2. Emilia: Ein Geheimnis enthüllen
2. Emilia: Ein Geheimnis enthüllen
in Herbst 516 07.01.2016 09:54von Glacies Citris • Herzog | 15.151 Beiträge
Das Archiv im Keller des Rathauses war ein finsterer Ort, dessen altes Gemäuer durch das kärgliche Licht weniger Lampen kaum an Helligkeit gewann und eigentlich nur noch düsterer anmutete. Trocken war die Luft und sie roch nach Staub und die Stille, nur unterbrochen von dem gelegentlichen Kratzen einer Feder und Rascheln von Papier, war so dicht, dass man sie beinahe als Kribbeln auf der Haut spüren konnte. Es war der perfekte Ort um ein altes Geheimnis zu hüten.
Emilias Mund fühlte sich trocken an, ihre Hände waren feucht und ihre Stimme war leise und unsicher, als sie an den Tresen trat und dem Mann, welcher dahinter saß, einen guten Tag wünschte. Sie wollte es wissen und zugleich wollte sie es nicht. Sie fürchtete sich vor dem, was sie erfahren könnte, ebenso, wie sie sich von dem fürchtete, was ihr verborgen geblieben war. Sie wusste nicht mit Sicherheit, ob Lord Ashsteel mehr wusste, als er ihr zu sagen bereit war, sie wusste auch nicht, ob an ihrer Vermutung auch nur ein Körnchen Wahrheit war. Eine Überzeugung aber brannte in ihr, hell, klar und wegweisend, und das war jene, dass sie dem Lord nicht vertrauen konnte. Dass er sie für immer hinhalten und sie auf ewig seine Gefangene bleiben würde, wenn sie zuließ, dass er allein sich darum kümmerte, ihre Vergangenheit zu ergründen – oder glaubte, sich daran zu erinnern.
Ein von den Jahren gezeichnetes Gesicht mit mehr Lach- als Stirnfalten und überraschend jungen Augen hinter schmalen Halbmondgläsern blickte hinter dem Tresen auf und genau ihr entgegen. Ein Lächeln lag auf den Lippen des Archivars. „Oh, wie selten ich eine so reizende junge Dame hier begrüßen darf. Wie kann ich Euch behilflich sein?“
Emilia befeuchtete nervös ihre Lippen und erwiderte dann: „Ich komme, weil ich etwas wissen möchte… über jemanden. Eine Frau. Ich kenne ihren Nachnamen nicht, aber sie muss eine Tante des Lord Ashsteel sein.“
Der Archivar hob eine Augenbraue. „Nun, davon könnte es mehr als eine geben. Emily ist ein beliebter Name und wie man weiß, pflegen die Adeligen, ihre Ahnen zu ehren, indem sie ihren Kindern immerzu die gleichen Namen geben.“ Doch sein Lächeln erstarb nicht und er stand von seinem Stuhl auf. „Ich will sehen, was ich für Euch tun kann.“
Emilia nickte und brachte ein leises „Danke“ hervor und schaute dann zu, wie der ältliche Mann mit noch immer sehr geradem Gang zwischen den Regalen im hinteren Bereich des Archivs verschwand. Sekunde um Sekunde verstrich und jede einzelne zog sich dahin wie eine Stunde und keine leise Hoffnung konnte das Herz der jungen Frau beruhigen. Tante Emily, er hatte Tante Emily gesagt, so hatte der Lord sie trunken genannt. Und im Wein lag die Wahrheit, so sagte man.
Als der Archivar endlich zurückkehrte, wusste Emilia nicht, ob sie glücklich sein oder Angst verspüren sollte. „Wie ich mir dachte“, sagte der Mann und legte einen kleinen Stapel an Akten auf den Tresen. „Es gibt mehrere Frauen, welche Ihr meinen könntet – oder besser sollte ich sagen 'es gab sie'. Denn sie sind alle tot, die jüngste seit acht Jahren.“
„Ich danke Euch“, murmelte Emilia und versuchte sich an einem Lächeln, welches wohl von ihrer schieren Aufregung verschlungen wurde. Mit zitternden Fingern öffnete sie den ledernen Einband der obersten Akte. Lady Emily Rayland, geborene Ashsteel. Geboren am 37. Firis 478 in Brightgale. Vermählt am 22. Ventis 498 mit Lord William Rayland von Hythe. Verstorben am 67. Urthis 509 in Hythe.
Das waren die Buchstaben, welche dort in feinsäuberlicher Schrift eingetragen waren, das Leben eines Menschen in wenigen Sätzen zusammenfassten. Doch Emilia nahm sie kaum wahr, denn etwas anderes zog ihre Augen in Bann. Und das war das kleine Portrait, welches unter dem Text abgedruckt war und die Lady in der Blüte ihrer Jugend darstellte. Die Zeichnung war nicht die feinste und zudem nur in Schwarz und Weiß. Doch Emilia brauchte wenig Fantasie, um sich Farben auf Haut, auf Haar und in die Augen zu denken. Denn das Antlitz, welches ihr entgegen lächelte war ihr eigenes.
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