05. Geisterfluch
"He, junger Mann!"
Zephyr blieb stehen und drehte sich überrascht zu der ältlichen Dame um, die ihn mit ihrem Stock leicht angestoßen hatte. Klein war sie, gebückt und trug einen grimmigen Gesichtsausdruck.
"Wie kann ich Euch helfen?"
"Du könntest dir das da vom Kopf machen", erwiderte sie und machte an ihrem eigenen Hinterkopf eine wischende Bewegung. "Sieht nicht schön aus!"
Seufzend zupfte er sich ein rotbraunes Blatt aus dem Haar, das sich wohl während seines Waldspazierganges darin verfangen hatte. Augenblicklich wurde die Miene der Alten sanfter, freundlicher, ihre runzligen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln.
"Vieeel besser", lobte sie und klopfte ihm leicht auf die Schulter, musste sich dafür strecken, weil sie so viel kleiner war als er. "So findest du auch eine Frau."
Und mit diesen Worten stapfte sie davon.
Zephyr starrte ihr nach und widerstand dem Drang, kräftig gegen eine der Kisten, die ein Händler am Rand der Straße gestapelt hatte, zu treten. Stattdessen seufzte er erneut tief und trottete weiter, vorbei an den langsam nach und nach schließenden Ständen des Marktplatzes.
Er war nicht im Spiegelwald gewesen, um die schöne Natur zu genießen oder Pilze zu sammeln, wie er es sonst gerne im Herbst tat. Nein, er hatte seine freie Zeit, einen ganzen Tag dafür geopfert, nach einer Hexe zu suchen, die dort lebte und - wie man sich erzählte - mit Geistern sprechen konnte. Doch natürlich hatte sie sich bei seiner Ankunft als harmloses altes Kräuterweib herausgestellt, dass zwar viele Geschichten zu erzählen gehabt und ihn als Dank fürs Zuhören mit ein paar wundervollen Gewürzen ausgestattet hatte, ihm aber in keiner Weise mit seinem Problem hatte helfen können.
Nun wollte er einfach nur trinken, die Überreste seiner neugeschöpften und frühverstorbenen Hoffnung in einem Meer aus Wein bestatten.
Es war wahrscheinlich gut, dass Aria nicht dabei war, denn sowohl ihr deprimiertes Schweigen als auch ihr schadenfrohes Gekecker - und eines von beidem hätte sicher gefolgt - hätte seiner Stimmung zu einem noch niedrigeren Tiefpunkt verholfen...
Anna brüllte, als sei der Leibhaftige aus der Erde in ihren Körper gekrochen, sie tobte und schwang wagemutig in den Takelagen ihres Schiffs hin und her. Spannte die neuen Segel ihres geliebten Schiffen zusammen mit einigen anderen ihrer Männer ein.
"Wenn der Stoff nur einen Riss hat, reiß ich euch eure Eier ab und stopf sie euch so tief in den Rachen, dass ihr Titten bekommt!"
Ihre roten Locken wehten und ebenso ihre lockere Bluse. Ihre Männer hatten sich inzwischen an ihren bloßen Busen gewöhnt, doch die Passanten an den Docks wirkten doch etwas... ereifert.
Es mochte ein Wink des Schicksals sein, ein grausamer, schadenfroher Scherz, den es mit Zephyr trieb, indem es ihn an genau der Frau mit dem losen Mundwerk und der ebenso losen Kleidung vorbeischickte, der er vor einer Woche im Gasthaus begegnet war.
Eher noch war es aber seiner eigenen Dummheit zu verdanken, schließlich hatte er heute nicht vor, ein anderes Lokal aufzusuchen, und aus dem kurzen Gespräch mit Anna wusste er schließlich, dass sie ein Schiff hatte und die fand man eben normalerweise im Hafen vor.
Er wandte den Blick ab und schritt weiter.
Seine Laune war zu übel, seine Enttäuschung zu groß, um nun auch noch mit einer reizenden Frau zu sprechen, der er bloß nicht zu nahe kommen durfte.
Klappern fielen Münzen vor Zephyr zu Boden, Anna kauerte auf dem Mast des Schiffes, der wie ein toter Baum über den Docks ragte. Sie grinste und packte eines der seile, schwang sich in eleganter, routinierter Manier daran zu Boden.
"Aye, der nicht so zum fürchtende Zephyr. " Lachend strich Anna sich das Haar aus dem Gesicht, doch bemühte sich nicht Ihren Busen zu bedecken, die Bluse - verrutscht durch die heftige Bewegung - zu richten. "Was verschafft mir die Ehre?"
Stumm seufzte Zephyr und wandte sich zu ihr um.
"Der Zufall", erwiderte er mit einem Lächeln. "Ich wusste nicht, dass Ihr hier zu finden seid, Anna."
Sein Blick war fest auf ihr Gesicht gerichtet, rutschte nicht einen Augenblick tiefer zu ihrer entblößten Brust.
Wenigstens darin war er geübt.
"Aye, dann wird Meister Zufall sicher nichts dagegen haben, dass ich dir meine Braut vorstelle", lachte Anna und legte einen Arm um Zephyrs Schultern, drehte ihn zu dem Schiff. Schneidig war es, spitz und schlank. Eine leichte Fregatte mit genug Federkraft um auch einer Manowar gehörig auf den Geist zu gehen.
Ich bezweifle, dass er etwas dagegen hat ...
"Eine hübsche Braut hast du da", antwortete Zephyr, obwohl er kaum Ahnung von Schiffen hatte. Sicher, er war in seinem Leben bereits auf einigen gereist, aber das machte ihn bei weitem nicht zum Experten. Abgesehen davon war Annas Schiff tatsächlich von recht ästhetischer Bauart. Sofern man das eben von einem Schiff sagen konnte.
Sie klopfte ihm auf den Rücken, in dieser rauen, zustimmenden Art wie sie bei Seeleuten übrig waren. Lachend balancierte Anna mit Leichtigkeit über die schmale, wackelig anmutende Planke an Bord des Schiffes.
"Komm, Dustkeep, sie beißt nicht."
"Saugt einem nur die Seele aus. Und der Käptn verschlingt den Rest", grölte einer der Männer von der Seite und erntete Gelächter von seinen Kumpanen, sowie einen tödlichen Blick von Anna.
"Ich habe keine Angst davor, gebissen zu werden", gab Zephyr zurück und folgte Anna geschickt über die Planke aufs Schiff. Es war ein recht windstiller Tag, also fiel es ihm nicht sonderlich schwer, das Gleichgewicht zu halten.
Das war auch gut so, denn seine Aufmerksamkeit richtete er lieber auf Anna und ihre Mannschaft.
"Glaub kein Wort dieser Lügner", Anna machte eine obszöne Geste mit der Hand in Richtung ihrer Crew. "Sie können nicht mal die Wahrheit sagen wenn ihr Hals davon abhängt."
"Ich werde es mir merken", antwortete Zephyr lächelnd.
Mehr fügte er nicht hinzu, denn er kannte weder Anna, noch ihre Mannschaft gut genug, um das Gefühl zu haben, sich auf sicherem Boden zu bewegen. Und das tat er ja auch nicht.
Grinsend sah Anna zu dem Elf und stemmte erneut sie Hände auf die Hüften.
"Und? Wie gut kannst du klettern? "
"Gut genug, um mir bisher noch nicht sämtliche Knochen im Leib gebrochen zu haben", antwortete Zephyr wahrheitsgemäß. Es war allerdings schon eine ganze Weile her, dass er zuletzt in seinem menschlichen Körber geklettert war.
Meistens nahm er dazu die Gestalt eines Eichhörnchens an, das machte es einfacher.
"Beweist es mir." Anna konnte nicht mehr aufhören zu Grinsen, sie wiegte ihre Hüften und lehnte sich vor, den Blick gespielt süß.
Zephyr merkte, dass er im Begriff war, ihrem Vorschlag zu folgen.
Und er merkte auch anhand ihrer Körpersprache, dass dies eine wirklich schlechte Idee war.
Also trat er den Rückzug an.
"Ihr werdet mich nun für einen Feigling halten", sagte er und trat einen Schritt nach hinten, "aber ich habe einen vernichtenden Tag hinter mir und das Einzige, was mich jetzt noch lockt ist eher kühler Wein als luftige Höhe."
Annas Augenbrauen wanderten nach oben, doch ihr Grinsen wurde spöttisch, einen Hauch süßlicher, ehe es vollkommen verebbte.
"Wie du meinst."
"Ich wünsche Euch einen schönen Abend", rief Zephyr ihr zu, ehe er über die Planke an Land ging.
Es war besser so.
Es wäre falsch und ungerecht, einer Frau Interesse zu zeigen, das nicht wirklich bestand.
Und ein Glas kühlen Apfelweins würde wenigstens seine Stimmung heben. Immerhin musste er es diesmal mit keinem Eichhörnchen teilen...
"Einen schönen Abend~" Anna lachte, ehe sie ihre Bluse etwas richtete, zumindest so weit, dass sie sich in der Öffentlichkeit zeigen konnte ohne erboste Blicke und erhitzte Gemüter ertragen zu müssen. "Aber ich werde dich begleiten. Nach der ganzen Arbeit ist ein schönes, kaltes Bier ein wunderbares Mittel gegen eine trockene Kehle."
Zephyr erstarrte für einen Moment, dann aber drehte er sich zu Anna um und erwiderte mit einem Lächeln:
"Wie könnte ich das anlehnen?"
Im Inneren fragte er sich das auch, aber in einem weit verzweifelteren Tonfall. Es war so schwierig, abweisend zu sein, wenn man eine höfliche, freundliche Natur besaß.
Das Thema wurde geschlossen. |
RE: 05. Geisterfluch
in Herbst 520 07.09.2015 15:06von Glacies Citris • Herzog | 15.151 Beiträge
Es war...amüsant. Anna war bei ihrem fünften Krug Bier und ihr Kopf war herrlich leicht, trunken von Freude und Schwerelosigkeit, aber noch nicht benebelt und dumpf. Sie grinste, kippte den Rest ihres Getränks, während der Elf neben ihr sich anscheinen schon sehr stark an sein Glas halten musste. Sich daran fest krallen, wie ein Ertrinkender am rettenden Floß.
Zephyr schüttete den Wein nur so in sich hinein, ein Glas nach dem Anderen.
Für gewöhnlich wurde er nicht besonders schnell betrunken, doch bei diesem Tempo und diesen Mengen gab seine Nüchternheit rasch nach. Er wusste jetzt schon, dass er am nächsten Tag von Kopfschmerzen und Übelkeit geplagt werden würde, doch es war ihm herzlich egal. Durch den Schleier des Rausches schien die Welt zumindest in diesem Augenblick einfach weniger grau und trist, selbst die Tatsache, dass sein Fluch noch immer auf ihm lastete, störte ihn nun nicht besonders.
"Einsnnnoch", nuschelte er, nachdem er sich den Rest Wein aus seinem Glas in seinen Mund befördert hatte.
Ungeschickt winkte er die Schankmaid heran und lallte:
"Ich hätte gernnoch ein Glas Weinnn, junge Frau."
"Streich das, der hier hat genug", fuhr Anna mit einem Grinsen dazwischen, stupste gegen Zephyrs Brust und lachte als dieser von seinem Stuhl kullerte, mit einem quasi nicht mehr vorhandenen Gleichgewichtssinn. Sich nach vorn beugend sprach sie, die Arme lässig auf ihre Knie gestützt. "Hast du nicht genug?"
"Ich kannnich ... g’nug haben", ächzte Zephyr und zog sich unbeholfen an der Tischkante empor, beförderte sich mit mehr Glück als allem anderen zurück in seinen Stuhl. "Aller Wein inner gansennn Welt isnich genug."
"Oh ja. Du hast definitiv genug.", erwiderte Anna mit trockenem Tonfall, ehe sie sacht mit dem nackten Fuß über Zephyrs Oberschenkel strich, breit und lasziv grinste.
"Finnnest du?"
Zephyr spürte ein Kitzeln am Bein und legte die Hand auf Annas Fuß, hielt ihn fest.
Wahrscheinlich hatte er wirklich genug, denn er merkte, wie ihr Lächeln ihm plötzlich um ein Vielfaches anziehender, unwiderstehlich erschien.
Und das war nicht gut.
"Du hast Recht", murmelte er langsam, um Klarheit bemüht. Dann kramte er in seinen Taschen nach Geld, ließ versehentlich ein paar Münzen mehr auf den Tisch fallen, als nötig gewesen wäre. Er beschloss, sie als Trinkgeld zu geben.
"Ja~", schmunzelnd lehnte Anna sich zurück, klaubte eine der überflüssigen Münzen auf und steckte sie zwischen ihre üppigen Brüste. Ihre Augen, besser das gesunde, funkelte wollüstig, ehe sie sich vor lehnte, die Hände auf seine Knie abstützte und sich die Lippen leckte. "Ich habe immer Recht."
"Vielleicht..."
Sanft, oder so sanft es eben mit seinen unkoordinierten Fingern möglich war, schob Zephyr ihre Hände beiseite und erhob sich schwankend. Die Welt drehte sich um ihn und er musste sich auf der Tischplatte abstützen, um nicht zusammen zu brechen.
Er musste weg. Er musste sehr schnell weg, bevor er irgendwelche Dummheiten beging.
Kichernd erhob Anna sich, hielt den Elfenmann an den Oberarmen fest. Ihre Augenbrauen wackelten vergnügt, sie bekam was sie wollte. Und wenn es das letzte sein würde, was sie jemals tat. Der Stuhl knarzte leicht, als sie ihn wieder zurück schob, sich rittlings auf seinem Schoß nieder ließ.
"Keine. Chance." Ihr Grinsen wurde breiter, ehe sie sich vorbeugte und ihn küsste. Etwas ungeschickt vom Alkohol, dann jedoch wesentlich gieriger. Oh nein, er würde nicht davonkommen.
Worte des Protests wurden von Annas Lippen erstickt.
Süße, weiche Lippen besaß diese harte Frau, und eine Stimme in seinem Kopf flüsterte ihm zu, der Versuchung nachzugeben.
Doch er kämpfte dagegen an, versuchte, sich loszureißen. Das stellte sich als kein leichtes Unterfangen heraus, denn nicht nur war Anna von sich aus schon stärker und entschlossener als er, auch der Alkohol setzte ihm zu.
Als es ihm schließlich gelang, wenigstens seinen Mund zu befreien, brachte er nur heiser hervor:
"Wir ... wir sollten jetzt wirklich aufhören ..."
"Nein." Jetzt erst Recht nicht. Anna beugte sich vor, küsste ihn erneut, ließ ihre Hände an seinem Körper hinab wandern, neugierig und erkundend. Es störte sie nicht, dass sie in einer Gaststätte saßen, dass man sie durchaus beobachten könnte. "Werden wir nicht~"
"Bitte, Anna ... keine… gute Idee."
Zephyr wand sich unter ihr, versuchte, ihren Händen zu entgehen, seinen Körper um jeden Preis davon abzuhalten, auf sie zu reagieren.
"Ich ... ich kann nicht..."
Anna erhob sich, zog Zephyr an den Armen hoch und aus der Gaststätte, das Trinkgeld reichte für ihre Getränke aus. Der Elfenmann war so betrunken, dass sie ihn trotz geringerer Körpergröße herumwirbeln konnte, in der engen, dunklen Gasse, mit dem Rücken gegen die kalkgebleichte Hauswand pressen. Ihr Auge blitzte auf, als sie schamlos begann Zephyrs Hose zu öffnen.
"Ich kann nicht, zählt nicht." Ihre Stimme klang so rau wie mit einem Reibeisen bearbeitet. Und ihre Finger rau von der Arbeit und etwas langsamer als sonst vom Alkohol, fanden was sie suchten, ebenso wie ihre Lippen erneut die seinen verschlang.
Angst, eher noch als Lust, war es, die Zephyr erfasste, als er Annas Hand zwischen seinen Schenkeln spürte.
Er konnte es nicht ... er konnte sie nicht einfach in den Tod rennen lassen, das war ihm kein feuriger Kuss, kein hitziger, weicher Leib, kein Vergnügen der Welt wert.
"Du wirst sterben", keuchte er hilflos und wie es schien, gab die Angst ihm Kraft. Zumindest einen Moment lang, lange genug, um sich loszureißen und ein paar Schritte zu torkeln. Weiter schaffte er es nicht, ehe er stürzte, zu Boden ging, unsanft auf Händen und Knien landete. Scharfer Schmerz durchzuckte ihn, als er spürte wie das harte Pflaster seine Haut aufriss - ein kleiner Preis, wenn es ihm dadurch gelänge, sich weitere Jahrhunderte der Reue zu ersparen.
"Wirklich? Wirklich?" Anna verschränkte die Arme, zu gleichen Teilen genervt wie auch auf spöttische Weise amüsiert. "Du drohst mir aus Verzweiflung? Was ist los mit dir, bist du ’n Priester?!"
"Nein ... nein, ich bin kein Priester."
Zephyr erhob sich zittrig, schnürte mit fahrigen Fingern seine Hose wieder zu, murmelte dabei:
"Wenn ich ein Priester wäre ... dann ... dann wäre es wenigstens meine eigene Entscheidung ..."
Er schloss die Augen, holte tief Luft in der Hoffnung, dadurch wieder etwas Ordnung in seine Gedanken bringen zu können.
"Es ... es ist eine lange Geschichte", fuhr er stammelnd fort und drehte sich halb zu Anna um. "Aber bitte glaub mir eines - du würdest es ebenso bereuen wie ich."
"Ah... ja..." Anna glaubte ihm nicht. Ihr Ton, ihr Blick, selbst ihr Körper sagte ihre Skepsis aus, alles rückte mehr und mehr in Richtung misstrauen. Von Lust war nicht mehr die Spur. "Dann erzähl mal deine.... Geschichte."
"Nun ..."
Zephyr seufzte, halb aus Kummer, doch auch halb aus Erleichterung.
Anna hatte von ihm abgelassen, nun galt es, ihr seine Geschichte zu erzählen, und zwar so, dass sie gewillt war, ihm zu glauben.
Ächzend ging er ein paar Schritte, lehnte sich dann an die nächste Wand.
Er schwieg lange, wog seine Worte ab, ehe er fragte:
"Glaubst du an Geister, Anna?"
"Nur Narren glauben, dass zwischen Himmel und Erde nur sie selbst sind", erwiderte Anna, klang jedoch unruhig.
"Ja, Narren", antwortete Zephyr dunkel. "Und ich war mal so ein Narr."
Seine Stimme bebte, ebenso wie seine Hände es taten. Seine Knie fühlten sich an, als würden sie jeden Moment nachgeben und sowohl Schwindel als auch Übelkeit machten eine Rückkehr.
"Zumindest", fügte er hinzu, nachdem er erneut tief Luft geholt hatte, "bis ein Geist mich dazu verflucht hat, dass jede Frau die mir nahe kommt dafür mit ihrem Leben bezahlt."
Anna spuckte vor Zephyr aus und schnaubte dann. Sie grinste hämisch auf, die Arme vor der Brust verschränkt.
"Hast wohl den falschen Leuten ins Bier gepisst." Der hämische Tonfall ebbte ab. "Du lügst entweder oder aber bist wirklich verflucht. Und weil ich es hasse angelogen zu werden, werde ich dich eben zu einer guten, alten Freundin mitnehmen. Die kennt sich mit Geistern aus. Sollte sie sagen das ist nur Stuss... "
Um Ihre unausgesprochenen Worte zu untermalen strich Anna sich theatralisch mit zwei Fingern über die Kehle. "Du verstehst?"
"Heh."
Zephyr drückte sich enger gegen die Wand, schmeckte bittere Galle auf seiner Zunge.
"Dann sollte ich hoffen, dass deine Freundin seit langem die Erste ist, die sich wirklich mit ihnen auskennt.
Ich ..."
Er musste würgen, wankte ein paar Schritte zur Seite und erbrach sich.
"Du hättest mich weiter trinken lassen sollen", keuchte er und spuckte auf den Boden, um den widerlichen Geschmack loszuwerden.
Dann hätte er sich zu Tode gesoffen, aber das klang im Augenblick verlockender, als eine weitere Enttäuschung zu erleben und von einer Frau erdolcht zu werden, weil er nicht mit ihr geschlafen hatte.
Das Schicksal hatte einen grausamen Sinn für Ironie.
"Keine Sorge, Schätzchen. Sie kennt sich aus", erwiderte Anna und packte Zephyr an der Schulter. Dirigierte ihn aus der Gasse, immer weiter in die Eingeweide des Armenviertels.
Zephyr hätte gerne widersprochen, tat es dann aber doch nicht.
Wozu auch?
Heute war ein genauso guter Tag zum Sterben wie jeder andere und sollte ihm doch nicht danach sein, vertraute er wenigstens darauf, bald wieder nüchtern genug zu sein, um sich in ein Vögelchen zu verwandeln und fortzufliegen.
Und bis dahin konnte er zumindest noch ein wenig die Hoffnung nähren, jemanden zu treffen, der sich auskannte.
Anna stoppte ihren Marsch vor einer Hütte, die genauso verfallen, alt und hässlich aussah wie die neben ihr, wie jene, an denen sie schon die ganze Zeit vorbei marschiert waren. Auf diesen schmalen, verwinkelten Gassen, die kaum Platz für eine, geschweige denn zwei Personen nebeneinander ließen.
Und dennoch, Anna klopfte zum ersten Mal seit langem an die alte Tür. Die Geisterfrau war die einzige, vor der sie Respekt erwies.
"Komm rein, Anna Schatz", gurrte eine Frauenstimme von drinnen. "Und bring deinen Begleiter ruhig mit "
Zephyr warf Anna einen zweifelnden Blick zu.
Die meisten "Medien", welche er in den letzten Jahren aufgesucht hatte, hatten in derartigen Hütten gehaust.
Arme Menschen waren es gewesen, dazu gezwungen, Aberglauben und Ahnungslosigkeit anderer zu benutzen, um nicht zu verhungern. Doch niemand hatte ihm wirklich helfen können.
Begrüßt wurden sie von einer Frau mittleren Alters, am Ende einer üppigen Blüte. Ihr dickes Haar, einst golden nun grau, zu einem vollen Dutt am Hinterkopf zusammengefasst und das Gesicht zerfressen von Falten, ähnlich wie Risse in Marmor.
"Giana." Annas Begrüßung fiel knapp aus, fing mit dem Namen der Frau an und endete mit ihm. Die Frau - Giana - lächelte.
"Was kann ich für euch beide tun?"
Zephyr musterte die Frau nachdenklich.
"Guten Abend", antwortete er schließlich, warf Anna einen fragenden Seitenblick zu.
Als diese nichts sagte, seufzte er und fügte in Gianas Richtung hinzu:
"Ich hörte, dass Ihr Euch mit Geistern auskennt."
"Aye." Giana lehnte sich gegen die winzige, herunter gekommene Anrichte ihrer Küche, während sie Anna und Zephyr die zwei wackeligen Stühle an dem vollgestellten Tisch anbot. "Das tue ich."
Höflich ließ Zephyr sich auf der dargebotenen Sitzgelegenheit nieder, war immerhin wieder nüchtern genug, sie bei dem Versuch nicht zu zerbrechen.
Er räusperte sich und fügte hinzu:
"Ich wurde vor Jahren von einem Geist verflucht.
Und bisher konnte niemand mir helfen."
"Hübscher, dass du verflucht wurdest konnte ich schon wahrnehmen ehe du meine Tür durchquert hast", antwortete Giana schnippisch. "Ich brauch mehr als das."
Und als wären ihre Worte Zaubersprüche, so wich auch die letzte Skepsis aus Annas Augen.
"Dann sollte ich vielleicht erzählen, dass dieser Geist es ganz und gar nicht schätzt, wenn eine Frau mich 'Hübscher' nennt", erwiderte Zephyr unbewegt. Er hatte schon genügend Heuchlerinnen getroffen, um nicht jeder beim ersten Satz zu glauben, dass sie wirklich etwas spürte.
Doch Anna schien es da anders zu gehen und trotz seiner düsteren Laune war er beruhigt, dass das anscheinend bedeutete, dass sie ihn nicht umbringen würde.
"Himmel, Anna." Giana wandte sich entnervt an die Piratin, ihr Gesichtsausdruck war eindeutig nicht erfreut und sie überlegte zwischen zeitlich wohl sogar, ob sie Anna nicht aufstacheln sollte. "Eine undankbare Göre hast du da abgeschleppt."
"Warum redest du diesen Geist nicht erst in Grund und Boden, wie damals Mikaal?", bei der Erwähnung ihres Ehemannes verzog Anna keine Miene, nicht einmal ihre Augen verrieten den Ekel, den sie mit diesem Namen verband.
"Mikaal hat aber auch nicht dich sondern dein Schiff verflucht", Giana wirkte unsicher, als hätte Anna ein Thema angeschnitten, das Giana zwar kannte, doch nicht wusste wie weit sie es vor einem Fremden ausbreiten konnte.
"Immerhin wusste ich dann den Grund und konnte den Bastard töten. Erneut." Anna grinste zufrieden.
Zephyr war noch immer nicht überzeugt, doch er sagte sich, dass dieser Versuch so gut war, wie jeder andere.
"Was müsst Ihr wissen?", fragte er. "Ich kenne mich mit derlei Dingen nicht aus, also sagt es mir bitte."
"Erzähl mir alles was du über den Geist und den Fluch weißt", schlug Giana mit der Stimme eines entnervten Lehrers das Thema an, weswegen der Elfenmann überhaupt in ihrer winzigen, ärmlichen Küche saß.
"Über den Geist weiß ich einiges", antwortete Zephyr leise. "Über den Fluch nur, dass er Frauen tötet, wenn sie mir nahe sind."
Er starrte auf seine Hände, sagte eine Weile kein Wort mehr. Er erinnerte sich, er erinnerte sich an so viel. Und es schmerzte ihn noch heute.
"Yaeeta", fuhr er schließlich heiser fort.
"Yaeeta war ihr Name.
Sie lebte in einer Stadt der Blutelfen, bei ihrer Mutter, einer mächtigen Magierin. Doch ihr Vater war ein Sklave, ein Dunkelelf, und die Welt ließ sie das spüren."
Er schluckte, kämpfte gegen die Tränen an, die sich ihm bei der Erinnerung aufdrängen wollten. "Sie war keine dreißig Jahre alt, als sie sich das Leben nahm."
Giana wirkte nachdenklich, die hellen Augen geschlossen. Ihre Kiefer mahlten unruhig, während Anna nur stumm da sitzen und lauschen konnte.
Die alte Dame spürte etwas, dass konnte die Piratin sagen, sie schien sich sehr zu konzentrieren.
"So viel Hass." Anna fiel vor Schreck fast vom Stuhl, als Giana erneut sprach. "Und Trauer."
"Das Leben hat ihr ... übel mitgespielt."
Zephyrs Stimme war kaum mehr als ein trauriges Flüstern. Das Leben, aber auch er selbst.
Er wusste nicht, ob die Alte wirklich etwas sah oder ihre Worte nur nach dem richtete, was er ihr erzählte.
Aber es genügte, um sich an Yaeeta zu erinnern. An ihre traurigen Augen, an ihren vor Gift triefenden Abschiedsbrief, zwischen dessen Zeilen die verletzten Gefühle, das gebrochene Herz zu spüren waren.
"Könnt ... könnt Ihr mit ihr sprechen?"
"Vorausgesetzt sie will es." Giana wirkte mit einem Mal vorsichtiger. "Da ist noch mehr. Hinter all der Trauer ist ein kleinerer, verblasster Geist."
Mit diesen Worten wusste Zephyr, dass er es mit einem richtigen Medium zu tun hatte, doch es erleichterte ihn nicht, gab ihm keine Hoffnung. Vielmehr krampfte sich sein Herz noch enger zusammen und er fühlte, wie sich eine bodenlose Ohnmacht in ihm auftat.
Er schluckte, ballte die Hände zu Fäusten, sodass sich die Nägel schmerzlich in sein Fleich gruben, um nicht die Fassung zu verlieren.
"Ihr ungeborenes Kind."
Unser ungeborenes Kind.
"Hm...", Giana sprach nicht laut, sie versuchte es direkt mit der Verbindung, die alle Geister mit einander verband, die sie einsehen konnte. Und obwohl die Trauer und der Hass des dominanteren Geistes sie würgen ließ, drängte Giana ihre mentalen Worte hinaus.
Wie heißt du?
Das Medium musste eine ganze Weile die Stille ertragen. Dann ertönte, für niemand anderen hörbar, eine Antwort, ein Wispern, kaum hörbar und in der Sprache der Blutelfen:
Yaeeta.
Warum suchst du ihn heim, Yaeeta?
Giana spürte, wie die hämmernden Kopfschmerzen bereits eintraten, wie jedes Mal, wenn sie mit den Geistern in Verbindung trat.
Wen suche ich heim?
Zephyr, den Eiselfen. Er, der jetzt hier sitzt. Giana presste missbilligend die Lippen auf einander. Warum verfluchst du ihn?
Ich suche ihn nicht heim und ich verfluche ihn nicht.
Ich beobachte ihn nur...
Die anderen Frauen, mit denen er verkehrt...warum sterben sie?
Nicht mehr lange, dann würde Giana aufgeben. Die Kopfschmerzen oder vielleicht auch die dominante, dröhnende Präsenz des Geistes waren langsam zu viel.
Eine Welle ungebändigten Zorns schlug Giana entgegen.
Sie verdienen es doch!
Er verdient es!
Sie alle verdienen es!
Was verdienen sie?
Ächzend ging Giana in die Knie, hielt sich den Kopf. Blut tropfte aus ihrer Nase, sie zog sich zurück.
Alarmiert war Anna aufgesprungen, half dem Medium auf die wackligen Beine.
"Genug. Es reicht für heute." Giana wirkte erschöpft und überrollt von der schieren Energie des Geistes.
"Konntet ... konntet Ihr etwas in Erfahrung bringen?", fragte Zephyr kleinlaut.
Es war nicht höflich, derart zu drängen, doch er wollte es wissen.
Er wollte wissen, ob es eine Lösung gab.
Oder ob er auf alle Zeiten mit Yaeetas Fluch leben musste.
"Ich..." Giana stockte. Sie war blass und schwankte. "Brauch eine Pause. So viel Hass, sie ist davon verzehrt. Sie sagte, dass sie es verdient hätten "
"Wer hat was verdient? ", Annas Stimme wurde lauter, fordernder. Sie mochte es genauso wenig ausgeschlossen zu werden, wie das man ihr Lügen erzählte.
Zephyr wurde kreidebleich.
Anna verstand nicht, aber er tat es sehr wohl. Der Gedanke daran, dass Yaeeta ... die Yaeeta, die er so sehr geliebt hatte, schmerzhaft und bitter, wie es mitunter gewesen war, deren seltenes Lachen ihn einst mit mehr Glück erfüllt hatte als alles andere in der Welt ... der Gedanke, dass sie seinetwegen nun ein rachesüchtiges und mordlustiges Monster war, war zu viel für ihn.
Zitternd erhob er sich, entschuldigte sich mit den hastig hervorgebrachten Worten:
"M-mir ist nicht gut."
Dann stürmte er nach draußen, konnte den Würgereiz genauso wenig unterdrücken wie die plötzlich losbrechenden Tränen.
"Sind denn alle verrückt geworden...", knurrend wandte Anna sich von Giana ab, die wiederrum winkte nur abfällig, ließ sich auf dem Stuhl nieder, das Gesicht müde auf die Arme gestützt.
"Geh nur, Liebes", scheuchte sie die murrende, fluchende Piratin fort. Etwas, dass Anna nach kurzem Zögern annahm, prompt hinter Zephyr her eilte.
"Dustkeep!"
Weit war Zephyr nicht gekommen, ehe er sich hatte vorbeugen und den Rest seines Magens entleeren müssen.
Zitternd stand er da, stützte sich mit den Händen an der nächsten Wand ab.
Annas Ruf hörte er, reagierte jedoch nicht darauf.
Zu sehr nahmen ihn die Gedanken ein, welche wild und schrecklich durch seinen Kopf rauschten.
Anna hielt den Elfen an den Schultern fest, strich ihm das Haar aus dem Gesicht. Seine Haut fühlte sich kalt an, glitschig von Angstschweiß.
"He."
Zephyr zuckte zusammen.
"Lass das", hauchte er. "Bleib weg ..."
Er wandte den Kopf und blickte Anna aus glasigen Augen an.
"Vielleicht nimmt sie es sonst als Anlass."
"Ich lass mich nicht von irgendeiner Geisterschlampe ängstigen.", knurrte Anna zurück, wich keinen Zentimeter zur Seite. Ihre Augen blitzten zornig auf.
"Sie ist keine Geisterschlampe!"
Eine ungewöhnliche Heftigkeit lag in Zephyrs Stimme, als er das sagte.
"Und du bist eine Närrin, wenn du dich vor dem Tod nicht fürchtest."
Er stieß ihre Hände weg und wankte einige Schritte in eine andere Richtung, keine bestimmte, irgendeine. Nur fort wollte er von diesem Ort, von dieser Frau.
Er wollte nicht, dass seinetwegen noch mehr geschah. Es genügte schon, dass er die Schuld daran trug, dass Yaeeta tot und von Rache und Hass getrieben war, dass Aria keinen menschlichen Körper mehr besaß, dass drei weitere Frauen ihr Leben verloren hatten.
"Ich fürchte den Tod, doch ich zeige meine Angst nicht, in dem ich mich mit vollgeschissenen Hosen in die Ecke verkrieche!", schrie Anna hinter Zephyr her, ließ sich so einfach nicht abschütteln. Sie kochte vor Wut. Kein Geist würde ihr irgendwas verwehren. Mikaal hatte das versucht und er zwar zweimal gescheitert!
Er lief weiter, drehte sich nicht um.
"... sondern lieber in seine offenen Arme läufst?"
Zephyrs Worte klangen hart, bitter, selbst in seinen eigenen Ohren.
Aber was sollte er sagen?
Am liebsten hätte er sich in ein dunkles Loch zurückgezogen und dort für immer verkrochen.
"Das verstehe ich ... schließlich müsstest du danach nicht mehr damit leben!"
Er würde es.
Er würde die Verantwortung tragen, sein Gewissen würde ihn für die nächsten Jahrzehnte belasten, während sie friedlich unter der Erde schlummerte.
"Ha!", Anna lachte und verschränkte die Arme, schnaubte abfällig. "Bleib gefälligst stehen!"
Dieser Feigling, dieser Elf ohne Rückgrat!
"Giana hat gesagt, dass sie versuchen kann den Fluch zu brechen."
Zephyr blickte nicht auf, kam Annas Befehl aber nach und hielt an.
Er wischte sich über das tränennasse Gesicht, schniefte leise.
"Das ist ... du weißt gar nicht, wie viele das schon gesagt haben."
"Gut, dann geh Eben in deine Ecke heulen!" Abrupt wandte Anna sich ab. "Ich bin noch bis Ende des Monats in Brightgale. Solltest du es dir anders überlegen, findest du mich auf meinem Schiff." Und dann stampfte durch die schmalen verwinkelten Gassen davon.
Das Thema wurde geschlossen. |
Bitte geben Sie einen Grund für die Verwarnung an
Der Grund erscheint unter dem Beitrag.Bei einer weiteren Verwarnung wird das Mitglied automatisch gesperrt.
Besucher
0 Mitglieder und 17 Gäste sind Online Wir begrüßen unser neuestes Mitglied: White Raspberry |
Forum Statistiken
Das Forum hat 613
Themen
und
36501
Beiträge.
Heute waren 0 Mitglieder Online: |
Forum Software ©Xobor.de | Forum erstellen |