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01. Fleischbeschau

in Sommer 527 07.09.2015 14:58
von Glacies Citris Herzog | 15.151 Beiträge

Warmes Sommerlicht, süßer Tabakgeruch, das Geräusch von Tieren und Menschen in der Nähe. Alles an sich beruhigend, gleichbleibend. Madeen hasste solche Tage. Tage, an denen das Wetter nicht zu seiner Stimmung passte, Tage, an denen er von hübschen Ladys und abgehobenen Lords begafft und begehrt wurde wie ein Stück saftiges Fleisch von hungrigen Rassekötern. Er starrte auf den Inhalt seiner Truhe, fühlte den violetten, dunklen Samt, aufreizend und anschmeichelnd.
Langsam streifte Madeen sich die Roben über, schloss jede einzelne, der goldenen, filigranen Schnallen, Gürteln und Riemen. Eine zeitraubende, heilige Prozedur.
"Fleischbeschau. Wenn du einverstanden bist."
Einverstanden? Das andere seinen Körper begehrten, nach ihm lechzten? Glaubten ihn zu lieben?
"Nur wenn es Geld gibt."
Ja, wenn es ausreichend Profit abgab, dann würde Madeen mitspielen. Würde für einige Stunden bei einer bleichen, nach Parfümstinkenden Lady oder einem überheblichen, arroganten Lord liegen. Und mit Vergnügen zusehen, wie all der Stolz, als die Arroganz unter seinen Fingern, seinen Lippen und seiner Aufmerksamkeit zu flehendem Zucken, Wimmern nach Mehr wurde.
Der Kupferne Teekessel pfiff, das Pulver stand in seiner gläsernen Phiole bereit. Alles war soweit. Nur eine Prise davon in den Tee, besser dosiert als damals bei Kalas.
Kalas.

Eigentlich wusste Kalas gar nicht, was genau ihn dazu bewegte, in diesem Jahr wieder den Jahrmarkt zu besuchen.
War es Nostalgie, Sehnsucht nach dem Vergangenen?
Gewohnheit, Tradition?
Die närrische Hoffnung, dass sich die Scherben wieder zu etwas Ganzen zusammensetzen lassen würden?
Oder diese seltsame Neugierde, mit der Madeen ihn schon immer erfüllt hatte?
Nein, am ehesten war es vermutlich, dass er die Gelegenheit dazu hatte und es ihn im Nachhinein geplagt hätte, sie nicht zu ergreifen. Dass er sich gefragt hätte, was wohl geschehen wäre, hätte er Madeen dieses Mal nicht alleine gelassen.
Ein wenig überraschte es Kalas, ihn weder vor dem Zelt mit Hennafarben, noch an seinem Wahrsagertisch vorfand.
Dann jedoch hörte er das Pfeifen einer Teekanne und wusste, wo Madeen war. Er räusperte sich, um seine Ankunft bekannt zu machen, ließ sich dann auf dem Sitzkissen nieder und wartete ab.
Er wollte nicht hinter die Trennwand blicken.

War schon der erste gierige Lord da? Zumindest klang das räuspern männlich.
Madeen seufzte, hob den Teekessel von seinem Platz über dem Feuer und ging mit wiegenden Schritten zurück, durch den Vorhang zu seinem Tisch.
Und ließ beinahe den Kessel fallen, angesichts des Besuchers.
"Lord Dewside." Ungläubiger Schmerz mischte sich überdeutlich in seiner Stimme mit. "Ich hätte nicht gedacht, dass Euch eine Fleischbeschau interessiert."
Zumindest musste Madeen dann nicht das Mittel schlucken um in Fahrt zu kommen. Sollte Kalas wirklich hier sein, um ihn... auszuprobieren, dann würde Madeen bereitwillig die Beine spreizen wie eine willige Hure.

Erstaunt und verwirrt starrte Kalas ihn an, wusste nicht, was er mit den Worten anfangen sollte.
Madeen sah atemberaubend aus, schöner noch, als er ihn in Erinnerung hatte. Wie immer trug er eine Robe, die nur Arme und Kopf freiließ, doch diese hier schmiegte sich auf eine Weise an seinen Körper, mit der jede Windung, jede liebreizende Form betont wurde. Und Schmuck trug er, goldene Armreife, die sich wie Schlangen seine Arme emporwanden.
Mehr denn je sah er aus wie ein Prinz aus einem fernen Land und in diesem Moment bereute Kalas zutiefst, was er verloren hatte.
Denn es war offensichtlich, dass Madeen sich nicht für ihn so gekleidet hatte. Nicht einmal früher hatte er das getan.
Warum auch?
Kalas war leichte Beute gewesen, hatte sich einfach verführen und um den Finger wickeln lassen. Kein Aufwand war dafür nötig gewesen, kein Gold, keine besondere Robe, lediglich die richtigen Worte und etwas Geduld. Andere waren sicher nicht derart leicht in sein Zelt zu locken und für manch andere war es sicher lohnender, sich zu schmücken.
Das war Kalas bewusst, ebenso wie die Tatsache, dass er kein Recht dazu hatte, es Madeen zu verübeln, sich andere Liebhaber zu suchen.
Trotzdem schmerzte es.
"Wie meinen?", fragte er leise und erhob sich hastig. Er wurde aus Madeens Blick nicht schlau, konnte zwar sehen, dass er verletzt war, nicht aber festmachen, was der Grund dafür war. Aber ... das spielte ja auch eigentlich keine Rolle. Er kam ungelegen, also würde er sich nicht aufdrängen.
"Verzeih", fuhr er schließlich etwas lauter fort. "Ich wollte nicht stören - ich werde wieder gehen. Habt ... hab einen schönen Tag."
Er schenkte Madeen noch ein mattes, unechtes Lächeln und schickte sich an, gleich wieder zu verschwinden. Der peinlichen, schmerzhaften Situation zu entgehen.

"Ich meine..." Madeen passierte und ließ sich auf seinem Kissen nieder, griff nach seiner Tasse und schenkte sich nach. "Dass es manchmal vorkommen kann, dass die Herrschaften die Ware aus probieren möchten. Gegen einen gewissen Aufpreis."
Sorgsam entkorkte Madeen die Phiole mit jenem Pulver, dass er auch einst in Kalas' Tee gemischt hatte. Jede Bewegung so routiniert, so kalt und maschinenhaft, als wäre Madeen kein lebendes Wesen. Nur ein Ding, das einfach funktionierte.
"Seid Ihr nicht deswegen hier? ", fragte Madeen vorsichtig, beobachtete den Lord aus klaren, blauen Augen. Seine Hände hingegen fügten eine Prise des Aphrodisiakums in den Tee, rührten um und nahmen dann die Tasse. Obwohl das Getränk noch unangenehm warm war, kippte Madeen es einfach hinunter. Er wollte das alles hinter sich bringen. "Dafür hättet Ihr allerdings keine horrende Gebühr zahlen müssen. Für Euch mach ich die Beine umsonst breit. "

Kalas zuckte zusammen, als hätte Madeen ihn mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. Diese Wahrheit hatte er nicht erwartet - und dementsprechend unerwartet kam der Stich.
"Nein", erwiderte er mit rauer Stimme. "Ich bin nicht gekommen, damit du ... um ... ich möchte nicht mit dir schlafen."
Nicht mehr, nicht unter diesen Umständen.
Nicht einmal kleine Geschenke hat er von mir angekommen - aber er verkauft seinen Körper an Fremde. Schluckt dafür dieses Gift.
"Ich wusste nicht einmal, dass ... dass du so etwas tust.
Und wie ich schon sagte - ich möchte nicht stören."

"Hm, schade." Madeen spielte gedankenverloren mit der leeren Tasse, lächelte hart und freudlos. Bis die geringe Dosis dieses widerlichen Gifts komplett durch seine Adern gebrannt wäre, dauerte es noch ein wenig und bis dahin, tat es gut sich mit Kalas zu unterhalten. "Ich war vermutlich auch zu ungenau. Manchmal, wenn Kundschaft an mehr interessiert ist, gehen Sie zu dem Direktor dieses... Jahrmarkts. Sie lassen ein paar Andeutungen fallen und einen Batzen an Geld und... dann müssen wir uns in den kommenden Tagen auf Besuch gefasst machen. Oder du bekommst so viel Aufmerksamkeit, dass du dir die... Kundschaft selbst aussuchen kannst. Beides nicht schön."
Abrupt sah Madeen auf, leckte sich lasziv die Lippen.
"Sollte dir jetzt schlecht werden, dann kannst du dich hinter dem Zelt erbrechen. Ich würde es dir nicht mal übel nehmen."

Kalas’ Brauen zogen sich enger zusammen, ein deutliches Zeichen, wie sehr ihm diese Worte missfielen.
"Über so etwas scherzt man nicht", antwortete er dunkel. Aber auch ein Hauch von Besorgnis fand sich in seiner Stimme wieder. Er verlagerte sein Gewicht auf ein anderes Bein, verschränkte die Arme. Im Augenblick war er nicht mehr im Begriff, zu gehen, doch er war auch nicht bereit, sich wieder zu setzen. "Also ... zwingt man dich dazu?"

Madeens Miene wurde weicher, seine Augen verloren ihren Glanz, wurden stumpf und müde. Er seufzte schwer, wie unter einer großen Last leidend.
"Ich zwinge mich selbst... und vielleicht auch ein wenig Druck von außen", murmelte Madeen leise, starrte lieber auf die Tischplatte als in Kalas Gesicht. "Du magst vielleicht gesagt haben, dass du verzeihst...aber ich tue es nicht. Ich kann mir nicht selbst verzeihen."

Tief atmete Kalas durch. "Es spielt keine Rolle mehr", antwortete er sanft, vielleicht ein bisschen zu sanft. "Es liegt lange zurück."
Nein, auf direkte Weise spielte es wirklich keine Rolle mehr.
Es waren die feineren, subtileren Dinge, in denen es ihn beeinflusste.
Es waren die Momente, in denen er zögerte, zu trinken, was man ihm anbot.
Wenn er vorsichtig an einem Getränk nippte oder eine Speise kostete und nach einem süßen Geschmack suchte.
Es war das Misstrauen, das ihn erfüllte, wenn er den Eindruck hatte, dass ein Lächeln, welches ihm galt, eine Spur zu anzüglich war.

Leise murmelte Madeen etwas in das Holz des Tischs und ächzte dann. Er strich sich durch das Haar, grell blitzte das Gold der Schlangenarmreifen auf seiner dunklen Haut auf.
Sein Blick war müde, traurig und mutlos. Der Gefühl von erfrieren kam nicht etwa, weil ihm wirklich kalt war, es kam von innen. Eine Wunde die Eis anstelle des Blutes absonderte.
"Mag sein." Langsam erhob Madeen sich, der samt schien ihn hinab zuziehen, zu erwürgen. "Glaubst du an Karma?"

"Karma?"
Stirnrunzelnd legte Kalas den Kopf schief.
"Was ist das?"
Er war sicher, das Wort schon einmal gehört zu haben, doch die Bedeutung entzog sich ihm. Und mit ihr der Sinn der Frage.

"Dass alles, was wir einmal getan haben, irgendwann zurück kommt und uns in den Arsch beißt." Madeen Straffte sich, schluckte schwer. Er nahm die Schultern zurück, den Kopf stolz gehoben. Und dennoch, egal wie erhaben, schön und stolz er wirkte, seine Augen behielten ihren leeren, dumpfen Ausdruck. "Ich sollte gehen... Danke für deinen Besuch, Kalas."

"Auf Wiedersehen", erwiderte Kalas leise.
Kurz bevor er endgültig nach draußen trat, drehte er sich noch einmal zu Madeen um. Sein Blick war traurig, als er sagte:
"Alles kommt eines Tages zu uns zurück."
Dann ging er.






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