02. Arztbesuch
Es war ein frostiger, allerdings noch schneefreier Tag, an dem Amber das Bordell Zur roten Grafentochter besuchte. Nach außen handelte es sich um ein schlichtes Gebäude im Hafenviertel mit ordentlich dunkel lackierten Fensterläden und Gemäuer aus perlgrauem Gestein. Einzig und allein das hölzerne Aushängeschild fiel auf, denn es zeigte neben dem Schriftzug, der den Namen des Etablissements verriet, auch eine mit dunklen Konturen aufgemalte Frau in einem etwas frivolen Mieder, welche die roten, vollen Lippen zu einem Kussmund formte.
Dass der Eindruck täuschte, wusste Amber bereits, doch wie immer wurde er ihr sehr klar vor Augen geführt, als sie die Tür öffnete und den hervorquellenden Geruch billigen Duftwassers und blumigen Räucherwerks einatmete. Einen Augenblick lang hielt sie die Luft an und versuchte, wenigstens die ihr entgegenschlagende Wärme zu genießen. Dann trat sie ein, schloss die Tür hinter sich und versuchte, sich daran zu erinnern, dass sie schlechtere Gerüche gewohnt war.
Rotverhängte Lampen verbreiteten warmes, sinnliches Licht, erotische Malereien zierten die Wände. An einer Schanktheke saßen auf Hockern eine sehr junge und eine etwas ältere Iblianerin in eher komfortabel als aufreizend anmutenden Kleidern. Sie scherzten miteinander und spielten Karten, während eine zierliche, hellblonde Geisttänzerin hinter der Theke etwas niederschrieb und ihnen ab und an amüsierte Blicke zuwarf. Reguläre Gäste würde die Einrichtung erst am Abend empfangen, aber die Heilerin war alles andere als ein regulärer Gast.
"Ah, Amber", wurde sie von der Dame hinter der Theke mit begrüßt. "Unpünktlich wie eh und je."
Ihre Worte wurden von einem breiten Lächeln und einem Kichern der anderen Frauen begleitet, die sich nun umdrehten.
"Du und deine Mädchen können warten, Chalia", gab Amber schlicht zurück. "Jemand, der am Verbluten ist, nicht. Wo ist dein Neuzugang?"
"Ich rufe ihn schon, du humorlose Hexe", erwiderte die Bordellbetreiberin gutgelaunt und scheuchte die Kartenspielerinnen von der Theke fort. "Na kommt, sagt den anderen Bescheid, dass sie sich fertig machen sollen."
Dann öffnete sie die Tür zu dem Gang, der zu den Zimmern der männlichen Huren führte und rief mit einer Stimmgewalt, die gar nicht zu ihrer zarten Gestalt passte:
"Dary? Daryl, komm her!"
Sie kehrte wieder zu ihrem Platz hinter der Theke zurück, fügte grinsend hinzu:
"Er ist übrigens keins. Kein Mädchen. Heißt das, er hätte nicht warten müssen?"
Zu sagen er wäre dankbar... War schlichtweg eine Übertreibung. Daryl war... Erleichtert nicht mehr auf der Straße betteln zu müssen. Beinahe beschämend und dann wiederum nicht. Er hatte nur wenig Geld mitgenommen, dieses war rapide schnell verbraucht. Dann das betteln... Es hatte zu wenig zum Überleben gebracht. Allerdings... Hatte er sehr viel Aufmerksamkeit bekommen. Mann, Frau, jung, alt. Sie hatten sein Gesicht angestarrt, seine Hände - wie durch ein Wunder noch weich und rosig - dann hatten sie gegrinst, gelächelt, gelacht und geflötet.
Je kälter es wurde, desto teurer wurden die Ausgaben für ihn. Im Herbst hatte Daryl noch hinter einer Mauer verschwinden können, zusammen mit dem Interessenten. Doch im Winter erwartete man etwas Besseres als einen alten Schuppen oder einen Hinterhof.
Das er einmal der Prostitution heim fallen und es auch noch zulassen würde... Es entlockte Daryl ein fahles Lächeln. Ganz wie seine Geliebte... Wenn er denn noch weiter sank, seine ach so reine Seele befleckte... Vielleicht erbarmte sich dann die Todesgöttin, schenkte ihm dann den süßen, erlösenden Kuss, der ihm vorher immer verlockend vorgehalten und dann wieder - oh, so grausam - entzogen wurde.
Sie ruft nach mir.
Der Hochelf wandte leicht den Kopf, ehe er vom Fensterbrett glitt, sicher auf dem Boden stand. Man hatte ihm neue Kleidung geschenkt. Beinahe, nur beinahe im Stile der Hochelfen. Doch hier war die Tunika zu lang, dort schmiegte sie sich falsch an den Körper. Die cremefarbenen Leggins klammerten sich eng ab seine langen Beine, der grüne Stoff der Tunika ummalte seine Figur... Er wurde selbst in seiner praktischen Kleidung dargestellt. Daryl tauschte Tunika gegen ein Wams, dessen Kragen sich bis unter sein Kinn schloss.
Eilte dann den Gang hinaus, das lange Haar offen und endlich wieder sauber.
Amber betrachtete den Neuankömmling, einen anscheinend noch sehr jungen Mann mit langem, blonden Haar und auffälligen, verschiedenfarbigen Augen. Er war durchaus hübsch, aber auf eine so zerbrechliche, verletzliche Weise, dass es die hartgesottene Heilerin beinahe schmerzte, ihn hier zu sehen.
"Daryl, dass ist Amber", stellte Chalia die beiden einander vor. "Sie untersucht euch alle zwei Wochen. Wenn du gesund bist, kannst du ab heute Abend arbeiten."
Daryl nickte, sein Blick fixierte sich auf Amber, er legte in einer seltsamen Geste den Kopf schief. Signalisierte einen zerbrechlichen, verzweifelten Stolz, versuchte damit die innere Kälte zu überschatten, zu verbergen. Er schenkte ihr ein Lächeln, sein übliches, fahles Lächeln.
"Erfreut Euch kennen zu lernen." Er sprach leise, sanft und traurig.
"Das bezweifle ich, Junge", schnaubte Amber und nickte in Richtung des Flurs, aus dem Daryl eben gekommen war. "Bring mich in dein Zimmer. Je schneller wir fertig sind, desto besser für uns beide."
"Gewiss." Daryl ging voraus, führte die Heilerin in das noch sehr karge Zimmer. Mehr als ein Bett und ein Kleiderschrank stand dort nicht. "Hier. Was nun?"
"Jetzt", antwortete Amber, "ziehst du dich aus."
Sie stellte ihre Tasche auf dem Boden ab und fuhr erklärend fort:
"Ich muss dich auf Krankheiten untersuchen, die man sich bei deiner Arbeit einfangen kann. Einige davon können sehr gefährlich sein und Chalia hält ihren Laden gerne sauber."
Sie sagte das so ruhig und sachlich, als erkläre sie mathematische Grundlagen. Sie erinnerte sich vage daran, als junge Frau Ekel empfunden zu haben, als sie zum ersten Mal einen Patienten auf Geschlechtskrankheiten untersucht hatte. Doch das Gefühl war schnell abgeklungen und nach all den Jahren mit ihrer Arbeit konnte sie kaum noch etwas schockieren.
"Du hast bisher auf der Straße gearbeitet, nicht wahr? Machst du es schon lange?"
Daryl leckte sich die Lippen, ehe er begann langsam die Kleidung abzustreifen. Er tat es mit einer gewissen Gleichgültigkeit, als wäre ihm sein Körper egal, als wäre es ihm völlig egal. Er fror auch nicht, obwohl es in dem Zimmer kühl war, wie könnte er denn frieren, wenn sein inneres kälter als die schneebedeckten Kappen der Welt war.
"Seit dem Herbst", sagte Daryl ruhig, ließ die Arme leblos am Körper herab hängen, die Innenseiten an den Körper gedreht. "Dann wurde es zu kalt...und eines von Chalias Mädchen brachte mich her."
"Ich verstehe."
Amber hockte sich auf den Boden und füllte mithilfe ihrer Magie eine kleine, mitgebrachte Schale mit reinem, klaren Wasser, wusch sich die Hände darin.
"Hattest du früher irgendwelche Krankheiten?"
Sie schob das Gefäß beiseite, erhob sich, musterte den Mann mit kühlem, professionellen Interesse, sah nicht den nackten Leib eines schönen Jünglings vor sich, sondern nichts als einen weiteren Patienten von vielen, die es zu behandeln galt. Auf die gleiche Weise begann sie dann, seine Haut nach Narben, Ausschlägen und Ähnlichem zu untersuchen.
"Nein." Daryl ließ gleichgültig das mit sich machen, was immer sie wollte. Es war ihm egal, kümmerte ihn nicht.
Bin ich krank?
Sein Blick ruhte ohne Interesse auf der Heilerin. Es war immer das gleiche. Herzschlag, Einatmen. Herzschlag. Ausatmen. Immer wieder. Eine monotone Routine, die ihn beinahe umbrachte, den Wunsch weckte, erneut zum Messer zu greifen und den Kreislauf des Lebens zu unterbrechen, erlahmen zu lassen. Sich mit Schmerz zu bestrafen und belohnen.
Chalia mochte den jungen Mann von der Straße geholt haben, aber aufgewachsen war er dort sicher nicht. Dafür war seine Haut zu glatt, zu rein, zu hell, zu unberührt von Sonnenlicht und Krankheit, keine Spur von den Pocken, nicht einmal Akne schien er gehabt zu haben. Auch seine Zähne waren gerade und von gesunder Farbe. Narben fand sie lediglich auf der Innenfläche seiner Handgelenke, langgezogene, tiefe Wunden mussten dort einst gewesen sein, wie Amber sie schon viel zu oft in ihrem Leben gesehen hatte. Und am Hals fand sie ein paar leichte, offenbar schon fast völlig abgeheilte Blutergüsse.
"Wovon sind die?", fragte die Heilerin stirnrunzelnd und strich mit dem Finger sacht über Daryls Kehle.
"Mein letzter Kunde." Daryl griff sich unbewusst an die Kehle, als könnte er die Hände um seinen Hals noch spüren. Der Adelige war etwas grober als sonst gewesen, hatte ihn gewürgt und jeden Protest mit seinem Atem erstickt. Der Hochelf schluckte und ließ seine Hände dann wieder leblos und schlaff seine Seiten zurück sinken.
"Noch auf der Straße oder schon hier?", fragte Amber und hockte sich vor Daryl hin, um seine Genitalien zu untersuchen. Ihr Ton gab keine Hinweise preis, dass es sich bei dieser Frage um mehr als eine beiläufige gehandelt hätte.
Tatsächlich aber hatte die Heilerin eine Abmachung mit Chalia - denn eine der Bedingungen, unter denen sie dem Bordell regelmäßig ihre Besuche abstattete und ärztlich versorgte, bestand darin, dass alle Huren anständig behandelt wurden und sich für ihre Freier nicht gefährden mussten.
"Auf der Straße.", antwortete Daryl, warf einen nachdenklichen Blick zu der Frau, die nun vor ihm hockte, sein Geschlecht untersuchte als erwarte sie, er hätte sonstige Krankheiten dort unten versteckt. Er legte den Kopf schief und sagte dennoch nichts.
Warum mich beschweren...es bringt sowieso nichts.
Entweder hatte der Junge großes Glück mit seinen Kunden gehabt oder sein Körper war sehr gut darin, sich gegen Krankheiten zu wehren. Jedenfalls konnte Amber keine Auffälligkeiten entdecken.
Also erhob sie sich und nickte.
"Du bist gesund genug zum Arbeiten. Ich werde es an Chalia weitergeben und dich in zwei Wochen wiedersehen."
Sobald schon?
Stumm nickte Daryl und kleidete sich wieder an, tat es mit der gleichen, kalten Routine, mit der er auch alles andere tat. Als wäre es ihm egal, als wäre sein Körper ihm egal.
Amber wusch sich die Hände erneut, packte ihre Sachen zusammen, nickte dem jungen Mann ein letztes Mal zu, ehe sie sich zurückzog. Ins nächste Zimmer, zum nächsten Arbeiter.
Illusionen machte sie sich nicht. Einige Huren liebten ihre Arbeit, doch die wenigsten würden ihr nachgehen, wenn es Alternativen gäbe. Die meisten fingen aus reiner Not an, ihre Körper zu verkaufen, sich ausbeuten. Und es war etwas, dass sich leider nicht verhindern ließ, solange es Menschen gab, die Geld hatten, und Menschen, die Geld brauchten.
Und da es schier unmöglich war, allen zu helfen, hatte Amber vor einigen Jahren beschlossen, Chalia - die selbst einst auf der Suche nach Freiern durch die Straßen gezogen war - und ihre Schützlinge - die ebenfalls meist eine Vergangenheit voll von bitterer Not hatten - zu unterstützen.
Es gab ihr nicht den Frieden, den sie sich wünschte, doch sie konnte nachts schlafen.
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