Brief an ein Feenmädchen
in Kurzgeschichten 05.06.2014 12:11von Glacies Citris • Herzog | 15.151 Beiträge
Dein Name war Linnea und du warst eine Fee.
Ich wusste es von dem Moment an, da ich dich zum ersten Mal erblickte.
Du standst dort, auf dem Hügel, allein.
Mit deinem roten Haar, in dem ein goldener Schimmer lag, spielte der Wind, zerzauste es, ließ es gleich einer Flamme flackern.
Und dann, als ich näher trat und du dich zu mir umdrehtest, als deine weiten, grauen Augen mich in ihren Blick nahmen, in mich hinein zu schauen schienen und etwas tief in mir aufwühlten, wie es noch nie etwas vermocht hatte – von diesem Moment an wusste ich, dass du nicht von dieser Welt warst, dass eine Fee sich unter die Menschen gemischt hatte.
Du sagtest nichts, führtest uns nur schweigend ins Dorf und verschwandst wieder. Und beinahe hätte ich geglaubt, dich nie wieder zu sehen, dass du in deine Feenwelt zurückgekehrt warst, auf immer vor den Augen der Menschen verborgen.
Doch ich traf dich erneut.
Erinnerst du dich, Linnea?
Morgens am Brunnen, noch ehe der erste Hahn gekräht hatte, als ich müde von der Nachtwache zurückkehrte und nichts mehr ersehnte, als meine Rüstung und mein Schwert niederzulegen und die Augen zu schließen, traf ich dich erneut.
Es war an diesem Morgen, da ich deinen Namen erfuhr, Linnea, und du mich nach meinem fragtest. Und ich wusste, dass ich, welche Macht du dadurch auch über mich erlangen, welchen Fluch, welchen Zauber du auch immer damit auf mich legen könntest, ihn dir sagen würde. Und dass es mir gleich wäre, willkommen sogar, wenn ich ihn dadurch nur einmal von deinen Lippen hören würde.
Du lachtest, als ich dir das viel später sagte.
Und womöglich war dies dein gutes Recht, denn du brauchtest meinen Namen nicht, um mich unter deinen Zauber zu setzen.
Wir waren so jung, Linnea, wir beide, auch du als Fee. So jung, so voller Hoffnung und Träume.
Viel lachten wir miteinander, viel träumten wir miteinander, viel hofften wir miteinander.
Gemeinsam tanzten wir am Abend des Blütenfestes unter den Sternen, vergnügt und frei.
Gemeinsam lagen wir nebeneinander im Gras jenes grünen Hügels und schauten den Wolken zu, fragten uns, ob dort, wohin sie flogen, auch das Schwert regierte oder ob dort eine Umarmung wohl mächtiger war.
Gemeinsam sahen wir die Blätter fallen, rot wie die Funken eines verglühenden Feuers oder das Blut der Gefallenen in der Ferne.
Gemeinsam liefen wir durch Schnee, rein und unberührt wie unsere Herzen noch waren, nicht daran denkend, dass auch diese Schönheit einst befleckt werden würde.
Und dann kam das zweite Blütenfest, aber diesmal blieben wir nicht auf dem Dorfplatz. Gehüllt in Sternenlicht standen wir auf dem Hügel und schauten gemeinsam in den Himmel, bis ich dich anblickte und vier Worte sprach.
Ich weiß noch, wie deine Augen sich weiteten, wie du einen Moment lang verharrtest und wie du dann zu lächeln begannst und ein einzelnes Wort deine Lippen verließ.
Ich weiß auch noch, wie sich deine Lippen anfühlten und deine Finger, als wir Hand in Hand den Hügel verließen, den Versprechen der Nacht entgegen.
Ich weiß auch noch, wie traurig deine Augen waren, Linnea, als der Tag kam, da ich gehen musste, wie du trotzdem tapfer lächeltest.
Wie du versprachst, dass du warten würdest, auf den Tag meiner Rückkehr, dass du auf diesem Hügel stehen und mich empfangen würdest.
Und wie wir beide insgeheim fürchteten, dass dieser Tag nicht kommen würde, dass du für immer warten würdest.
Nur einmal drehte ich mich noch um, als ich den Hügel nur noch aus weiter Ferne ausmachen konnte.
Doch du warst schon verschwunden, Linnea.
Niemals vergaß ich dich, Linnea.
Wenn ich nachts am Feuer verharrte, unfähig zu schlafen, mein Schwert fest im Griff, konnte ich dein Gesicht vor mir sehen.
Wenn lange Märsche und eiserne Rationen an meiner Kraft zehrten, dachte ich an dich, wusste dass du wartetest, dass ich weiterlaufen musste.
Wenn meine Hände befleckt waren von dem Blut meiner Feinde, vergossen durch mein Schwert, wenn ich danach zitternd und blass die Klinge sinken ließ, erinnerte ich mich an dich und wie glücklich wir gewesen waren.
Ich war ein Narr, Linnea.
Ich hatte geglaubt, dass dieses Glück, diese Zukunft es war, für die ich kämpfte, die ich verteidigen musste.
Doch in Wahrheit war es andersherum.
Die Erinnerung an dieses Glück, die Hoffnung auf eine Zukunft waren es, die mich beschützten, die mir Kraft gaben, die mich auffingen, ehe ich in den Abgrund des Wahnsinns stürzen konnte.
Dein Zauber war stark, Linnea.
Und so kehrte ich schließlich zurück, sah den Hügel schon von weitem.
Wie ich hoffte, dass du dich erinnertest, Linnea, an unsere Versprechen:
An meines, zurückzukehren, und an deines, zu warten.
Und du hast gewartet.
Auf dem Hügel hast du auf mich gewartet, wie du es einst versprochen hattest.
Ich erinnere mich an alles, an jeden Augenblick mit dir.
Selbst jetzt, da ich hier knie, auf diesem Hügel, selbst jetzt, wo ich mit Tränen in den Augen diesen Brief schreibe, selbst jetzt, da ich auf diesem Hügel vor deinem Grab knie, erinnere ich mich daran, wie glücklich wir waren.
Und es schmerzt mich umso mehr.
Du bist zurückgekehrt, Linnea, in deine Feenwelt, auf immer vor meinen Augen verborgen.
Und ich kann nur hoffen, dass dieser Brief dich erreicht, dass auch du dich erinnerst, wie glücklich wir waren.
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