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Das letzte Fest

in Kurzgeschichten 14.05.2015 12:41
von Ragnarök Adliger | 7.002 Beiträge

Ebenso rasch wie die Musik einsetzte, begann auch der Tanz. Es war mitreißend, stockte und flutete dann wie das Meer gegen den Strand, ein stetiges Zusammenspiel aus Musik und Bewegung. Ein Geigenton hier, einen Schritt zur Seite, Röcke wirbelten, Absätze untermalten jeden Schritt mit unterschiedlich hohen Tönen.
„Auf das ewige Leben. Auf Anastra“, hatte die Rede des Königs begonnen. Mit Jubel hatte sie geendet, mit Tanz und Wein und Freude und Musik. Doch so gab es doch nicht nur glückliche Gesichter in der Menge, die tanzend, lachend, speisend und feiernd das Anbrechen eines neuen Jahres priesen.
„Trevelyan, wenn du weiterhin so missmutig in deinen Wein blickst, so wird daraus noch Essig.“ Der König war betrunken. Ausgelassen. Diese Fröhlichkeit ließ bitter die Galle in Trevelyans Kehle empor steigen, wie ein pelziger Belag breitete sie sich auf der Zunge aus, tränkte jedes seiner Worte mit kaltem Gift.
„Und du, werter Sohn, bist so betrunken, dass du dich vor deinem eigenen Volk zum Narren machst“, zischte Trevelyan zurück, sein sonst blaugrüner Stirnjuwel nun giftgrün. „Oh, verzeiht, ich meinte natürlich, Lian Salmanin.“
Anscheinend war der Alkoholgehalt in Salmanins Blut noch nicht hoch genug, denn seine Lippen pressten sich verärgert zu einem schmalen, harten Strich zusammen, gab dem auch sonst sehr scharf geschnittenen Gesicht einen beinahe hinterhältigen Ausdruck. Trevelyan und Salmanin mochten Vater und Sohn sein, doch ihre Ähnlichkeit endete mit dem gleichen, weißen Haar. Salmanin, König von Anastra und Vater des zukünftigen Kronprinzen Orome, schnaubte nur, die Wangen rosig vom Wein, das sonst orangerote Stirnjuwel, Kennzeichen der stolzen Kristallelben, buttrig gelb vor unterdrücktem Zorn.
„Was ist es diesmal, dass dich derart stört, Vater?“ Leise sprach der König, gepresst und lispelnd. Beinahe wirkte es, als könne er seine Zunge sonst nicht im Zaume halten. „Du wirst nie Ruhe geben, oder?“
„Ah, Lian“, der andere Kristallelb verzog die vollen Lippen zu einem beinahe garstigen Lächeln, die braunen Augen dunkel glitzernd. Trevelyans Juwel wurde – falls möglich – noch grüner. Er spielte mit seinem Sohn, spielte wie er es immer getan hatte, seit dieses zweite, winzige Bündel an Leben aus dem Schoß der Königin gekrochen war. Und würde immer weiter spielen und reizen, selbst wenn sein Spiel den Hof in zwei Hälften zerriss, die einander bis aufs Mark hassten.
„Darum geht es dir? Um den Titel?“ Salmanin fletschte die Zähne, beugte sich abrupt vor, eine Bewegung die seine Krone aus dem Gleichgewicht brachte. Zornige, blaue Augen bohrten sich in Braune. „Du warst es, der freiwillig den Thron abtrat.“
„Der Thron und der Titel bedeutet mir nichts.“, gleichgültig winkte Trevelyan ab und erhob sich, den Kelch mit Wein in der Hand. „Auf die Königin, auf den König und auf ihre Nachkommen!“
Der Hof applaudierte, vielen fiel die Zweideutigkeit in der Stimme des alten Lian nicht auf. Dieser schleimig-zynische Unterton, der sich wie Öl auf die Haut legte und klebrig haften blieb, sich nicht löste.
„Hoffentlich explodiert dein Juwel und reißt dir den Kopf ab!“, zischte Salmanin, während er sich an seinem lächelnden Vater vorbei schob. Aus dem Saal flüchtete.
„Hoffentlich, liebster Sohn“, hallten die leisen, giftigen Worte noch hinter Salmanin her. „Hoffentlich erlebst du den Tag, an dem dein Bastard den kostbaren Orome vom Thron stürzt.“

zuletzt bearbeitet 14.05.2015 12:51 | nach oben springen
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