01: Sommerhitze
Sommerhitze trocknete sein Haar, seine Haut beinahe sofort. Machten den Nachmittag gerade so ertragbar. Allein der Gedanke an Kleidung auf seinem Körper, egal wie luftig und leicht, ließ Indivia schwitzen. Die Erfrischung des Bads war wie weggewischt, als der junge Barde in seine weite, luftige Hose geschlüpft war.
Zumindest der Marmorboden unterseinen nackten Füßen war angenehm kühl. So dass er sich beinahe auf ihn ausstrecken wollte. Ohne Angst haben zu müssen, unter verschwitzten, kichernden Kinderleibern begraben zu werden.
Er musste sich im Allgemeinen keine Gedanken mehr machen. So hatte seine Mutter zumindest bei ihrer Abreise gesagt. Lord Ashsteel hatte Wort gehalten. So hatte seine Familie hier überwintern dürfen, waren sogar speckiger abgereist als angekommen.
Während Indivia mit routinierten Bewegungen sein nasses, dickes Haar kämmte, es flocht, blieben die boshaften Hintergedanken. Denn alle, angefangen von seiner kleinsten Schwester, ein neugeborenes Baby, bis hin zu Rahin, den Gefährten seiner Mutter hatten Alpträume bekommen. Und das nagte an ihm. Es machte ihm Angst. Seine eigenen waren immer schlimmer geworden, manchmal war er nachts davon erwacht, weil er sich die eigenen Nägel ins Fleisch seines Arms getrieben hatte.
"Bleib hier, India."
Das hatte seine Mutter gesagt.
"Dann werden wir immer einen Ort zum Überwintern haben."
Waren ihre Worte. Doch...was sie wirklich gesagt hatte...
"Du bringst Unglück.", murmelte er leise, wischte sich über die sonnengeküsste Haut seiner Arme, ehe er eine grüne, weite Weste überstreifte, in den Taschen seine Panflöte, ein neues Bündel Lederriemen und einige goldene Glöckchen. "Das meintest du doch. Oder, Mutter?"
Nicht einmal die sommerliche Hitze konnte Emilia vollständig wärmen
Ihre Finger blieben kühl, auch nun, da sie über die Tasten des Klaviers tanzten, keinen Noten folgend sondern nur dem, was das Unbewusste ihnen eingaben.
Lord Ashsteel hatte ihr gestattet, das Musikzimmer nach Belieben zu benutzen, was den Geräuschen aus dem Zimmer seines Bruders einen Tobsuchtsanfall zur Folge gehabt hatte. Emilia hatte auch erst später gewagt, diese Erlaubnis zu nutzen, nachdem der Junge in ein Internat gebracht worden war. Sie hatte ihn nicht gekannt, doch anscheinend war er ein wildes Kind gewesen, stur, das weder dem älteren Bruder, noch den Hauslehrern gehorcht hatte. Lord Ashsteel hatte das gleiche arrogante Lächeln getragen, wie immer, als er von der Kutsche zurückgekehrt war, in welche er den Jungen gesetzt hatte, und bemerkt, dass es nur zu seinem besten sei und er es sich selbst zuzuschreiben hatte, doch sie hatte tiefe Besorgnis hinter der selbstgefälligen erahnt.
Das war gegen Ende des letzten Winters gewesen und seitdem hatte Emilia wohl die meisten ihrer Stunden im Musikzimmer verbracht, meist alleine, oft mit Indivia und selten sogar mit Lord Ashsteel selbst, der dann immer wie zufällig hereinkam und ihr Spiel bewunderte, mit seiner Honigzunge allerlei Schmeicheleien über sie regnen ließ. Doch wann immer sie fragte, ob er etwas über ihre Vergangenheit, ihre Herkunft in Erfahrung gebracht hatte, vertröstete er sie oder wich aus ...
Als hätte Emilia in Gedanken versehentlich höhere Mächte beschworen, knarzte hinter ihrem Rücken die Tür und sie hörte eine vertraute Stimme gutgelaunt sagen:
"Erst hatte ich erwartet, dich hier mit Indivia anzutreffen.
Aber diese Melodie spielst du nur, wenn du alleine bist."
"Ich bin unbegabt, Mylord", erwiderte Emilia, ohne aufzublicken, und berührte flüchtig den kühlen Anhänger um ihren Hals. Seit man ihn ihr damals gebracht hatte, aus dem Gasthaus, gemeinsam mit ihren anderen Sachen, trug sie ihn beinahe ständig. Es hatte etwas beruhigendes, sich zu vergewissern, dass er noch da war. "Mein Geist gibt mir nichts Neues ein, das ich spielen könnte und die Hitze lässt Notenblätter vor meinen Augen verschwimmen."
Die letzten, langsam ausklingenden Töne wurden von Lord Ashsteels Lachen begleitet.
"Ach ja, diese Hitze.
Das trifft sich gut, dass du sie auch fühlst.
In der Küche wird nämlich gerade frische Limonade zubereitet."
Nun drehte Emilia sich doch um und schaute ihren dauerhaften Gastgeber an.
Er trug dunkle Farben, Hemd und Hose schienen aus dünner Seide zu bestehen und das pechschwarze Haar hatte er zusammengebunden. Sein Ausdruck war unbeschwert wie immer, doch kleine Schweißperlen in seiner hellen Stirn und eine gewisse Müdigkeit in seiner Haltung verrieten, dass auch ihm die Temperaturen zu schaffen machten.
"Möchtet Ihr nicht lieber der Lady ein Glas davon anbieten, als mir beim Spielen bescheidener Träumereien beizuwohnen?"
"Von welcher Lady sprichst du?"
"Von der, die Euch gestern Abend Gesellschaft geleistet hat."
"Ach, die Lady Genivive ... sie hat mein Haus schon wieder verlassen. Eine flüchtige Bekanntschaft, weiter nichts. Schließlich bist du die einzige Dame in meinem Leben."
Tharaniel und Arahiel waren die einzigen in diesem Haus, denen die Hitze wohl nichts ausmachte. Der rothaarige Engel trug weiterhin seine langen Hosen, hohen Stiefel und den kurzen, ärmellosen Mantel über seiner Korsage. Nicht einmal eine Schweißperle schimmerte auf seiner Stirn.
Ebenso schien es dem Schattentänzer zu gehen, der seinen gewiss warmen Frack mit kühler Routine trug. Und in diesem Moment ein Tablett mit kalter Limonade n das Musikzimmer balancierte, als auch Indivia barfüßig, mit offener Weste in das Zimmer getapst kam.
"Oh...ich dachte ich hätte Musik gehört...", Arahiel zuckte mit den Schultern und streifte seinen Mantel ab. Man konnte deutlich sehen, wie dicke Schwarze Linien sich wie mit ölgefüllte Adern über seine Schultern emporschlängelten.
"Ich auch...", flüsterte Indivia leise, begrüßte Emilia mit fröhlichem Winken.
"Nun, ihr habt richtig gehört", erwiderte Elliot mit einem Lächeln in Emilias Richtung, die noch immer auf dem Klavierstuhl saß, die Hände aber nun im Schoß zusammengelegt hatte, statt sie über die Tasten fliegen zu lassen. "Ein Sommertag kann unsere liebe Freundin nicht davon abhalten, ihrer Leidenschaft nachzugehen."
"Ich wollte niemanden damit belästigen", entschuldigte sich das Mädchen und stand so rasch auf, dass Elliot sich wunderte, wie sie bei den Temperaturen keinen Schwindelanfall davon bekam. Überhaupt schien es ihr hervorragend zu gehen. Das blütenweiße Kleid, welches sich eng um Brust und Taille schmiegte, um Hüfte und Beine aber weit und frei fiel, zeigte sich kein einziger Schweißfleck, ihre Haut wirkte zart und hell wie immer, keine Erschöpfung schien ihr inne zu wohnen.
Elliot waren selbst die Nächte zu heiß, sodass er Genivive - wie auch die jungen Frauen in den Tagen zuvor - in den Garten geführt und sich im Pavillon, nahe des kühlen Springbrunnens mit ihr vergnügt hatte. Schlaf in seinem Gemach wurde meist erst in den frühen Morgenstunden überhaupt denkbar und so hatten die vergangenen anderthalb Wochen, in denen die Sonne die Stadt langsam niederbrennen zu wollen schien, aus spätem Schlaf bis in den Mittag oder Nachmittag hinein, kühlen Bädern und dem Beiwohnen von Sommerbällen, von denen beinahe täglich einer stattfand, bestanden.
Und natürlich der Planung seiner Reise nach Hythe.
Elliot hatte schon bereut, den höflichen Weg zu wählen, anstatt den Herrschaften dort einfach einen unangekündigten Besuch abzustatten und auch in Erwägung gezogen, genau das zu tun, doch im Frühjahr hatte er endlich eine verbindliche Antwort erhalten. Und so würde er in drei Tagen dorthin aufbrechen und endlich seine Nachforschungen anstellen.
"Es ist so warm...", murmelte Indivia leise, nahm das Glas kühle Limonade von Arahiel entgegen. Er nippte an dem Getränk und spuckte es hustend aus, ließ versehentlich das Glas fallen. Ehe es zerschellen und eine gewaltige Sauerei anrichten konnte, fing der rothaarige Engel es auf, fluchte unterdrückt. "Es tut mir leid!"
Euer Goldkehlchen wird langsam nervtötend.
Amüsert reichte Tharaniel ein Glas voller kühler Limonade an seinen Herrn weiter.
Genau wie deine Spielchen.
Anstatt die Szene zu kommentieren, reichte Elliot Indivia sein eigenes Glas und nahm Arahiels an sich, nippte kurz daran und verzog das Gesicht, als er einen widerlichen Salzgeschmack auf der Zunge fühlte. Emilia war in der Zwischenzeit schon zu dem jungen Barden geeilt und hatte ihm mit besorgter Miene ein Taschentuch gereicht.
"Entschuldige dich nicht dafür.
Niemand hier trinkt gerne mit Salz versetzte Limonade - außer Tharaniel, wie ich mir vorstellen kann."
Mit süßlichem Lächeln gab er das Gefäß mit ungenießbarem Inhalt an den Dämonen weiter.
Tharaniel lächelte so süß wie die ungesalzene Limonade.
"Das muss ein Fehler in der Küche gewesen sein.", erwiderte er giftig süßlich und schenkte Indivia ein Lächeln, dass dieser trotz der sommerlichen Hitze schauderte und dankend das Tuch von Emilia an nahm.
Unruhig ging Arahiel auf und ab, seine Korsage war verrutscht, doch es zurecht zu rücken ging nicht ohne unnötig Aufmerksamkeit zu erregen. Das Glas aufzufangen hatte es verrutschen lassen, den obersten Teil seiner Wunde, der drei blank liegenden Wirbel entblößt.
Ich bin sicher, dass der Abtritt noch gereinigt werden muss.
Da dir die Hitze anscheinend nichts anhaben kann, wirst du dich dieser Aufgabe widmen, Tharaniel.
Elliot wandte sich Indivia zu.
"Ist alles in Ordnung, mein Freund?"
Wie Ihr befehlt
Nichts konnte das dreckige grinsen von den Lippen des Schattentänzers bannen. Nicht einmal der Gedanke an den Abtritt.
"Ja. ", murmelte Indivia , wischte sich über die Lippen. In seinem Mund, auf seiner Zunge, der penetrante Salzgeschmack haftete schwer auf ihm.
Emilia strich dem jungen Barden sanft über den Kopf.
"Ich hole dir etwas Wasser", sagte sie sanft. "Das wird gegen den Geschmack helfen."
Doch Lord Ashsteel hatte bereits die Glocke betätigt, die einen Diener herbeirufen würde.
"Bei diesem Wetter sollte man einer Dame keine Arbeit zumuten", bemerkte er mit dem selben galanten Lächeln, mit dem er sicher auch andere Frauen besah. "Und wo wir schon bei Damen sind ... ich muss mit dir sprechen, Arahiel."
Mit diesen Worten schritt er zu der Rothaarigen und schob sie vor sich aus dem Zimmer heraus, als wolle er sie vor den Blicken der anderen verbergen. Emilia blieb ratlos und alleine mit Indivia zurück.
Arahiel fauchte auf, als der Mensch ihn einfach so am Rücken berührte. In einer stolzen Geste wirbelte er herum, verbarg seinen geschundenen Rücken vor ihm.
"Ihr habt mir erlaubt zu bleiben! Und ich habe ohne Widerworte oder Schwierigkeiten zu machen gearbeitet! "
"Ich weiß, meine Liebe", antwortete Elliot, belustigt über die aufgebrachte Reaktion seines Gegenübers, als sie beide im Flur standen. "Und ich muss sagen, dass du adäquat bist, in dem, was du tust."
Er strich sich eine schweißnasse Strähne, die sich aus seinem Zopf gelöst hatte, wieder hinters Ohr.
"Ich muss aber auch sagen, dass du einen äußerst stattlichen Rücken hast."
Defensiv verschränkte Arahiel die Arme vor der Brust. Er wurde argwöhnisch und nervös.
"Ist nicht meine Schuld dass ich nun mal nicht perfekt bin "
"Nein, das ist es nicht und es spricht sehr für dich, dass du Perfektion denen überlässt, die darin besser geübt sind."
Elliot lächelte spöttisch und seufzte dann gespielt.
"Aber es kränkt mich, dass du anscheinend finstere Absichten hinter meinen Worten vermutest, denn ich versichere dir, das ist nicht der Fall."
Er deutete auf die Tür, die zu seinem Zimmer führte.
"Würde es eine Hürde für dich darstellen, dort mit mir zu sprechen?
Was ich zu sagen habe, ist nicht für jedermanns Ohren bestimmt."
"Ich hoffe für Eure Kronjuwelen, dass Ihr nichts sexuelles vorhabt ", erwiderte der gefallene Engel scharf, ging jedoch durch die Tür. "Denn selbst Euer Hausdämon könnte dann nicht schnell genug hier sein um Euch zu retten. "
"Wie überaus martialisch", bemerkte Elliot und trat seinerseits ein, schloss die Tür hinter ihnen. "Und leider muss ich gestehen, in dieser Hinsicht noch einige Pläne zu haben - doch ich hoffe, dass dich die Gewissheit besänftig, Teil keines einzigen zu sein. Ich würde dies auch niemals in Erwägung ziehen."
Zielstrebig schritt er zum Schrank, in dem er seine Luxusgüter, all die kleinen Laster, welche den Alltag angenehmer machten, aufbewahrte.
"Kann ich dir ein Glas Wein anbieten? Oder eine Zigarre?"
"Nichts dergleichen", Arahiel tippte mit der Stiefelspitze gelangweilt auf den Boden. "Was wollt Ihr?"
"Wie du meinst, meine Liebe."
Mit einer einzigen, streichenden Bewegung entzündete Elliot ein Zündholz und steckte sich seine Zigarre an.
Er sog einmal genüsslich daran und wandte sich dann wieder Arahiel zu.
"Es ist gut, dass du meinen Hausdämonen erwähnst.
Ich bin es nämlich überdrüssig, länger mit verdeckten Karten zu spielen."
Nun vollkommen verwirrt runzelte Arahiel die Stirn, dann legte sich seine Hand langsam auf den griff seines Schwertes, oder zumindest dorthin wo es wäre, wenn er es im Haus mit sich getragen hätte.
"Du musst dir keine Sorgen machen", sagte Elliot mit Blick auf die Waffe. "Es entspricht nicht meiner Intention, dir zu schaden."
Er führte erneut die Zigarre zum Mund, nahm einen tiefen Zug, beobachtete, wie feiner Qualm aus seinem Mund durch den Raum schwebte.
"Außerdem kann weiteres Blut an deinen Händen wohl kaum förderlich sein."
"Weiteres?", Arahiel ließ die Hand von dem Knauf zurück an seinen Gürtel gleiten. "Ihr setzt voraus dass ich bereits gemordet habe."
"Oh, tue ich das?"
Ein breites Lächeln trat auf Elliots Lippen.
"Verzeih, ich muss dich mit jemandem verwechseln."
Er fürchtete sein Gegenüber nicht, wusste er doch genau, dass Tharaniel eingreifen müsste, sobald sein Leben in Gefahr war.
Und die Vorstellung, den Dämonen um seine heißbegehrte Seele zu betrügen, war abgesehen davon um einiges amüsanter als der drohende Tod erschreckend.
"Du musst wissen, es gab vor wenigen Jahren bereits jemanden in der Stadt, mit Namen Arahiel.
Ein junger Mann, er hatte braune Haut, rotes Haar und ein flammendes Schwert, welches er nutzte, um einige Männer zu töten.
Er konnte der Stadtwache entkommen, doch sie suchen ihn seitdem."
Elliot trat näher an Arahiel heran, musterte ausgiebig das Gesicht, die breiten Schultern, lachte dann aber spöttisch.
"Es ist eindeutig eine Verwechslung, schließlich sieht jeder Blinde, dass du eine Frau bist."
Statt einer Antwort biss Arahiel die Zähne zusammen und starrte den menschlichen Lord an. Warum war dieses Ereignis noch nicht verjährt?
"Du bist am Zug", sagte Elliot und lehnte sich lässig an die Wand.
"Möchtest du auch eine Karte offenlegen oder passt du lieber?"
Arahiel hob eine Augenbraue und legte den Kopf schief. Er spürte die Schatten tiefer werden, als jemand sich in ihnen versteckte. Spürte das winzige flüstern von einer lauernden Präsenz.
"Ich passe. Für den Moment."
"Nun gut."
Spielerisch ließ Elliot die Finger durch seinen Zopf gleiten, eine schwarze Strähne nach der anderen.
"Wie es der Zufall so will", fuhr er dabei fort, "berichtete mir ein Priester davon, dass zur genau gleichen Zeit auch aus dem Tempel jemand entkommen ist ... oder genauer gesagt 'etwas'.
Er behauptete, dass man einen gefallenen Engel hatte hinrichten wollen - was durch dessen Flucht leider misslang."
Es hatte einiges an Überzeugungskraft und auch ein paar Bestechungsgelder mitsamt ein wenig moralischer Verführung erfordert, um ihn zum Sprechen zu bringen, aber es war gelungen. Unbestechlich war schließlich niemand, selbst wenn kein offensichtlicher Eigennutz im Spiel war und das Geld dazu verwendet wurde, den Armen und Bedürftigen zu helfen ...
Die letzte dunkle Strähne fiel zurück auf Elliots Rücken und er schaute wieder Arahiel an.
"Aber um ehrlich zu sein, war das sicher ein Hirngespinst eines armen Verrückten.
Schließlich wissen wir alle, dass solche Boten der Götter nicht existieren.
Nicht wahr, meine Liebe?"
Arahiel zitterte. Seine Schultern bebten, ehe er in schallendes Gelächter ausbrach. Noch immer hart, beinahe freudlos lachend, griff der Gefallene Engel hinter sich, löste seine Korsage und drehte seinen entblößten Rücken zu Elliot.
"Was denkt Ihr?"
"Nicht gerade ansehnlich."
Mit einer gewissen angeekelten Faszination beäugte Elliot die Wunde, die nun vollkommen freigelegt war. Seine Worte waren eigentlich eine Untertreibung, denn er erinnerte sich nicht daran, auch nur an einem einzigen Leib etwas derart Abstoßendes erblickt zu haben. Schwarz war das Fleisch, wächsern, durch die hervortretenden Adern schien kein Blut zu fließen, sondern Tinte oder eine andere dunkle Substanz. Und hinzu kam, dass ein Teil der Wirbelsäule sichtbar war ...
"Es bewegt mich jedenfalls nicht dazu, meine eben genannten Pläne auf dich auszuweiten."
"Das macht mich aber froh", kichernd drehte der Engel den Kopf und beobachtete den Lord aus scharfen, schwarzen Augen. "Aber dennoch. Was wollt Ihr nun tun?"
Elliot hob eine Braue.
"Sollte ich etwas tun?"
Er seufzte.
"Ich bin zugegebenermaßen etwas verärgert darüber, dass ich meine Zeit mit Nachforschungen über dich verschwenden musste, anstatt mich auf Emilia zu konzentrieren ... aber falls du glaubst, dass ich dich nun ausliefern würde, so muss ich gestehen, dass es mir dafür an Gründen mangelt."
Arahiel schmunzelte, ehe er seine Schwingen entblößte, einmal streckte und offenbarte. Feuerrote Federn und feuerrotes Haar.
"Ach, verschwendet ist nichts."
"Nun, ich wüsste nicht, was ich mit dem Wissen anfangen sollte, außer dich damit unter Druck zu setzen", Elliot ließ seine kühlen Augen über das - zugegebenermaßen beeindruckend aussehende - feurige Wesen gleiten, "aber ich glaube kaum, dass mir das zum Vorteil gereichen würde."
Die Schwingen verschwanden, während der Engel sich wieder in seine Kleider zwängt. Ein schiefes Grinsen lag auf seinen Lippen.
"Das bringt wahrlich nicht viel. Immerhin ist hier noch ein Dämon der eindeutig an Euch gekettet ist "
"Sehr richtig."
Ein letztes Mal zog Elliot an seiner Zigarre, schmeckte den feinen Vanillehauch, blies eine Wolke in die Luft und sagte dann:
"Komm raus, Tharaniel.
Ich brauche etwas, um die Zigarre zu löschen."
"Verbrenn dich nicht, Engelchen ", Tharaniel schenkte dem gefallenen Engel einen zynischen Blick, brachte seinem Herrn den gewünschten Aschenbecher.
"Ich glaube dein Lieblingsvogel ist gerade umgekippt", schoss Arahiel kühl zurück und verließ dann das Zimmer.
Das Thema wurde geschlossen. |
Im Musikzimmer war Indivia tatsächlich umgekippt. Er saß kreidebleich und schweißgebadet auf dem Boden, wusste gar nicht wie er da runter gekommen war.
"Ist alles in Ordnung?", hauchte Emilia, während sie besorgt nach dem Krug mit Wasser und einem der Gläser griff, welche eine Dienerin soeben hereingebracht hatte.
Vorsichtig stützte sie den Kopf des jungen Mannes und hielt ihm das Glas mit kühler Flüssigkeit an die Lippen.
War es die Hitze?
Oder er ...?
"Was ist passiert?", hörte sie Lord Ashsteels Stimme und sah ihn im Türrahmen stehen, als sie aufblickte. Lange hielt er sich jedoch nicht auf, trat zu den beiden und kniete sich neben Indivia auf den Boden.
"Ich weiß es nicht, Mylord."
"Es ist nur die Hitze ", flüsterte Indivia rau, stützte sich auf die Ellenbogen hoch und nahm das Glas mit zittrigen Fingern in die eigene Hand. Sein Herz pochte heftig und nach den ersten zögerlichen Schlucken bemerkte der Barde erst, wie groß sein Durst war.
Seit der gesalzenen Limonade hatte er nichts mehr getrunken.
Elliot beobachtete, wie Emilia die braune, schweißnasse Stirn des Jungen vorsichtig mit einem Taschentuch abtupfte.
"Vielleicht solltest du dich nach draußen setzen, in den Pavillon", schlug er vor. "Dort ist es schattig und einigermaßen kühl."
"Gute Idee ", murmelte Indivia leise, er rappelte sich langsam auf und lächelte Emilia freundlich, dankbar an.
"Ich werde mitkommen", sagte Emilia sanft, während sie ihm aufhalf. "Damit du nicht alleine sein musst."
Es war nicht der einzige Grund, aber das wollte sie weder mit Indivia, noch mit Lord Ashsteel teilen.
Ersteren wollte sie nicht beunruhigen und Letzterer würde sie vermutlich nur spöttisch belächeln, ehe er sich darum bemühen würde, den Goldton in ihrem Haar, die rosigen Wangen oder die Eleganz ihrer Schritte zu bewundern. Mit ihm war nicht zu sprechen, nicht über ernste Themen jedenfalls. Und obwohl Emilia sicher war, dass er eingreifen würde, wenn es zu viel wurde, war es in höchstem Maße beunruhigend, dass er derjenige war, der bestimmte, wann es zu viel war.
"Danke." Langsam hinkte Indivia aus dem überwarmen Raum. Egal wohin er sich drehte, wand. Die Sommerhitze war überall präsent. Erst im Garten kühlte es merklich angenehm ab. Und ohne den hechelnden Durst konnte Indivia auch wieder geradeaus sehen.
Im Schatten des Pavillons wartete Emilia darauf, dass Indivia sich setzte, ehe sie sich selbst neben ihm auf der steinernen Bank niederließ.
Ein Dienstbote brachte ihnen Wasser und frische Früchte - Trauben, Feigen und auch Erdbeeren - sowie eine Kanne Wasser und Gläser, ließ sie dann alleine. Lange Zeit war wenig zu hören, bis auf das Plätschern des Brunnens, das Zwitschern der Vögel. Die Geräusche der Stadt kamen hier lediglich als leises Murmeln an, weit entfernt, das Echo einer fremden Welt.
Schließlich erhob Emilia leise die Stimme:
"Ich bin neulich mitten in der Nacht aufgewacht und in die Küche gegangen, um mir etwas Wasser zu holen.
Als ich an deinem Zimmer vorbeikam, habe ich Geräusche gehört."
Ein leises Wimmern, wie von jemandem, der große Schmerzen oder Angst erlitt.
Sie hatte sacht angeklopft, doch niemand hatte ihr geöffnet und der Laut war rasch verklungen.
Indivia starrte auf die Erdbeere, welche er gerade angeknabbert hatte. Obwohl süßer, klebriger Fruchtsaft über seine Finger lief, reagierte er aus purem Reflex, schluckte die Frucht und leckte seinen Finger sauber.
"Kann sein.", murmelte er leise. Starrte dumpf gerade aus. Emilia war eine liebe Person, doch Indivia hatte Angst.
"Hast du oft Alpträume, Indivia?"
Vorsichtig streckte Emilia die Hand aus und nahm eine mattgrüne Traube zwischen ihre Finger, betrachtete sie lange, bevor sie die süße Frucht in den Mund nahm.
"Ich habe sie fast jede Nacht."
Angespannt zuckte Indivia mit den Schultern. Er wollte jetzt keine Antwort geben. Auf keinen Fall.
"Ich vermisse meine Familie "
Emilia nickte und beschloss, das Thema auf sich beruhen zu lassen.
"Ich verstehe.
Bitte entschuldige, dass ich dich so bedränge."
Es schmerzte ein wenig, dass Indivia nicht mit ihr sprechen wollte, aber sie wollte ihn auch nicht dazu zwingen, mehr preiszugeben, als ihm lieb war. Und ob sie ihm helfen könnte, war ohnehin ungewiss ...
"Ich vermisse sie schrecklich", flüsterte Indivia leise, wischte sich fahrig über die Wange und lächelte Emilia dann tapfer an. "Aber dich würde ich auch vermissen. Und Arahiel. Selbst Lord Ashsteel "
Vorsichtig tastete Emilia nach seiner Hand und erwiderte das Lächeln sanft.
"Ich würde dich auch vermissen."
Sehr sogar.
Mehr als Arahiel mit der seltsamen Aura und der zurückgezogenen Art.
Mehr als Lord Ashsteel mit all den süßen Worten und dunklen Geheimnissen.
Ihre Augen verdunkelten sich ein wenig, als sie an Tharaniel dachte, den Diener, die rechte Hand, der Schatten Lord Ashsteels.
Ihn würde sie in ihrem ganzen Leben niemals vermissen.
Indivia ließ sie nach seiner Hand greifen, lächelte sie an und nippte an dem Glas mit Wasser, vorsichtig. Immerhin war das Salz noch immer als bitterer Nachgeschmack noch da.
Ja, Emilia würde er vermissen.
"Aber nicht Tharaniel. Der ist unheimlich."
"Ich verstehe, was du meinst."
Es war mehr als nur seine abfällige Behandlung, die Kälte seiner Person, die Emilia in einen Zustand höchster Vorsicht versetzte, wann immer Tharaniel in der Nähe war.
Es gab noch etwas an ihm, etwas zutiefst Finsteres, Abstoßendes, etwas, das hinter seinen Augen lag und manchmal darin aufflackerte, ohne jemals ganz durchzudringen. Etwas Widernatürliches, Unmenschliches, Altes, bei dem sich die Vermutung aufdrängte, dass keine sterbliche Seele dahinter lebte.
Und Hunger, Lust, Gier ... ein unstillbares Verlangen nach etwas, das nicht greifbar schien.
Jetzt schauderte auch der junge Barde, trotz der sommerlichen Wärme. Der Gedanke war aber auch zu gruselig.
"Anderes Thema, bitte..."
"Entschuldige ..."
Emilia drückte noch einmal sacht seine Hand, ließ sie dann los.
Ihr Plan, Indivia zu unterstützen, dafür zu sorgen, dass es ihm besser ging, schien alles andere als zu funktionieren.
Die Furcht, die sich kurz aus seinen grünen Augen zurückgezogen hatte, war wieder zurückgekehrt, der bleiche Schimmer seiner braunen Haut nicht verflogen.
Um ihre Nervosität, ihre Besorgnis zu verbergen, zog Emilia das Kartenset hervor, dass sie in einem kleinen Beutel mit sich getragen hatte, strich über die hauchdünnen, bebilderten Scheiben.
"Lord Ashsteel wirkte in den letzten Wochen sehr abgelenkt."
"Wirklich?", Indvia schmunzelte und spielte mit einer der Früchte, drehte die sattrote Erdbeere zwischen den Fingern, doch ohne sie zu genießen. Er musterte das Kartenset neugierig. "Wie kommst du darauf?"
Er war weniger als sonst damit beschäftigt, mein Äußeres zu kommentieren ...
"Er war stiller als sonst."
Nachdenklich zog sie eine Karte hervor und betrachtete sie. Ob es das Schicksal oder dessen Ironie war, der Wille der Göttinnen oder ein schlichter Zufall, doch sie hatte den Lord gezogen. Edle Kleidung, noble Züge, stolze Haltung - Macht vermittelte das Bild. Autorität, ebendas wofür diese Karte Sinnbild stand.
"Vielleicht liegt es aber nur daran, dass er sich auf die Reise vorbereitet."
Ohne zu zögern strich Indivia über die Karten und sah dann zu Emilia. Seine grünen Augen lagen auf ihrem Gesicht, schwer und nachdenklich. Dieses nachdenkliche, schwere ließ ihn älter erscheinen als vorher. Zeigte, dass er doch kein verspieltes, kleines Kind war. Auch wenn seine Unschuld erhalten blieb.
Seine Karte zeigte den Widerspruch. Einen stilisierten Galgen ohne Leiche, stattdessen von dornigen Rosen bedeckt.
Emilia beugte sich vor und warf einen Blick auf die Karte in Indivias Händen.
"Die Blumen des Henkers", bemerkte sie sanft. "Versteckte Tugenden."
Oder innere Zwiespälte.
Genau wie der Lord auch Unterdrückung bedeuten kann.
"Was sind denn meine versteckten Tugenden?" Indivias Lächeln wirkte ein wenig angestrengt, als hätte er in der letzten Zeit verlernt wie man es richtig trug, wie es nicht puppenhaft wirkte, sondern echt und herzlich. Aber, es war besser. Die wächserne Blässe auf seinen Wangen wich dem sonnengeküssten Goldbraun seiner Haut. Auch ein leichter Funken trat wieder in die grasgrünen Augen.
"Nun, sie sind versteckt", antwortete Emilia. "Das macht es mir schwer, sie unter deinen offenen Tugenden zu finden und dir zu nennen."
Es beruhigte sie, dass es Indivia nach dem Themenwechsel anscheinend etwas besser ging als zuvor. Es hatte etwas Herzzerreißendes, ihn so ermattet zu sehen. Alles, was ihn nur ein wenig aufblühen ließ, sei es die Musik oder eine Unterhaltung über die Karten, sollte ihr recht sein.
"Aber ich bin sicher dass es deine innere Stärke ist."
Belohnt wurden Emilias Worte mit einem jugendlich wirkenden, strahlenden Lächeln, ehrlich und ein wenig verlegen wie es nur Indivia konnte. Er wirkte wirklich lebendiger, fröhlicher.
"Und deine? Was bedeutet deine Karte?", Indivia stockte und sah betroffen zu Emilia. "Oder darfst du mir das nicht sagen? Ist das so wie beim Wünschen einer Sternschnuppe?"
Emilia schüttelte lächelnd den Kopf.
"Ich darf es dir sagen - es ist wirklich kein Geheimnis."
Nachdenklich musterte sie ihre Karte, dachte an all das Wissen, was sie hatte.
"Der Lord", fuhr sie schließlich fort, "bedeutet Herrschaft und Autorität. Aber wie alle Karten hat er noch eine zweite Seite - Unterdrückung ist es in seinem Fall ..."
"Das klingt ja grauenhaft!", wurde sie unterbrochen, "ich hoffe, es ist nicht von mir die Rede."
Breit lächelnd und ohne eine Antwort abzuwarten ließ Lord Ashsteel sich auf der den beiden gegenüberliegenden Bank nieder und griff nach einer Erdbeere, die sogleich zwischen hellen Zähnen und leicht rosigen Lippen verschwand.
"Mylord", antwortete Emilia leise, "wie ich gerade im Begriff war, Indivia zu erklären, trägt jede Karte alleine zwar eine Bedeutung, doch zum Tragen kommt diese erst im Zusammenspiel mit anderen.
Und keine einzige ist wörtlich zu nehmen - somit könnt Ihr kaum der Lord dieser Karte sein."
"Ich hab die Henkersblume gezogen." Indivia zeigte seine Karte dem jungen Lord und grinste. Verspielt und wieder so reizend unschuldig, die Alpträume, Sorgen und Kummer für den Moment vergessend. "Emilia sagte, sie steht für versteckte Tugenden."
"Nun, ich bin sicher, dass die Dame viele von diesen hat, auch wenn es mir lieber wäre, sie würde sie weniger verstecken."
Für einen kurzen Moment ließ Elliot den Blick über Emilia gleiten, ihn kurz an ihrem Ausschnitt, der nicht schändlich viel, wohl aber einen großzügigen Teil ihres wohlgeformten Dekolletés freilegte.
"Lass mich doch auch eine Karte ziehen, meine Liebe.
Ich bin immer gespannt, was das Schicksal über mich zu sagen hat."
Begeistert klatschte Indivia und lächelte Emilia strahlend an. Es war amüsant zu sehen, wie leicht die kindliche Vorfreude ihn strahlen ließ.
"Interessant wäre dies allemal!"
Emilia musste sich zusammenreißen, um Lord Ashsteel nicht harsch anzufahren - stattdessen warf sie ihm einen gifttriefenden Blick zu, als die Karten fächerte und in seine Richtung hielt.
Der schmunzelte und streckte die Hand aus, ließ die schlanken, hellen Finger darüber wandern, langsam, hin und her, als wolle er Spannung aufbauen, ehe er dann eine zog und abgeschirmt von anderen Blicken betrachtete.
Neugierig lehnte Indivia sich vor, konnte keinen Einblick erhaschen und setzte sich enttäuscht zurück, seine Finger spielten mit dem Saum der Weste, während er randvoll von Spannung fast von der Bank hüpfte.
Elliot schaute auf.
"Fall nicht von der Bank, mein Freund."
Wieder nahm er sich eine Erdbeere und nahm sie in den Mund, kostete ausgiebig den süßen Geschmack, nicht nur um des Empfindens Willen, sondern auch, um Indivia noch einen Moment lang zappeln zu lassen. Wie ein kleiner Vogel wirkte der junge Barde, im Begriff, zu einer Brotkrume hinzuflattern.
Mein kleines Goldkehlchen ...
Elliot lächelte und hob die Hand, drehte die Karte dabei um und zeigte sie seiner Gesellschaft.
Eine feine Zeichnung war zu sehen, die eine Frau zeigte, mit schönem Gesicht, roten Locken, in ein rotes Kleid gehüllt und einem verruchten Lächeln auf den roten Lippen.
"Die Mätresse, nicht wahr?"
Emilia nickte und erwiderte:
"Sie steht für heimliche Liebe und Verführung."
Elliots Augen funkelten schelmisch.
"Und?", fragte er zwinkernd.
"Wen von euch beiden soll ich verführen und zu meiner Mätresse machen?"
Erwartungsgemäß kühlten die blauen Augen des blonden Mädchens sogleich ab.
"Die Mätresse steht auch für Demütigung und Schande, Mylord."
"Warum steht sie für Demütigung?", Indivias Stimme war zu einem verdatterten Zwitschern verkommen. Er zappelte nicht mehr, doch starrte verdutzt zu Emilia. Dann sah er auf die schöne, rote Dame auf Elliots Karte, wieder zu seiner eigenen. "Das verstehe ich nicht..."
"Weil es sich für eine Lady nicht gehört, mit einem Mann zu leben, mit dem sie nicht verheiratet ist", antwortete Emilia leise. "Es bedeutet, dass sie ihre Tugend und Ehre verliert. Und gleichermaßen ist es schändlich für einen Mann, ihr diese zu nehmen."
Betrachtete man sie auch als Lord Ashsteels Mätresse?
Als eine Frau ohne Ehre?
Emilia wusste nicht, was die Menschen von ihr dachten, hatte sie den Lord zwar zu mehreren Gesellschaften begleitet, war aber doch selten in ein tieferes Gespräch mit jemandem getreten. Vermutlich war sie nicht mehr als eine kleine Attraktion, eine hübsche Puppe, die Karten legen und Handflächen lesen konnte ... vermutlich dachte niemand über sie nach.
"Also...in meiner Kultur gibt es keine Ehe", versuchte Indivia diese plötzliche Anspannung zu lösen. Er legte einen Arm geschwisterlich um Emilias zarte Schultern. "Da kann jede Frau selbst entscheiden wann und wie lange se mit dem Mann zusammenleben will. Und es gilt dabei nicht als Schande."
Emilia lächelte matt, die Berührung seiner warmen Hand störte sie nicht, löste keine Unruhe in ihr aus.
Bei Indivia geschah das nie.
"Die Frauen deiner Heimat müssen sehr glücklich sein", antwortete sie sanft, den leisen Hauch von Traurigkeit in der Stimme bekämpfend. "Und ich kann es auch hier sein."
"Kannst du", Indivia lächelte aufmunternd und nickte heftig. Als würde alles wahr werden, wenn man nur fest genug daran glaubte. Er tat es, daran glauben. Dann kicherte er und drückte Emilia einen Kuss auf die Wange, tröstend und fürsorglich. "Ganz bestimmt."
Elliot konnte nichts als geschwisterliche Zuneigung in den Gesten sehen, welche die beiden einander schenkten, und trotzdem fühlte er einen leichten Stich, wenn er ihnen zuschaute.
Seit langem waren Indivia und Emilia seine einzige dauerhafte Gesellschaft - Tara mochte er nicht als solche bezeichnen und Arahiel war kaum mehr als ein etwas besser gestellter Dienstbote - und langsam schien das Folgen zu haben. Jedenfalls war es ihm, obwohl er sich keinerlei Sorgen um die Zukunft machte, in hohem Maße zuwider, zu sehen, wie nah sie einander doch standen.
Vielleicht war es diese Missgunst, welche ihn dazu bewegte, spöttisch zu sagen:
"Nun, ich mache mir wenig Sorgen um Emilias Glück.
Einen Lord jedenfalls habe ich nie in ihrem Leben gewähnt und wie es scheint, war das eine richtige Annahme, bevorzugt sie einfache Barden doch ganz offensichtlich."
Beinahe sofort fuhr Indivia zusammen und zog sich zurück. Rutschte zurück auf seinen Ausgangsplatz und hielt den Kopf gesenkt, die Hände schlaff auf dem Schoß zusammen gefaltet.
Einfache Barden...
Elliots Worte hallten in seinem Kopf, er fühlte sich herabgesetzt, wieder mehr wie ein Haustier im goldenen Käfig wie ein Freund.
Elliot hatte erwartet, dass die beiden sofort auseinanderrutschen würden, wie sie es bei seinen Worten taten.
Aber als er beobachtete, dass Indivia wie ein geschlagener Hund da saß und sich in Emilias Augen etwas regte, was er zuvor noch nie dort gesehen hatte, wurde ihm bewusst, dass er zu weit gegangen war.
Stumm erhob sich das Mädchen und schritt auf ihn zu, er hörte den Aufprall ihrer Hand auf seiner Wange mehr, als dass er ihn spürte.
"Ihr seid ein widerliches Scheusal."
Elliot fing ihre Hand ab, ehe sie diese zurückziehen konnte, erhob sich und hauchte einen Kuss auf den Handrücken.
"Das stimmt, Mylady."
Er drehte sich ab und schritt davon.
Ihr habt zugelassen, dass sie Euch schlägt?
Amüsiert kichernd trat Tharaniel aus den Schatten, musterte den roten Abdruck, auf Elliots blasser Haut besonders gut sichtbar.
Oh ja, das habe ich.
Und glaub mir, ihre Schläge fühlen sich exquisit an.
Elliot schaute Tharaniel nicht einmal an, während er den Schatten von Bäumen und Hecken verließ und durch gleißendes Sonnenlicht wieder auf das Haus zuhielt. In Gedanken war er noch immer mit der Situation beschäftigt.
Ich will ein Bad.
Lauwarm, keine zu starken Duftmittel.
Wie Ihr befehlt.
Der Schattentänzer schwand binnen eines Wimpernschlages, als wäre er nichts als eine Einbildung gewesen. Nur um kurz darauf im Badezimmer zu erscheinen und seinen Befehl auszuführen.
Das Thema wurde geschlossen. |
Unter dem Nachhall des Schlages fuhr Indivia zusammen, als wäre er und nicht Elliot es gewesen, der geschlagen wurde. So sollte es nicht enden...doch nicht so...
Bebend stand Emilia da, ihr Atem ging unregelmäßig, ihre Hand zitterte, das Gesicht gerötet vor Wut oder vor Scham - sie wusste es nicht.
"Es tut mir leid", hauchte sie und ließ sich auf die Bank sinken, auf der eben noch Lord Ashsteel gesessen hatte. "Das wollte ich nicht ..."
Was genau sie nicht gewollt hatte - die Hand gegen den Lord erheben, ihm diese Worte ins Gesicht zu schleudern, sich vor Indivia derartig zu verhalten - wusste sie ebenfalls nicht.
"Ist...schon gut.", Indivia griff mehr zur Ablenkung nach den Karten und mischte sie. Mehr zur Ablenkung, um Kopf und Hände mit etwas zu beschäftigen.
Stumm schaute Emilia dem jungen Barden zu, merkte bei diesem Anblick, wie ihr Gemüt langsam abkühlte.
"Möchtest du es lernen?", fragte sie schließlich sanft.
"Ja, sehr gerne.", beinahe sofort hellte Indivias Gesicht sich auf. Er lächelte und streckte ihr die gemischten Karten hin.
Emilia nickte und nahm den Kartenstapel entgegen.
Sie überlegte, wo sie mit ihren Erklärungen beginnen sollte. Tuaral war schließlich nicht aufgrund vieler Regeln ein komplexes Spiel, sondern eher wegen der Abwesenheit dieser.
"Als erstes", erklärte sie, "ist es wichtig, die Bedeutung der Karten zu kennen. Jede Karte hat mehr als eine davon, für jeden hellen Aspekt gibt es auch eine dunkle Kehrseite. Und genauso hat jede dunkle Bedeutung auch eine helle Seite zum Ausgleich."
Sie zog die oberste Karte des Stapels und legte sie gut sichtbar auf den Tisch.
Sie zeigte eine Schlange, die sich um den Arm eines gutgekleideten Mannes wand, dessen Gesicht in den Schatten verborgen blieb.
"Die Schlange des Grafen zum Beispiel", fuhr sie fort, "wird meist als negative Karte betrachtet, denn sie steht für Arglist.
Aber gleichermaßen kann sie auch Aufstieg bedeuten."
"Und...", Indvia zog die Augenbrauen zusammen und dachte angestrengt nach. "Woher weiß man dann, welche Aspekte zutreffen? Oder gib es keinen Unterschied, treffen sowohl als auch hell und dunkel zu?"
Emilia schüttelte den Kopf.
"Nein, nicht grundsätzlich."
Sie legte die Fingerspitzen auf den Stapel, spielte ein wenig damit, ohne zu ziehen.
"Es gibt unterschiedliche Arten, die Karten zu legen und unterschiedliche Dinge, nach denen man fragen kann.
Zukunft, Vergangenheit, Gegenwart. Junge Ladys fragen häufig danach, ob ihnen wahre Liebe vergönnt sein wird, die jungen Lords interessieren sich oft für Wohlstand …"
"Und kannst du mir meine wahre Liebe voraussagen?", Indivia lächelte ebenso verschämt wie freudig, während er aus großen, grünen Augen bittend zu Emilia aufsah.
Überrascht blinzelte Emilia, dann lächelte sie mild.
"Ich kann es versuchen.
Vielleicht werden die Karten zu mir sprechen."
Begeistert klatschte Indivia in die Hände und wippte vergnügt auf seinem Sitzplatz, er lachte und wirkte wieder fröhlich, als wäre der Konflikt mit Lord Ashsteel vollkommen vergessen.
"Ich werde drei Karten auslegen", erklärte Emilia. "Die erste wird etwas über deine Geliebte verraten. Die zweite etwas über eure Verbindung. Und die dritte etwas über eure gemeinsame Zukunft."
Sorgfältig begann sie, die Karten zu mischen.
Indivia lauschte aufmerksam und nickte dann, er freute sich mehr als ein Kind in einem Süßigkeitenladen, schien nicht mehr ruhig sitzen zu können vor kindlicher Aufregung.
Emilia warf ihm ein sanftes Lächeln zu, dann deckte sie die oberste Karte auf und legte sie auf die Tischplatte.
Die Mätresse.
"Deine Liebste wird dich verzaubern", sagte sie nachdenklich. "Und für eine Weile wir eure Liebe ein Geheimnis bleiben, etwas, das nur ihr beide euch teilt."
Die nächste Karte zeigte den Verräter.
Stirnrunzelnd legte sie ihn ab und überlegte, wie sie die beiden Elemente sinnvoll verknüpfen konnte.
"Ihr werdet eine zarte Bindung haben, zerbrechlich, fragil. Aber gleichzeitig wird sie euch viel Neues eröffnen."
Bei der letzten Karte musste sie doch ein wenig lächeln.
Beinahe zärtlich legte sie die Göttin des Lichts neben den anderen beiden Karten ab.
"Eure Liebe wird voll Aufruhr und Unruhe sein, doch letztendlich wird neues Leben daraus hervorgehen."
"Oh..", aus großen Augen sah Indivia zu den Karten herab, ehe er lächelte und Emilia anstrahlte. "Danke~"
"Ich habe es gerne getan."
Emilia war es immer ein Rätsel, wie leicht und unbefangen Indivia sich an solch kleinen Dingen erfreute.
Doch es war ansteckend, sein Lachen, seine leuchtenden, grünen Augen stimmten auch sie selbst froh.
"Jetzt musst du deine Liebste nur noch finden."
"Bestimmt." Lachend zupfte Indivia eine Erdbeere aus der Schale und verspeiste sie fröhlich, ehe er plötzlich aufsah. "Wusstest du, dass Lord Ashsteel bald verreist?"
"Ja ..."
Nachdenklich beobachtete Emilia das Spiel des Springbrunnens, die immer wiederkehrenden Muster des Wassers.
"Er sagte, dass er Verwandte besucht."
"Aber das ist doch schön", mit breitem Lächeln klatschte Indivia in die Hände und nickte, er lächelte sanft. "Ich würde meine Familie auch so gerne wieder sehen."
"Vielleicht werden sie nächsten Winter ja wiederkommen."
Emilia hatte sich seinen Verwandten über die vielen kalten Tage, die sie im Haus verbracht hatten, nicht angenähert, sondern hatte sich in scheuer Zurückhaltung geübt. Nicht nur war sie zu sehr mit sich selbst und mit Lord Ashsteel beschäftigt gewesen, auch war Indivias Mutter ihr kalt erschienen, abweisend, berechnend. Herrisch.
Das hatte sie nervös gemacht.
"Hoffentlich ", ein verträumter Ausdruck lag in seinen Augen, wie immer wenn er sich an seine Familie erinnerte. Indivia seufzte und lächelte. "Nächstes Mal stelle ich dich Mutter und meinen Schwestern vor. Sie werden dir bestimmt gefallen "
"Gerne."
Emilia legte den Kopf schief.
"Du liebst deine Familie sehr, nicht wahr?"
"Natürlich!", der junge Barde legte den Kopf schief, wirkte verunsichert und überrumpelt. "Wer liebt seine Familie denn nicht? Sie sind manchmal bestimmt anstrengend, aber geben so viel schöne Dinge zurück "
"Das glaube ich", beeilte Emilia sich zu sagen.
Sie schaute nachdenklich auf ihre Hände, die mit einer Karte spielten.
"Aber ich weiß es nicht.
Ich erinnere mich nicht."
Indivia beugte sich vor, bis er beinahe gegen Emilia stieß, er flach auf dem Tisch lag, zu ihr hoch sah. Ungewohnt ernst sah er aus und klang ebenso.
"Du erinnerst dich nicht an deine Familie?!"
Emilia schüttelte den Kopf.
"Ich erinnere ich an gar nichts, Indivia", erwiderte sie leise. "Ich weiß nicht, wie es ist, eine Familie zu haben. Ich weiß nicht einmal, ob ich jemals eine hatte."
"Oh...Du wirst dich bestimmt erinnern." Indivia nickte entschlossen und lächelte aufmunternd, lehnte sich langsam wieder zurück.
"Das hoffe ich auch ..."
Emilias Blick trat in die Ferne, wurde mit Nachdenklichkeit getrübt.
"Manchmal sehe ich Dinge vor mir, blass und verschwommen, wie flüchtige Erinnerungen.
Aber ich weiß nicht, ob sie es sind ... oder nur Träume ..."
"Was für Dinge?", neugierig legte Indivia den Kopf schief, sah aus großen Augen zu ihr auf.
Emilia blinzelte und schaute Indivia an, als sei sie gerade aus einem Traum erwacht.
"Das ist unterschiedlich", antwortete sie. "Manchmal ist es, als würde ich dieses Lied auf einem Klavier spielen ... ein anderes Mal sehe ich ein Dachzimmer vor mir ... und ..."
Und Lord Ashsteel.
Lord Ashsteel verschwindet niemals aus meinem Kopf.
"Soll ich dir ein Geheimnis verraten?!" Indivia blinzelte zu Emilia auf, spielte mit dem noch halbfertigen Lederband in seinen Händen, die goldenen Glöckchen klirrten hell und sanft.
Emilia legte den Kopf schief.
"Wenn du es mir anvertrauen möchtest, gerne."
Nach einem kurzen Schweigemoment fügte sie noch bekräftigend hinzu:
"Ich höre dir immer gerne zu, Indivia."
"Ich habe seit Ewigkeiten Alpträume. Seit dem Sturm", murmelte Indivia leise, mehr zur Tischplatte als zu Emilia selbst. Träge spielte er mit dem Rand seines Glases, neigte es leicht und beobachtete die Wellen des Wassers. "Wenn ich alleine bin ist es schlimm. Aber in deiner oder Lord Ashsteels Gegenwart lassen die Träume nach. "
"Wirklich?"
Nachdenklich betrachtete Emilia ihr Gegenüber.
Sie hatte selbst Alpträume. Nicht in jeder Nacht, doch sie kehrten immer wieder.
Plagten sie, verzehrten sie beinahe ...
Zögerlich sagte sie:
"Wenn es dir helfen würde, könntest du auch in meinem Zimmer schlafen, wenn es eines Nachts zu viel wird."
Sie errötete leicht.
"Auf dem Sofa natürlich ... es ist sehr weich."
"Danke", flüsterte Indivia sanft und lächelte freundlich. Schluckte den bitteren Geschmack von Furcht und Alpträumen mutig runter. Nur um an ihm zu würgen.
"Du musst dich nicht bedanken.
Wenn es dir hilft, ist es nur richtig, es dir anzubieten."
Emilia streckte die Hand nach dem Obstkorb aus, ließ die Augen aufmerksam darüber gleiten und nahm schließlich zwei besonders große und schöne Erdbeeren heraus. Eine davon reichte sie Indivia.
"Führst du mich in Versuchung?", Indivia lächelte, ehe er die Erdbeere annahm. Langsam, genüsslich ließ er seine weißen Zähne in die weiche, süße Frucht sinken. Lord Ashsteels Gesicht blitzte in seinen Gedanken auf und der junge Barde kam nicht umhin, ein wenig fasziniert zu sein. Von einem Menschen, der ebenso kalt wie heiß sein konnte.
Scheu blickte Emilia plötzlich zur Seite.
"Nein ... natürlich nicht", erwiderte sie hastig und schob sich rasch ihre Frucht in den Mund.
Sie mochte Indivia, hatte ihn wirklich ins Herz geschlossen.
Doch manchmal vergaß sie sich in seiner Gegenwart auch, benahm sich nicht länger, wie eine Dame sich einem Herrn gegenüber zu benehmen hatte.
Sie musste besser darauf achtgeben.
"Es ist in Ordnung, Emilia.", beeilte sich Indivia rasch zu sagen und lachte verlegen, legte kurz seine braune Hand auf ihren weißen Arm. Große, grüne Augen sahen treuherzig auf und er lächelte matt. "Wir sind doch Freunde, oder`"
Nun schlich sich doch wieder ein Lächeln auf Emilias Lippen.
"Natürlich sind wir das."
Sie schaute Indivia wieder direkt an, berührte kurz und federleicht seine Hand.
"Ich habe keinen besseren Freund als dich."
Indivia erwiderte das Lächeln strahlend. Er küsste Emilia sacht auf die Wange und knabberte wieder an seiner Erdbeere. Vergnügt wippte er leicht mit den Zehen und lächelte.
Sie waren Freunde.
Das Thema wurde geschlossen. |
Seufzend ließ Elliot sich in das lauwarme Wasser gleiten, tauchte einmal komplett unter, damit das angenehme, kühle Nass seinen ganzen Körper einhüllen konnte.
Als er wieder auftauchte, fühlte sich sein Kopf schon ein wenig klarer an.
Ein widerspenstiges Mädchen, nicht wahr?
Ich frage mich, ob ein Liebestrank von Nöten ist, damit sie mir verfällt.
Ich bezweifle, dass es genug Liebestränke auf der ganzen Welt gibt, um diese Abscheulichkeit gefügig zu machen.
Lautete Tharaniels trockene Bemerkung.
Nun, du solltest aus eigener Erfahrung wissen, dass ich schon größere Abscheulichkeiten gefügig gemacht habe.
Und das jederzeit wieder tun kann.
Elliot grinste boshaft und fuhr sich durchs Haar.
Was glaubst du, würde das kleine Goldkehlchen sich eher mir oder ihr zuwenden?
Tharaniel hob die Augenbraue und verkniff sich seinerseits ein boshaftes Lächeln. Er blickte kurz aus dem Fenster, doch von hieraus konnte man natürlich nicht den Garten sehen.
Was würdet Ihr tun, wenn es sie wäre, der sich das Goldkehlchen zu wenden würde?
Dann würde ich mich selbstverständlich zu ihnen gesellen.
Entspannt lehnte Elliot sich zurück.
Über hübsche Körper verfügen sie beide.
Und ich habe mich in letzter Zeit zu sehr gelangweilt - ein Abenteuer mit einer Frau und einem Mann zur gleichen Zeit erscheint mir doch als schöne Abwechslung.
Zumindest war es etwas, das er noch nicht ausprobiert hatte. Doch er hatte nie daran gezweifelt, dass Emilia einiges an Köstlichkeiten unter ihren schönen Kleider verbarg und der Gedanke, das kleine Goldkehlchen zu besitzen, hatte schon immer seinen Reiz gehabt.
Es hat durchaus seinen Reiz, vor allem wenn man die süße Unschuld des Goldkehlchens mit hinzuzählt.
Ein beinahe laszives Lächeln huschte bei der alten, nichtsdestotrotz exquisiten Erinnerung über Tharaniels Lippen. Der Schattentänzer erinnerte sich selten, doch wenn, dann nur an die guten Zeit, die vor Dekadenz üppig und süß nachhallten, er es beinahe wie Honig auf der Zunge schmecken konnte.
Unschuld.
Ja, unschuldig war Indivia, das konnte Elliot nicht abstreiten. Dieses Merkmal war es womöglich auch gewesen, was ihn erst auf den jungen Barden aufmerksam gemacht hatte.
Und Emilia ... auch sie wirkte wie ein reines, unschuldiges Wesen, doch er ahnte mehr dahinter. Oder vermutete es vielleicht nur wegen ihrer Ähnlichkeit zu Emily, ihrem Ebenbild, ihrer Namensgeberin. Vielleicht Mutter.
Er hoffte, dass die Reise nach Hythe endlich Klarheit schaffen würde.
Du scheinst zu wissen, wovon du sprichst.
Vermisst du es etwa?
Tharaniel hob eine Augenbraue und verkniff sich eine bissige Antwort, stattdessen schenkte er seinem Herrn ein eiskaltes Lächeln.
Wann wollt Ihr nach Hythe aufbrechen?
In drei Tagen, ich werde am Morgen aufbrechen.
Und natürlich wirst du mich begleiten.
Elliot streckte den Arm aus, berührte sacht Tharaniels Kinn.
Oder bist du deinen Herrn leid?
Langsam trat der Schattentänzeraus Elliots Reichweite zurück und lächelte kalt.
Aber nicht doch.
Das ist gut.
Schließlich wirst du mir auf dieser Reise als Einziger Gesellschaft leisten.
Langsam richtete Elliot sich auf und stieg aus der Wanne, genoss zur Abwechslung die Schauer, die über seine Haut liefen, als die Luft die Wassertropfen in Windeseile kühlten. Langsam fühlte er sich wieder wie ein Mensch, nicht mehr wie ein Stück Fleisch, das langsam über Stunden hinweg im eigenen Saft geschmort wurde.
Eine Tatsache die sich nicht ändern lässt.
Tharaniel neigte leicht den Kopf, ehe er Elliot in ein Handtuch hüllte.
Ja.
Lass uns das Beste daraus machen.
Elliots Augen funkelten, als er sich enger ins Handtuch schmiegte.
Etwas grober als notwendig rubbelte der Schattentänzer seinen Herrn trocken.
"Uh~"
Wie versehentlich ließ Elliot sich plötzlich nach hinten fallen, gegen Tharaniels Oberkörper.
Lächelnd schaute er zu ihm auf, in die eisigen Augen.
"Du magst es wohl nicht sanft, hm?"
Tharaniel schenkte seinem Herrn ein falsches Lächeln, das mehr einem Zähnefletschen glich.
"Ihr überschätzt Euch."
"Nein."
Elliots Miene zeigte gleichermaßen keinen Hauch von echter Wärme.
"Bisher warst du es immer, der sich überschätzt hat."
"Wie Ihr meint", der Schattentänzer wandte sich ab und legte neue Kleidung für seinen Herrn zurecht.
"Ja, in der Tat wie ich meine."
Ein letztes Mal rieb Elliot sich über das lange, feuchte Haar und legte das Handtuch dann beiseite, schlüpfte in die seidigen, hauchdünnen Kleider, die Tharaniel ausgewählt hatte. Nun, da er sich wieder einigermaßen wohl fühlte, war es an der Zeit, sich um die Pflichten zu kümmern. Wenigstens um ein paar.
"Hast du meine Briefe schon sortiert?", fragte er den Diener und knöpfte sein Hemd bis zur Mitte zu. Alles darüber liegende konnte bei der Hitze wenn es nach ihm ging gerne weiter offen liegen und auch auf eine Weste würde er verzichten.
"Und wie sieht es mit dem heutigen Abend aus?
Bin ich irgendwo eingeladen?"
Tharaniel streifte mit dem Finger über drei besonders edle Umschläge.
"Ja, mehrere Adelige wünschen Eure Anwesenheit.", der Schattentänzer kicherte und ein boshaftes Glitzern trat in seine Augen. "Jeder will ein Stück von Euch. Oder Eurer Wahrsagerin. Oder dem Goldkehlchen, das Ihr so eifersüchtig behütet."
"Ein Stück von mir können sie haben, aber mir ist nicht danach, auch ein Auge auf Emilia und Indivia zu halten.
Die Hitze ist ermüdend, aber glücklicherweise bist du es ja, der mich eifersüchtig behüten wird."
Seufzend ließ Elliot sich an seinem Schreibtisch und blätterte gelangweilt durch die Briefumschläge, in denen sich vermutlich Gesuche seiner Vasallen befanden. Diesen Stapel würde er vor seiner Abfahrt noch durcharbeiten müssen ...
"Fragt jemand Wichtiges nach mir?"
"Ihr Menschen seid so schwach." Der Schattentänzer seufzte. Keine einzige Schweißperle stand auf seiner Stirn, obwohl er in seinem Frack steckte. "Selbst das Wetter kann Euch bezwingen."
"Das Wetter hat mich nie bezwungen, es beeinflusst lediglich mein Gemüt."
Elliot warf dem Schattentänzer einen spöttischen Blick zu.
"Und wenigstens muss ich mich weder vor dem Licht, noch vor heiligen Orten fürchten.
Wärst du jetzt so gut, meine Frage zu beantworten?"
"Keine wichtigen Adeligen", antwortete der Schattentänzer prompt. "Heute nicht."
"Hmm ..."
Ein Grinsen trat auf Elliots Mund.
"Dann sag mir einfach, wer von ihnen die hübscheste Tochter hat."
"So manch einer würde Euch nun einen Hund nennen", trocken lächelte Tharaniel, ehe er den Kopf schief legte und eine Einladung heraus pflückte. "Sie haben die schönste Tochter der drei."
"Ein Hund, mein Lieber, nimmt, was man ihm vorsetzt.
Ein Lord wählt seine Mahlzeit selbst."
Rasch öffnete Elliot den Brief, überflog Text und Namen, um sicherzustellen, dass es keine der Töchter war, die er bereits in seine Kammer eingeladen hatte. Und da dies offenkundig nicht der Fall war, wusste er, in welchem Haus er den Abend verbringen würde.
Hoffentlich verstand Tharaniel etwas von menschlicher Schönheit.
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