13. Brautkleid
Niamh hatte längst aufgehört, sich einzumischen.
Zwar war sie überzeugt, dass eine junge Braut sich für jedes Detail ihres Hochzeitskleids zu interessieren hatte, sei es nun der Farbton, der Stoff oder die Art der Verzierung, und anfangs hatte sie auch noch mit einigermaßen großem Elan mitgespielt.
Doch je mehr Zeit verging - sie fühlte sich, als seien es nun schon Stunden - in denen ihre zukünftige Schwägerin Adastreia mit Garalend über die feinen Unterschiede zwischen Rosa und Lachsrot diskutierten oder die Vorzüge von Lind- und Tannengrün ausfochten, und über die Bedeutung von Weiß als Farbe des Lebens sprachen, desto überflüssiger und unbedeutender fühlte sie sich mit ihrer Meinung. Als man schließlich über Perlen aus den Meeren von Elethun, Seide aus dem fernen Westen und Stickereien nach Vorbild der Runenhüter sprach, gab Niamh sich endgültig geschlagen und ließ all die Abmessungen und kritischen Blicke über sich ergehen, während die beiden Modekenner das Kleid entwarfen.
Sie hoffte nur, dass etwas dabei herauskommen würde, über das sie beim Laufen nicht stolpern würde.
"Amüsierst du dich?" Lian lehnte sich beinahe amüsiert gegen den Türrahmen und grinste. Er hatte Mitleid mit Niamh, die unter den Stoffen beinahe verschwand, während Garalend und Adastreia vollkommen in ihrem Element aufgingen. Armer Centis, er kam kaum hinterher mit der Geschwindigkeit, wie Garalend die Maße ausstieß. "Sie werden nicht aufhören, ehe sie beide zufrieden sind."
Niamh warf ihrem Verlobten ein zuckersüßes Lächeln zu.
"Alles, um dich an unserem Hochzeitstag zu bezaubern, Liebster", gurrte sie und hob die Arme, als Gara sie darum bat, damit er zur Probe eine Stoffbahn an sie heran halten konnte.
"Außerdem entzückt mich die Vorstellung, dass du dich ebenfalls dieser wundervollen Behandlung unterziehen werden musst."
"Allerdings", mischte Adastreia sich ein, die nach einem kurzen, kritischen Blick Garalends Vorschlag akzeptiert hatte. Lächelnd wandte sie sich Orome zu, ihre Augen strahlten in dem gleichen Gold wie ihr Stirnkristall. "Ich kann schließlich nicht zulassen, dass mein Bruder wie ein gewöhnlicher Bauer aussieht."
Sie schmunzelte bei diesen Worten.
Schließlich würde es kaum möglich sein, dass Orome jemals weniger königlich aussah.
Nicht einmal der unvorteilhafte Haarschnitt hatte seinem Äußeren geschadet.
Die schmale Augenbraue skeptisch gehoben, begegnete Lian dem Blick seiner Schwester. Schwester...das Wort war noch immer fremdartig auf seiner Zunge, sperrig in seinen Gedanken und schwer als Gefühl im Kopf.
"Ada, dein Raubtierblick verstört mich bis ins Mark.", entgegnete er nur zur Hälfte Spaßhaft, schenkte ihr ein freches Lächeln. "Und ich sehe nicht aus wie ein Bauer! Ich bevorzuge nur lange Samtmäntel."
"Und ich bin gleichermaßen kein Raubtier", erwiderte Adastreia neckisch. "Nur eine Bewunderin raubtierhafter Eleganz."
Ein paar Bewegungen Garalends lenkten ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Schneider und sie begann, lebhaft mit ihm über die mögliche Beschaffenheit des Kragens zu diskutieren.
Nur am Rande nahm sie wahr, wie es an der Tür klopfte und die Stimme des jungen Hausarztes hinter ihr sagte:
"Auf ein Wort, Lord Orome."
Garalend steckte den neuen Stoff erst mit Stecknadeln fest, ehe er begann, überraschend energisch, sich vor der Kristallelbin zu rechtfertigen. Er erklärte, mit schwindender Geduld seine Wahl.
Kopfschüttelnd wandte Lian sich ab, unterdrückte den Kommentar, der spöttisch auf seiner Zunge lauerte. Stattdessen lenkte er seinen Blick auf einen wesentlich angenehmeren Anblick.
"Wie kann ich helfen?"
"Ich habe ein paar Dinge aufgeschrieben", erklärte Nathaniel, reichte Lian eine Liste und wischte sich durchs schwarze Haar. "Sie könnten dem Vater Eurer werten Braut von Nutzen sein und ihm helfen, über längere Zeit gesund zu bleiben."
Er schenkte dem Mädchen, welches in Stoffmassen geradezu zu verschwinden schien, ein aufmunterndes Lächeln und fügte lauter hinzu:
"Wenn Ihr wollt, könnt Ihr schon kleine Spaziergänge mit Eurem Vater unternehmen. Er ist stabil genug dafür."
Er erntete seinerseits ein Lächeln, wenngleich es etwas kläglich schien.
Liams Verlobte schien in etwa so begeistert von der Prozedur zu sein, wie er selbst es gewesen wäre.
"Ah, gut." Lian nahm die Liste entgegen und las über sie. Gelegentlich runzelte er die Stirn, doch dann nickte er. "Mach das lieber, Niamh. Ich werde dir Ada und Gara vom Hals halten."
"Wir sind in Hörweite, Milord!", empörte Garalend sich, ehe er sich mit weit aufgerissenen Augen die Hände vor den Mund schlug, sich rasch entschuldigte.
"Niamh wird sich an uns gewöhnen müssen", erwiderte Adastreia gutgelaunt. "Schließlich wird sie die Gemahlin meines Bruders sein und sich auch in Zukunft angemessen kleiden wollen."
Sie strich dem Mädchen wohlwollend über den schmalen Arm.
"Aber ich glaube, dass Garalend und ich beinahe zu einem Schluss gekommen sind."
"Keine Sorge, Gara, ich nehme dir deine ehrlichen Worte nicht übel", beruhigte Lian den Fil-Shatah, der wirkte als wolle er im Boden versinken. Dann grinste er und lehnte sich mit verschränkten Armen gegenüber von Adastreia an die Wand. "Denk dran, dass ich mich noch sehr gut an die Zeit erinnern kann, in der DU dich gegen jede Art von solchen Kleidern gewehrt hast."
"Nun, Kinder wissen oft noch nicht, die wichtigen Dinge im Leben zu schätzen, Orome", gab Adastreia zurück. "Genau wie du früher nicht in der Lage warst, in Gegenwart einer Likörflasche deine Würde zu bewahren."
Sie konnte sehen, wie ein leicht diabolisch angehauchtes Grinsen über Niamhs Lippen huschte, gefolgt von den Worten:
"Oh, diese Geschichte kenne ich ja noch gar nicht, Liebster."
"Glaub mir, Ada", Lian erwiderte in süffisantem Tonfall und lächelte. "Du willst diese Geschichte nicht erzählen, oder?"
"Ich finde, dass du sie hübscher erzählen kannst ..."
Nathaniel hätte die Geschichte gerne gehört, aber ihm war bewusst, dass es auffällig gewesen wäre.
Er war nur ein Diener und noch dazu einer, der gerade nichts an diesem Ort zu suchen hatte.
Also verließ er stumm den Raum, darauf hoffend, dass Lian ihm die Geschichte eines Tages erzählen würde.
Centis indes war aus ganz eigenen Gründen interessiert daran, dass die Geschichte erzählt wurde.
Nicht, weil ihn der Inhalt brennend interessierte, sondern weil es Garalends Streit mit der Lady Kiansola Einhalt gebot und ihm selbst die Möglichkeit gab, seine Mitschrift zu vervollständigen und noch Notizen zu ergänzen.
Er hätte nie für möglich gehalten, dass eine solch vornehme Dame und ein derart schüchterner Schneider über ein Thema so leidenschaftlich und wild debattieren konnten ...
"Ich fand es aber immer noch beeindruckend, wie du es geschafft hast, unseren Großvater mit nichts als einem unschuldigen Lächeln zu besänftigen." Lian machte keine Anstalt näher auf den Inhalt der Geschichte einzugehen, grinste nur breit. Seltsam, wie sehr er den Schlagabtausch mit seiner Schwester genoss.
"Im Herzen war unser Großvater wohl ein sanftmütiger Mann."
Adastreia schenkte ihrem Bruder ein Lächeln von genau der Art, welche er soeben beschrieben hatte.
Ihr Großvater musste es gewusst haben.
Dass sie mehr war als nur Oromes Kindheitsfreundin, dass sie die verstoßene Schwester gewesen war.
Er hatte es ihr nie offen gesagt, doch wenn sie zurückblickte, wurde ihr bewusst, dass die Art, wie Trevelyan sie behandelt hatte, nicht der entsprach, wie ein Lehrer mit seiner Schülerin umging. Fürsorglicher, väterlicher.
"Vor allem aber stur." Lian schüttelte den Kopf und sah dann auf die Liste hinab, jene, die Nathaniel ihm gegeben hatte. Ein Anker um in der Realität zu bleiben. "Meinst du, er hat es gewusst?"
"Er muss es gewusst haben.
Er war ein kluger Mann. Und aufmerksam."
Adastreias Blick war nachdenklich, das Kleid ihrer baldigen Schwägerin war beinahe vergessen.
Zumindest nahm es nicht länger ihre Aufmerksamkeit ein.
"Ich kann mir nicht vorstellen, dass er nichts wusste."
"Hm." Die Aufmerksamkeit von Lian wurde unterbrochen, als Garalend sacht am Ärmel von Adastreia zupfte, sie auf das Mieder des Kleides aufmerksam machte, dort wo er neue Stoffe als Probe angeheftet hatte.
Niamh musste sich große Mühe geben, ihr Gewicht nicht unruhig von einem Bein aufs andere zu verlagern und stattdessen stillzuhalten, während Adastreia und Garalend sich über ihre Taille beratschlagten und anscheinend nach Wegen suchten, sie noch schmaler erscheinen zu lassen. Wenigstens schienen sie sich auf Farben geeinigt zu haben, auf Weiß und einen Grünton, den sie vermutlich nicht einmal korrekt benennen konnte.
"Wird mein lieber Bräutigam ähnlich gekleidet sein?"
"Bring sie nicht noch auf Ideen!" Lians panischer Tonfall war nur teilweise gespielt. Denn in Garalends Augen war bereits dieses Glitzern aufgetreten, das sich auch in Adastreias befand. Sobald die beiden - diese Moderaubtiere - ihren Hunger an Niamh gestillt hatten, war er der nächste.
"Oh, sei kein Spielverderber, Lian", antwortete Niamh und verdrehte in gespielter Enttäuschung die Augen. "Wenn ich schon so einen schönen Mann heirate, soll er doch auch schön angezogen sein."
Zumindest wird es ein Anblick für die Göttinnen sein, wenn er so dasteht und an sich werkeln lassen muss ...
"Ha, ich habe Jahre damit verbracht still zu stehen und mich von Nadeln piksen zu lassen." Lian verschränkte die Arme vor der Brust, lachte dann auf, als Garalend empört über einen Kommentar von Adastreia die Luft ausstieß.
"Na, dann bist du es ja schon gewohnt."
Niamh blickte an sich herab und fügte hinzu:
"Außerdem kannst du dich nicht beschweren.
Ich glaube nicht, dass sie dir auch so ein Kleid nähen werden."
"Nein, vermutlich nicht." Sich durch das Kurze Haar streichend grinste Lian seine Schwester an. "Wir könnten natürlich auch Ada auf dieses Podest setzen."
"Ich will nicht versuchen, die Braut in den Schatten zu stellen", gab Adastreia bescheiden zurück.
"Allerdings würde ich mich über neue Gewandung sehr freuen."
Sie lächelte.
"Vorrang sollt aber ihr beide haben, schließlich sind eure Kleider für einen einmaligen Tag, während ich mich kleiden kann, wie ich es schon oft getan habe."
"Nun gut." Lian klatschte in die Hände, was Garalend erschreckte. "Dann befreien wir Niamh mal von dem Stoff. Und ich werde Gara ein wenig ablenken."
"Herr, für Eure Kleidung habe ich..."
Garalends ausführliche Erklärungen gingen ein wenig unter, als er im Nebenraum verschwand, eine Kiste mit Stoffen heranzog.
Niamh war unendlich erleichtert, als sie endlich von den schweren, warmen Stoffbahnen befreit war, wieder frei atmen und sich bewegen konnte. Ausgiebig streckte sie sich nun, froh, wieder ihre bequeme Alltagskleidung zu tragen.
Gara hatte ihr gleich nachdem sie eingezogen war, eine ganze Reihe neuer Kleidung geschneidert und obwohl sie darum gebeten hatte, die Stücke schlicht zu halten, war jedes einzelne von besserer Qualität und schönerem Schnitt, als alles, was sie je zuvor besessen oder auch nur getragen hatte. Es verdeutlichte ihr, wie anders nun doch alles war.
Und obwohl sie sich zwang, im Alltag fließende Kleider zu tragen, schlüpfte sie, wenn sie alleine war, oft genug in ihre alten Hosen. Oder Noahs.
Es beschämte sie ein wenig, dass sie noch immer an ihrer alten Situation festhielt, doch es tat gut, zwischen all dem Neuen noch etwas Vertrautes zu haben.
"Ich bin sicher, dass er auch etwas Hübsches für dich schneidern wird", sagte sie lächelnd und hakte sich bei Lian ein, lehnte sich leicht an ihm an.
Lian strich leicht über Niamhs Arm. Eine ruhige, nicht romantische Geste. Schlichter bestand, nicht mehr, nicht weniger.
"Hübsch bestimmt..." Lian lachte dumpf auf. "Von Nadeln gepikst werden, nicht so gut."
"Du wirst es überleben", antwortete Niamh trocken. "Selbst ich habe es geschafft." Und sie war bei Weitem nicht so sehr daran gewöhnt, dass man sie in Stoff wickelte, daran herumschnippelte, während sie stundenlang stillhalten musste. Oder auch nur daran, dass man für nur einen einzigen Tag in ihrem ganzen Leben ein Kleid anschaffte…
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