#1

03: Eine Entscheidung

in Frühling 516 18.04.2015 17:00
von Glacies Citris Herzog | 15.151 Beiträge

Sie hatte ihr bestes Kleid angezogen, ein blaues aus weichem Stoff, das noch nie hatte genäht werden müssen.
Sie hatte ihre Schuhe geputzt, bis sie glänzten und beinahe so neu aussahen, wie im vergangenen Sommer, als sie sie nach einem besonders erfolg- und ertragreichen Beutezug gekauft hatte.
Sie hatte sich die dunkelbraunen Haare gebürstet, bis sie glänzten und nun glatt auf ihre Schultern herabfielen.
Und trotzdem fühlte Niamh sich schäbig, als sie durch die Eingangstür trat, die Lian ihr - ganz der Edelmann - offenhielt.
Sie wusste nicht, ob sie jemals in einem so großen Haus gewesen war - eine Gewissheit war es jedoch, dass sie niemals ein so edles oder auch nur ansatzweise so schönes betreten hatte.
Licht, das war das erste, was ihr auffiel.
Bunt und hell fiel es durch die hohen Fenster aus farbigem Glas, malte Muster auf den Boden. Er war aus hellen, glänzenden Steinen gepflastert, den gleichen anscheinend, wie auch Wände und Decke.
Und dann war da die Einrichtung:
Buntbestickte Wandbehänge, wohlgeformte Lampen, goldene Kerzenhalter, Blumengefäße mit feinen Gravuren und anderer Tand, den Niamh keiner Funktion zuordnen konnte, aber von dem sie sicher war, dass jedes einzelne Teil mehr wert war, als alles, was sie jemals besessen hatte. Mehr, als sie jemals von sich aus besitzen würde.
Nichts in dieser Eingangshalle hatte etwas mit den düsteren, leerstehenden Gemäuern im Hafenviertel gemein, in denen Niamh sich so oft versteckt, den brüchigen Hütten, in denen sie gelebt und Freunde besucht hatte.
Ihr war bewusst gewesen, dass Lian reicher war, als sie es sich vorstellen konnte, dass er nie Hunger leiden musste oder nachts fror, dass er stets das Geld für einen Heiler haben würde, dass er kaufen konnte, was ihm ins Auge sprang, ohne dafür etwas aufzugeben.
Doch erst jetzt, da sie mit eigenen Augen sah, was das zur Folge hatte, was er hatte errichten lassen, nur um einem Straßenmädchen etwas zu demonstrieren, erst da wurde ihr bewusst, was sein Vermögen eigentlich bedeutete.
Niamh konnte nicht leugnen, dass sie beeindruckt war, doch ein wenig schüchterte es sie auch ein, verunsicherte, ängstigte sie beinahe. Langsam, beinahe ehrfürchtig schritt sie durch den Raum, ließ die großen Augen wandern, streckte hier und da langsam die Hand aus, um etwas zu berühren, vorsichtig als befürchtete sie, etwas zu zerbrechen, diesen Traum zu zerstören.

"Es wird nichts zerspringen,nur weil du es berühren willst.", sagte Lian sanft. Er stand noch immer neben der Tür, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Beinahe befürchtend, dass Niamh schreiend davon laufen würde. Sie fühlte sich unwohl. Er auch. Nathaniels Bitte nachzukommen hatte sich leichter angehört, als es wirklich war. Bis ihm Niamh eingefallen war. Das Mädchen, welches er im Lazarett getroffen, noch einige Mal so getroffen hatte. Sie war arm,ihr Bruder bei dem Sturm verstorben und der Vater krank. Wenn sie seinen Handel nicht annehmen würde...wer dann?
Langsam trat Lian an eines der Fenster, legte eine weiße, schlanke Hand an das rote, blaue, gelbe und grüne Glas.

Niamh zuckte mit den Schultern.
"Ich weiß nich, was für Regeln ihr Reichen habt.
Also bin ich vorsichtig."
Trotzdem wurden ihre Bewegungen etwas weniger zögerlich, ihre Schritte ein wenig befreiter.
"Zeigst du mir die anderen Räume?", fragte sie, als ihr schließlich bewusst wurde, dass selbst diese gewaltige Halle noch nicht das ganze Haus war.

"Die einzige Regel die ich habe, ist dass man mir nicht das Haus ansteckt.", Lian lächelte schwach und legte dann den Kopf schief, nickte jedoch dann. Er machte eine einladende Geste mit der Hand, führte sie eine Treppe hinauf. Im Erdgeschoss lag nur noch die Küche und das Quartier des Dieners. Den hatte der Kristallelf schon ausgesucht, der würde im Laufe des Tages eintreffen. Oben war das Herzstück des Hauses. Das große, beinahe schon herrschaftliche Schlafzimmer, die getrennten beiden Schlafzimmer und die Bibliothek mit dem Balkon zur Straße hinaus.

Niamh lachte trocken.
"Ich hoffe, dass es hier im Winter warm genug ist, damit ich das nicht tun muss."
Sie folgte Lian, neugierig auf alles weitere, was sie sehen würde.
Doch auch besorgt, denn sie wusste, dass mit jeder Minute, die hier verstrich, der Moment näher rückte, da sie eine Entscheidung zu treffen hatte. Wenn überhaupt davon die Rede sein konnte, dass ihr eine solche blieb.

"Die Kamine sind nicht nur zur Zierde da.", bemerkte Lian mit sachtem Schmunzeln. Dann legte er den Kopf schief, dass sich die nun nur noch kinnlangen, weißen Strähnen mit den schlichten, goldenen Ohrringen verhedderten, die der Kristallelf im Moment trug. "Also gefällt dir das Haus?"

Das Unbeschwerte, Scherzhafte verschwand aus Niamhs Miene.
"Ja", erwiderte sie. "Es ist wunderschön."
Langsam betrat sie das größte Zimmer, das gemeinsame Schlafgemach, wenn man es denn so nennen wollte. Scheu ließ sie ihren Blick hindurch gleiten, über das edle Mobiliar, die bunten, von Samtvorhängen gesäumten Fenster und das Bett, riesig und mit vornehmem Stoff bezogen.
Auf der Kante ließ Niamh sich nieder, befühlte die Decke, die so weich war, dass sie sich beinahe ob ihrer rauen Haut schämte. Langsam ließ sie sich auf das Bett sinken, fühlte sich beinahe schwerelos auf der daunengefüllten Matratze.
"Es ist so weich ..."
So groß.
Viel zu groß für eine einzelne Person, wahrscheinlich hätten sogar zehn darin Platz gefunden.
So musste es aussehen, das verstand Niamh.

"Keine Sorge, es ist ganz deins.", Lian fuhr sich durchs Haar, wischte es aus seinem Gesicht und blieb am Türrahmen stehen. Ein kurzes Lächeln huschte über seine Züge, er musterte das Bett.
"Ja."
Niamh setzte sich auf und wischte sich durchs Haar.
Sie hatte Fragen.
Sie fürchtete, sie zu stellen.
Doch sie konnte so eine Entscheidung nicht einfach so treffen, ohne vorher Gewissheit zu erlangen.
Stirnrunzelnd blickte sie zu Lian auf.
"Angenommen, ich nehme dein Angebot an ..."

"Ja?", aufmerksam lauschte Lian, legte den Kopf schief und wartete geduldig darauf, dass Niamh ihre Fragen stellte, dass er sie beantworten konnte.

"Was, wenn ich mir ein Kind wünschen würde?"
Dieser Zeitpunkt war genauso schlecht für diese Frage, wie jeder andere.
Niamh hatte immer gehofft, später in Kind haben zu können.
Die wenigen Momente, in denen sie sich gestattet hatte, eine Zukunft zu erträumen, hatten das gezeigt.
Ein Dach über dem Kopf, genug zu essen, schöne Momente mit ihrer Familie:
Mit ihrem Vater, mit Noah, mit einem noch gesichtslosen Mann und mit ein oder zwei Kindern.
Sie verspürte einen schmerzhaften Stich, als sie an ihren Zwillingsbruder dachte, der nun in irgendeinem Massengrab dahinmoderte.
Ihr Noah, den sie immer hatte beschützen wollen, ohne es jemals wirklich zu können.
Er würde kein Teil dieser oder irgendeiner Zukunft sein.
Es war besser, alle Träume, die nicht sein konnten, nun zu begraben, als sie zu hegen und später enttäuscht zu werden.

"Erlaube mir eine Gegenfrage zu stellen.", Lian trat näher, zu dem Mädchen. Er ging vor ihr in die Hocke und sah zu ihr auf. "Würde es dich anekeln, dich in mein Bett zu gesellen?"

Eingehend betrachtete Niamh das Gesicht des Elfen.
Ein anziehendes Gesicht mit klaren, ebenmäßigen Zügen, schönen, klugen Augen.
Lian war nicht abstoßend, im Gegenteil - wahrscheinlich hatte sie nie einen besser aussehenden Mann kennengelernt.
Dennoch wusste sie nicht, was sie spüren würde und was nicht, sollte es jemals dazu kommen, dass sie sich zu ihm legen würde.
Trotz all der großen Worte und schamlosen Witze hatte sie doch niemals einen Mann nahe genug an sich herangelassen, um ihn auch nur zu küssen. Ganz zu schweigen davon, ihn an ihren Körper zu lassen.
Spielt das nun überhaupt eine Rolle?
Meine Mutter hat einen Mann geheiratet, den sie geliebt und begehrt hat, und sie ist früh gestorben.

Niamh schüttelte den Kopf.
"Nein, es würde mich nicht anekeln."

Ruhig nickte Lian ehe er sich wieder erhob, sie ansah und schmal lächelte.
"Dann würdest du auch dein Kind bekommen."

Niamh nickte.
"Danke."
Sie wusste nicht, ob seine Antwort ihr Grund zur Erleichterung oder nur noch mehr zur Sorge geben sollte.
Doch das sollte sie nun nicht kümmern - sie würde genug Zeit haben, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.
Auch sie erhob sich, ließ den Blick noch einmal durch das Zimmer gleiten.
Ihr Zimmer.
Für den Rest ihres Lebens ...
Wieder schaute sie Lian an.
"Ja.
Ich nehme dein Angebot an."
Sie sagte nicht Antrag, denn darunter stellte sie sich etwas anderes vor. Nicht unbedingt etwas Romantisches, doch zumindest etwas anderes, als das hier.
Was bleibt mir auch übrig?
Eine andere Chance habe ich nicht.
Und Vater ist alles, was mir bleibt. Solange es ihm gut geht, sollte ich froh sein.

Sie mochte damit einen Teil ihrer Freiheit, ihre Selbstständigkeit, ihre Unabhängigkeit aufgeben ... doch das waren Vorzüge, für die sie nicht ihre Familie opfern wollte.
Früher oder später wäre ihr nichts anderes geblieben, als zu heiraten, um sich abzusichern, und Lian schien ihr da die beste Wahl. Er hatte mehr Geld als alle Menschen, die sie kannte zusammengenommen, er war höflich, entgegenkommend, er schien kein Interesse daran zu haben, sie mehr zu beschneiden, als es notwendig war. Und sie musste nichts anderes tun, als seine glückliche Braut zu spielen. Ein kleiner Preis für das, was sie bekam.

"Gut.", Lian nickte und sah zur Seite, vernahm da Klingeln. "Es wird noch jemand in diesem Haus wohnen. Ein Diener, Garalend."
Der Kristallelf wandte sich ab, bedeutete Niamh mit sich zu kommen. Die Tür öffnete er selbst, sah auf den verschüchtert wirkenden Fil-Shatah.

"Weiß er es auch?", wisperte Niamh Lian so leise zu, dass nur sie beide es hören konnten.
Dann folgte sie ihm, schaute durch die geöffnete Türe und sah einen Jungen vor sich, der noch weniger an diesen Ort zu gehören schien, als sie selbst.
Nicht etwa, weil er ungepflegter wirkte, denn das tat er ganz und gar nicht. Beinahe adrett wirkte er, das silbrige Haar, unter dem ein Paar flauschiger Ohren hervorlugte, war glänzend und lang, die Kleidung sauber und ordentlich.
Aber er wirkte so unsicher wie ein Wüstenkind auf einem gefrorenen See.

"Komm rein.", während der Fil-Shatah an ihnen vorbei huschte, schüttelte Lian den Kopf auf Niamhs Frage. "Brauchst du noch etwas von mir? Willst du dich noch irgendwie einrichten? Denn ich muss Garalend noch alles zeigen und einweisen."

Niamh schüttelte den Kopf und schenkte Lian ein Lächeln, das selbst die Sonne hätte blenden können.
"Nein, Liebster, ich finde mich zurecht."
Dann schlang sie stürmisch die Arme um ihren zukünftigen Ehemann und schmiegte sich einen Moment lang eng an ihn.
Er war kein großer Mann, aber immer noch größer als sie selbst. Kräftiger auch, obwohl er beinahe schon lächerlich zierlich war ...
Zuletzt stellte Niamh sich auf die Zehenspitzen und hauchte einen Kuss auf seine Wange.
"Ich komme später mit meinem Vater."
Und dann verschwand sie durch die Tür, um vermutlich letzten Mal diese Bruchbude aufzusuchen, in der sie hauste, seit der Sturm ihre alte Wohnung zerstört hatte.

"Ei...eine nette Frau ", flüsterte ein kleines Stimmchen neben Lian. dieser schüttelte den Kopf und scheuchte den jungen Fil-Shatah vor sich Her, wies ihn in die notwendigen Dinge ein.

Der Abend dämmerte bereits, als Niamh aus der Kutsche stieg, die Lian ihr geschickt hatte. Die helfende Hand des Wagenlenkers lehnte sie dabei stumm ab.
Noch war sie keine Dame.
Noch konnte sie auf ihren eigenen Füßen laufen und das Bündel mit ihren wenigen Habseligkeiten selbst tragen.
Zielstrebig lief sie auf das Haus zu, ihr neues Zuhause, das ihr eher wie ein Schloss vorkam, hörte den leise rasselnden Atem ihres Vaters und das regelmäßige Aufsetzen seines Gehstockes hinter sich. Seine Gesundheit hatte seit Noahs Tod sehr gelitten, erst seit wenigen Tagen war er nicht mehr bettlägerig. Niamh hoffte inständig, dass die neue Umgebung ihm guttun würde. Und sie glaubte auch daran, schließlich hätte sie sonst niemals eingewilligt, Lian zu heiraten.
Dennoch wusste sie nicht, ob es wirklich nur der kühle Abendwind war, der Schauer über ihren Rücken schickte, als sie den Türklopfer betätigte.

Leise, tapsende Schritte erklangen, dann jedoch öffnete sich die schwere Tür. Große gold-gelbe Augen blinzelten, ehe der junge Fil-Shatah freudig lächelte.
"Lady Hughes!", Garalend öffnete die Tür ganz, hielt sie auf. Seine Ohren zuckten leicht, während er sich darauf konzentrierte Niamhs Vater hinein zuhelfen. "Der Hausherr ist oben."

Niamh starrte den jungen, katzenohrigen Diener einen Moment lang sprachlos an.
Lady Hughes ...
Sie wusste nicht, was ihr am meisten Zeit abverlangen würde, bis sie daran gewöhnt war:
Dass sie von nun an in einem Haus leben würde, das vermutliche größer war als der Häuserblock ihrer Jugend, dass sie die liebende Gattin eines Mannes zu spielen hätte, der sie noch nicht einmal von sich aus berühren würde ... oder dass man sie ohne Spott mit "Lady" ansprach. Sie, mit der knabenhaften Statur, dem wirren, zu kurzem Haar, den schäbigen Kleidern. Sie, die immer versucht hatte, so wenig ein Mädchen zu sein, wie es ihr nur eben möglich war, der Blicke jeder Art immer schon unliebsam gewesen waren.
Erst in diesem Augenblick wurde Niamh bewusst, dass sich mehr ändern würde, als nur ihre Lebensumstände.
Ihre Identität würde es gleichermaßen tun.
Aber damit würde sie sich wohl ein anderes Mal befassen müssen.
"Garalend heißt du?", fragte sie den Diener und musterte ihn dabei, um seine Person wenigstens grob einzuschätzen. Schließlich würde sie im selben Haus leben wie er, auch wenn das bedeutete, dass immer noch mehr Raum sie von ihm trennte, als jemals zwischen ihr und den Nachbarn gewesen war. "Ich hole ihn."
Niamh warf ihrem Vater ein beruhigendes Lächeln zu und eilte dann die Treppe hinauf, klopfte dann an die Tür, hinter der sie ihren Verlobten vermutete.

Lian legte den Kopf schief, als er das Klopfen hörte, ließ das dicke Buch auf den Schreibtisch zurück fallen, wo er die hölzerne Transportkiste stehen hatte. Die letzten Sachen aus seinem Zimmer waren von der Akademie hier her geschickt worden. Natürlich auf seine Kosten.
Während Niamh ihren Vater holte, sich einlebte, wollte auch er sich einleben, ein Arbeitszimmer einrichten. Vielleicht würde er einige Läden und Häuser aufkaufen...aus Langeweile, damit er etwas zu tun hatte.
"Die Tür ist offen.", sprach Lian sanft, musterte die Tür.

Rasch huschte Niamh ins Innere, schloss die Tür gleich wieder hinter sich.
"Wir sind da", teilte sie Lian mit, während sie sich umschaute.
Vollständig schien das Zimmer noch nicht eingerichtet zu sein, zumindest wirkte es ziemlich leer auf Niamh.
Riesig und leer.
"Meinem Vater geht es wieder etwas besser."

"Das ist gut.", Lian wandte sich wieder der Kiste zu. Dann jedoch legte er den Kopf schief und stockte. "Kann dein Vater Treppen gehen? Wenn nicht lasse ich Garalend ein Zimmer im Erdgeschoss herrichten."

Niamh runzelte die Stirn und dachte einen Moment über das Gesagte nach, nickte dann.
"Das wäre besser."
Man konnte nie wissen, wann es wieder schlimmer werden würde.
Und sie wollte ihren Vater nicht aus Kälte und Hungersnot gerettet haben, nur damit er sich auf einer Marmortreppe den als brach.

"Gut.", ein Gedanke huschte durch den Kopf des Kristallelben, er sah Niamh ruhig an. "Soll ich einen Arzt für deinen Vater einstellen?"

Verständnislos erwiderte Niamh den Blick des Elfen.
"Was?"
Ein Arzt.
Für Vater.
Nur für ihn allein?

"Geht das denn?", fragte sie nach einer Weile zaghaft.

"Ja. Es geht.", Lians Gesichtsausdruck wurde weicher, er trat einen Schritt näher und legte eine Hand kurz auf ihren Arm, zog sie wieder zurück, ehe Niamh sich noch belästigt fühlte. "Und sollte doch etwas sein, kann ich zur Not auch eingreifen."

Niamh hob ratlos die Schultern.
"Na dann ... warum nicht?"
Von Amber hatte sie sich ja bereits verabschiedet.
Nur ungerne würde sie sich und ihren Vater in die Hände ander Ärzte begeben, doch die Heilerin hatte genug zu tun. Sie kümmerte sich nun einmal um die unzähligen Leute, die nicht genug hatten, um zu bezahlen ... die Leute, zu denen Niamh und ihr Vater nun nicht mehr gehörten. Es wäre undankbar, dieser Frau, die so viel getan hatte, zur Last zu fallen.

"Ich weiß schon wen.", Lian schmunzelte und wandte sich dann zu dem Schreibtisch. "Ich schicke einen Brief."

"Du kennst eine Menge Ärzte, was?"
Niamh stand da, an den Türrahmen gelehnt und schaute Lian zu, unschlüssig, was es nun zu tun galt.
Sie war die Hausherrin, aber sie hatte keine Ahnung, welche Verpflichtungen das bedeutete.
Was ihre Aufgaben hier waren.
Und erst recht wusste sie nicht, wie sie mit dem Diener umzugehen hatte.
Sicher war sie jedenfalls, dass es seltsam wirken würde, wenn sie alleine zu den Anderen zurückkehren würde.
Ein verliebtes Mädchen.
Ich bin ein verliebtes Mädchen, das kurz vor seiner Hochzeit steht ...


"Kommst du mit Garalend klar? ", fragte Lian plötzlich, während seine Feder über das Papier huschte, elegant und ordentlich Zeile um Zeile verfasste.

"Ich weiß nicht", antwortete Niamh achselzuckend.
"Ich glaube, er ist in Ordnung.
Oder gibt es etwas bestimmtes, worauf ich bei Dienern achten muss?"
Scheu wirkte er. Unsicher.
Niamh würde beinahe so weit gehen, ihn niedlich zu nennen.
Sie bezweifelte, jemals irgendwelche Probleme mit ihm zu haben.

"Sie sollten weder zu kriecherisch noch zu frech sein ", Lian pustete leicht um die Tinte schneller trockenen zu können. Dann faltete er ihn, säuberlich, ehe das Schriftstück in einem Umschlag verschwand. "Wenn du denkst, dass ein Diener dich belügt oder betrügt, ist das ein Zeichen dass er dich nicht respektiert."

Auf den Gedanken wäre von selbst ich nie gekommen ...
Niamh beschloss, den spöttischen Gedanken nicht auszusprechen.
Nicht, bevor sie vermählt war und Lian sie nicht mehr loswerden konnte, sollte sie unliebsam werden.
"Er sieht nicht wie ein guter Lügner aus."

"Halt deinen Spott nur nicht zurück.", Lian schmunzelte sacht und versiegelte den Brief. Er würde Garalend später losschicken. "Ich bin nicht empfindlich."

"Ach wirklich?"
Unbewusst presste Niamh ihre Lippen aufeinander.
Ein Gedankenleser, wie?
"Warum heiratest du dann, wenn dir egal ist, was andere sagen?"

"Wie meinst du?", oh, er wusste genau, was sie meinte. Er wusste es und dennoch weigerte er sich zu verstehen. Also verbarg Lian sich hinter einem starren Gesicht. Stolz hob er das Kinn, blickte ebenso stur und kalt wie eine Statue. "Warum ich das tue ist meine Sache."

Niamh lächelte süßlich, doch das Missfallen schimmerte deutlich hinter ihren Augen hervor.
"Natürlich, Liebster.
Wie komme ich nur darauf?"
Heuchler.
Kannst es nicht ertragen, wenn ich mal nicht die unterwürfige Braut spiele.

Sie würde es sich für die Zukunft merken. Lian mochte ein halbwegs anständiger Kerl sein, doch das bedeutete nicht, dass sie sich nicht in Acht zu nehmen hatte. Er war immer noch ein Mann mit Geld und Status, und das ging wohl immer mit Stolz und einer gewissen Arroganz einher.
Sie wandte sich der Tür zu.
"Ich richte mich dann in meinem Zimmer ein.
Wenn es dir recht ist."

"Ich heirate, weil es mich davor rettet einen zweiten Mund geschlitzt zu bekommen!", Lian sah Niamh genau an, ruhig und abschätzend. "Ich brauche dich als Frau, um keinen Besuch von wütenden Massen zu bekommen. Und weißt du warum? Weil ich gemerkt habe, dass mir sowohl Männer, als auch Frauen zusagen."

Das war es also.
Warum bist du dann nicht einfach bei Frauen geblieben?, war die Frage, die sich Niamh aufdrängte.
Doch sie sprach die Worte nicht aus.
Die Antwort kannte sie ohnehin schon:
Weil er genug Geld hat, um sich eine andere Lösung zu leisten.
Moral und Sitte, damit fesselte man nur die Armen, die Abhängigen.
Und das machte sie wütend, obwohl sie wusste, dass es nicht Lians Schuld war und dass er keinen Anlass hatte, anders zu handeln. Dass sie davon profitierte, dass ihr Vater dadurch vermutlich viel länger leben würde.
"Ich verstehe", erwiderte sie leise, schluckte ihren Zorn herunter.
"Das wäre schade."
Womöglich klangen diese Worte trocken, doch Niamh meinte es durchaus ernst.
In wessen Bett auch immer Lian schlüpfte, wen auch immer er bestach, um es geheim zu halten, es änderte nichts an der Tatsache, dass er ihr und ihrem Vater in einer Zeit geholfen hatte, als es schlechter um sie beide gestanden hatte, als jemals zuvor - damals noch, ohne eine Gegenleistung zu verlangen.
Und dafür war sie ihm dankbar.

"Dass ich dir nebenbei noch helfen kann, freut mich.", Lian lächelte süßlich, um seinen Groll zu vergessen. Er schluckte schwer daran, dass er nachgeben musste. Dass er auf Nathaniel gehorcht hatte. Dann jedoch, wurde sein Lächeln ehrlicher und ein wenig weicher. "Doch zurück zu dem eigentlichen Thema. Was für eine Krankheit hat dein Vater? Dann weiß ich, welche Kräuter ich im Haus haben sollte."

"Ich weiß es nicht genau", antwortete Niamh, nicht unglücklich über den Themenwechsel.
"Amber sagte einmal, dass seine Krankheit ihn so schwächt, dass anfällig für andere wird.
Aber den Namen weiß ich nicht."

"Aber ich weiß was du meinst.", nickend ging der Kristallelf auf und ab, murmelte einige Kräuternamen. Lian lächelte, ehe er nach Niamh vorbei nach unten ging, Garalend herbei rief. Er schickte den Fil-Shatah mit dem Brief los, zu Nathaniel, dann mit einem vollen Geldbeutel zum Markt. Sowohl um Kräuter zu holen und dann Stoff. Er wollte Niamh ein Kleid schenken, auch wenn sie es vermutlich hassen würde.

Niamh war mit ihrem Verlobten gegangen, hatte sich schon nach wenigen Schritten freudestrahlend bei ihm eingehakt und war mit ihm die Treppe herabgeschritten, wo die anderen beiden Hausbewohner noch immer warteten.
Ob es an einer gewissen Grundskepsis lag oder ob ihre Vorstellung zu dick aufgetragen war, konnte sie nicht beurteilen, doch die Stirnfalte im Gesicht ihres Vaters schien sich in diesem Moment merklich zu vertiefen.
"Ich zeige dir dein Zimmer, Papa."
Sie löste sich von Lian, nicht ohne sich ihm aber noch einmal ganz zuzuwenden und seine Wange zu streicheln.
Dann ergriff sie den Arm ihres Vaters und stützte ihn, führte ihn so zu seinem zukünftigen Quartier.

Während Niamh ihren Vater beiseite nahm, tat Lian das Gleiche mit dem jungen Fil-Shatah, reichte ihm das Geld und die Anweisung. Kräuter, Stoff, Garn und alles was er zum Nähen brauchte.






zuletzt bearbeitet 04.06.2015 12:29 | nach oben springen
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