1. Elliot: Zerbrechen
in Herbst 516 16.08.2015 19:13von Glacies Citris • Herzog | 15.151 Beiträge
Ah, das Gefühl, wenn die rauchige, leicht süßliche Flüssigkeit seine Kehle hinabrann, sich in seinen Hals brannte wie Säure. Es gab Elliot das Gefühl zu ersticken, einen langsamen Feuertod zu Sterben und gleichzeitig zu ertrinken. Es war gut so, denn diesen Schmerz kannte er und er erstickte lieber am Branntwein als an seinen eigenen Tränen. Tausend grausame, vertraute Tode war er bereit zu sterben, wenn der Schmerz jedes einzelnen seine Seelenqualen nur ein wenig lindern würde. Betäuben.
Unkoordiniert torkelte Elliot durch den Raum, stellte ungeschickt den am Boden liegenden Stuhl auf, nur um ihn in einem plötzlichen Anfall von Zittern gleich wieder umzuwerfen. Die Schachfiguren, welche er aufheben wollte, entglitten seinen Händen und irgendwann gab er das sinnlose Unterfangen auf, in seinem Zustand aufräumen zu wollen. Er nahm die schwarze Dame zwischen die bebenden Finger und schleuderte sie von sich, bis sie in irgendeiner Ecke landete. Vielleicht würde er Tharaniel irgendwann später befehlen, nach ihr zu suchen, doch selbst diese Vorstellung weckte in ihm keine Regung von Amüsement, entlockte ihm kein Lächeln. Er fühlte sich, als hätte er gerade alles an genau die Personen verloren, denen er in der Stunde des Todes entronnen zu sein geglaubt hatte. Und gewissermaßen war auch genau das geschehen. Elliot glaubte nicht an ein Jenseits, an ein Nachleben, doch deutlicher als je zuvor spürte er in diesem Moment, dass seine Eltern auch lange nach ihrem Ableben mit ihren kalten Fingern noch an den Fäden zogen, die mit seinen Gliedmaßen verknüpft waren. Er erhielt das aufrecht, was er immer so sehr gehasst hatte, ihre Lügen, ihre Erinnerungen, er wahrte ihre Geheimnisse und bekämpfte diejenigen, die einen zu guten Blick auf sie warfen. Er färbte sich weiter die Haare, log und betrog, schlug um sich wie ein Berserker, um ihren Wünschen nachzukommen.
Hasste Indivia ihn nun? Mit Sicherheit tat er das. Nicht einmal ein unschuldiges Herz wie das dieses Vögelchens könnte verzeihen, was er getan hatte. Und selbst dieser Sonnenschein wäre angeekelt zurückgewichen, hätte er gewusst, was für ein Geschöpf Elliot war. Ein Kind der Blutschande, krank und abstoßend, kein voller Mensch, etwas, das nie hätte existieren dürfen. Ein Schandfleck, der durch die Welt wanderte, und beschmutzte, wen er berührte. Indivia hätte ihn früher oder später verabscheut, selbst wenn – oder gerade wenn – er ihm noch näher gekommen wäre. Es war gut, dass Elliot es gewesen war, der dieser zum Scheitern verurteilten Affäre den Gnadenstoß gegeben hatte, bevor daraus etwas wachsen konnte, das zu verlieren schmerzen könnte. Noch mehr als es ohnehin schon schmerzte… war das überhaupt möglich? Warum? Warum tat es so weh? Warum zerrissen die Worte, die er wie einen Dolch in ein anderes Herz gestoßen hatte, nun sein eigenes? Erbärmlich, weil er erbärmlich war. Eine schwache, hilflose Kreatur, zusammengehalten von einer steinernen Fassade aus Arroganz und falschem Stolz, doch innerlich so verletzlich und sentimental, dass es nicht einmal mehr bemitleidenswert war.
Ein letzter Tropfen auf seiner Zunge, die Flasche war leer. Wankend bewegte Elliot zurück zur Vitrine und holte eine zweite hervor. Augen beobachteten ihn dabei, kalt und tot, wie sie es immer taten, Augen, die er selbst nicht sehen konnte, die aber jede seiner Bewegung verfolgten. Vielleicht leben sie noch, dachte er, als er die zweite Flasche entkorkte. Vielleicht wird er bald vor meiner Tür stehen. Vielleicht ist sie schon zurück. Und dann würde Elliot wieder ein Spielzeug sein, ein Werkzeug, eine Waffe oder was immer er gerade für sie sein musste.
Er trank weiter, wollte die Gedanken forttrinken, herunterspülen, in dem Feuer des Branntweins verbrennen. Er trank, bis er zusammenbrach, sein Magen rebellierte und er den Inhalt wieder hervorstoßen musste. Auf dem Boden saß er, an die mit weißem Holz gezierte Wand gelehnt, so erschöpft und müde, dass er nicht glaubte, noch einmal aufstehen zu können. Selbst die Bewegung, die er brauchte, um die Flasche zum Mund zu führen, kostete ihn so unendlich viel Kraft, dass er es schließlich aufgab. Sein Geist war wie in Wolken und Watte gehüllt, sein Inneres warm, sein Blick nunmehr glasig und apathisch, anstatt verzweifelt und aufgewühlt.
Als schließlich das engelsgleiche Gesicht in sein Blickfeld gelangte, er verschwommen blaue Augen und von schnellen Schritten wehende, blonde Locken erblickte, entlockte ihm das ein trockenes Lachen. „Bist du endlich da, Tante Emily?“, nuschelte er, unfähig, seinen Worten die Klarheit zu verschaffen, die sie im nüchternen Zustand gehabt hätten. „Er kommt bestimmt bald auch zurück… was wird er heute für ein Lächeln von dir tun? Oder musst du schon den Rock lüften-?“
„Wovon sprecht Ihr?“ Angst in der weichen Frauenstimme, Sorge in ihren Zügen, die nun, bei näherer Betrachtung doch etwas aufklarten. „Mylord, was ist hier geschehen?“
Ah, Emilia, nicht Emily. Natürlich. Sacht zuckte Elliot mit den Schultern. „Nichts. Worte. Schall und Rauch.“ Erneut lachte er, als er eine Berührung an seinem Arm spürte und die junge Frau ihn auf die Beine zog. Ein freudloser, fast schon hysterischer Laut. „Ihr werdet schmutzig, wenn Ihr mich berührt, holde Maid.“ Der Spott in seiner Stimme klang hohl und leer, nicht schneidend und giftig, sondern stumpf wie die Zähne eines alten Hundes. Der verzweifelte Versuch, Normalität zu wahren, zu verbergen, dass etwas geschehen war.
„Das kümmert mich nicht“, murmelte Emilia. „Kommt mit… Ihr braucht ein neues Hemd.“
Und so kam es zu der surrealen Situation, dass ausgerechnet Emilia ihm heute dabei half, sich zu entkleiden, zu waschen, dass sie ihn zu Bett brachte, obwohl die Dämmerung gerade erst eingesetzt hatte. Sie stellte wenige Fragen, sagte nur, sie würde warten, bis er seinen Rausch ausgeschlafen hatte. Dann löschte sie die Lampen und ließ ihn alleine in Rausch, Kummer, mit seinem schlechten Gewissen und den Geistern verblichener Menschen.
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