte. Man hatte über ihn geredet, über ihn gelacht, es hatte so viele Jahre und so unendlich große Anstrengungen gedauert, seinen Stand in der Gesellschaft wieder zu festigen.
Wollte er das fortwerfen?
Wollte er seine Bemühungen zunichtemachen und riskieren, dass Elaine dazu gezwungen wäre, nach seinem Ableben seine Schande zu tragen?
Nein, das wollte er nicht. Das war eine schmutzige, lüsterne Begegnung nicht wert. Das wären tausende nicht wert.
Tief atmete Kalas ein und drehte dann seinen Kopf, fort von Madeen, fort von diesem verführerischen Lächeln, dem lockenden Blick.
Fort von den Versprechen, die nur flüchtiges Glück und bittere Enttäuschungen bedeuteten.
"Ich möchte jetzt gehen", sagte Kalas.
Gehen und nie wieder kommen.

Dunkel kicherte Madeen, ehe er Kalas' Hand nahm, etwas hinein bettete und seine Finger um den Gegenstand schloss. Der Wahrsager neigte den Kopf, küsste Kalas auf die geballte Faust um den kleinen Gegenstand.
"Dann geht, Lord. Ihr seid kein Gefangener." Das Lachen vibrierte in seiner Stimme, der kokette Blick wich nie aus Madeens Augen, als er Kalas am Arm aus dem Zelt führte." Aber vergesst nicht, Lord. Ihr gabt mir ein Versprechen."
Als Madeen zurück an seinen Tisch und an seine Pfeife kehrte, konnte er ein zufriedenes Lächeln nicht unterdrücken. Und so spielten seine Finger nun mit den verbleibenden zwei von drei Münzen. Dem Unterpfand.






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