07: Wiedersehen der Geschwister
07: Wiedersehen der Geschwister
in Frühling 516 11.05.2015 11:24von Glacies Citris • Herzog | 15.151 Beiträge
Von dem Moment da sie aus der Kutsche stieg, mit jedem Schritt, den Adastreia in Richtung des Hauses machte, sank ihr Mut. Und sie wusste nicht einmal, warum, denn ihr Verstand versicherte ihr, dass es keinen Grund zur Sorge gab.
Und doch war da der furchtsame Gedanke in ihrem Hinterkopf, es könne sich trotz allem um einen Irrtum handeln, Orome könnte seit langem tot sein und ein Anderer seinen Namen, sein Leben angenommen haben.
Die Befürchtung, er könnte wütend sein, dass sie den ihr bestimmten Platz im Leben verlassen hatte, sie zurückweisen, sie wieder fortschicken, ihr Herz zerreißen, sie in die Verdammnis entsenden.
Am schlimmsten aber nagte eine Angst an ihr, die tiefer ging als alle Anderen, die sich mit jedem Schritt tiefer durch sie bohrte: Dass sich gar nichts in ihm regen würde. Dass er sie, seine eigene Schwester, einfach vergessen hatte oder, schlimmer noch, dass sie ihm völlig gleichgültig war, dass es ihn nicht scherte, ob die Frau, mit der er seine Kindheit verbracht hatte, nun lebte oder starb, dass er über Ersteres nicht einmal flüchtig lächeln und über letzteres keine einzige Träne vergießen würde.
Adastreia kämpfte gegen diese alptraumhaften Visionene, wie im Wahn formte ihr Geist Worte dagegen:
Nein, so wird es nicht sein.
Orome war immer gutherzig und sanft, er würde mich niemals kalt oder zornig empfangen.
Vielleicht wurde er aufgehalten, vielleicht hat das Geld gefehlt oder die Reise wäre zu gefährlich gewesen, vielleicht hat er mich für tot gehalten wie auch ich ihn und kam deshalb nie zu mir.
Und trotz dieser bewussten Gedanken drängte etwas in ihr sie dazu, zu fliehen.
Einzig ihr eiserner Wille hielt sie davon ab und brachte sie dazu, mit gefasster Miene den Türklopfer drei Mal fest zu tätigen.
Ein entnervtes Schnauben war die einzige Antwort, Lian wandte sich ab. Es machte weder Sinn noch förderte es in irgendeine Art und Weise seine Laune, sich mit Niamhs Vater herumzuschlagen, mit dem sturen, alten Mann zu diskutieren. Als Niamh ihn vorgewarnt hatte, hatte er fälschlicherweise gedacht, dass er dank Nathaniel abgehärtet war. Oh, was für ein Fehler. Der alte Krüppel raubte ihm beinahe jeden Nerv, permanentes Nörgeln und Bohren förderte nicht Lians Geduld.
Ich sollte ihm Arsen in die Sahne für den Tee mischen.
Ein passendes Ende und oh so wohlige Ruhe für seine geschundenen Nerven. Stattdessen knirschte der Kristallelf mit den Zähnen und stampfte aus dem Zimmer, der lange, edle Saum seines grünen Mantels folgte ihm wie eine verzierte Fahne.
"Wa-?!", die Tür ohne Vorwarnung aufgerissen und die bissige Frage, was der unglückliche Jemand hier wollte, erstarrte Lian, starrte die Elfe vor der Tür an. Wer... "Und wer seid Ihr?"
Adastreia war bewusst gewesen, dass nicht alles so sein würde, wie früher. Sie waren so lange voneinander getrennt gewesen, mehr als hundert Jahre hatten sie kein Wort, keinen Blick gewechselt.
Nein, sie hatte mit Veränderungen gerechnet.
Dennoch war es ein Schock, Orome nun gegenüber zu stehen und sich der Dinge bewusst zu werden, mit denen sie nicht gerechnet hatte.
Interessanterweise waren es zuerst seine Haare, die ihre Aufmerksamkeit erregten, sie sprachlos machten, nicht seine Worte. Er trug sie kurz, mit nur wenigen, unbedeutend längeren Strähnen vorne. Nicht lang und glänzend, wie er es früher getan hatte, wie es in der Heimat üblich gewesen war, wie Adastreia es immer noch stolz tat.
Und dann war dar sein Blick, aus dem Verwirrung sprach, seine Worte, die klangen, als spräche er mit einer Fremden.
Und vielleicht tat er das.
Vielleicht waren sie sich Fremde geworden, nach all der Zeit, so nah sie sich auch einst gewesen sein mochten.
Vielleicht waren ihre Leben dazu bestimmt, gemeinsam zu beginnen und getrennt zu enden.
Vielleicht war es dumm von ihr gewesen, die Hoffnung zu schöpfen, dass sie sich je wieder nah sein könnten.
Adastreia senkte den Kopf und suchte nach Worten. Dabei streifte ihr Blick Oromes Mantel. Er war aus feinem Stoff, vom gleichen Grün wie ihr eigenes Kleid.
Vielleicht hatte sich auch doch nicht alles geändert.
So seltsam es auch war, dieses oberflächliche Detail, eine hübsche Farbe und nicht mehr, war es, was ihr dabei half, ihre Fassung zurück zu gewinnen.
"Habe ich mich so sehr verändert", fragte sie ruhig, als sie wieder aufschaute, direkt in seine dunkelblauen Augen, "dass du mich nicht mehr wieder erkennst, Fee?"
Lian spürte wie sein Gesicht blank wurde, schmeckte einen Geschmack - so bitter wie Asche auf der Zunge. Jetzt. Ausgerechnet jetzt?
"Ada." Sie hatte überlebt? Wie? WIE hatte sie Überlebt? Und... "Du lebst..."
Erleichterung machte sich in Adastreia breit.
Er erinnerte sich. Er hatte sie nicht vergessen ... und wohl auch nicht willentlich alleine gelassen, sondern sie für tot gehalten.
Dennoch wollte die Freude sich noch nicht in sie einnisten, die Angst nicht gänzlich schwinden.
Adastreia hatte sich vorgestellt, weinen zu müssen, oder Orome in die Arme zu fallen, doch keines von beidem erschien ihr nun naheliegend oder angemessen, eher lächerlich.
"Ja, das tue ich", erwiderte sie gefasst. "Genau wie du."
Wir müssen reden ... ich muss wissen, wie es dir ergangen ist. Wie es geschehen ist.
"Wie...hast du überlebt?", es war unhöflich, mitten in der Türschwelle zu stehen, sie nicht herein zu bitten. Aber der vertraute Anblick eines Gesichtes, das er verschwommen und dennoch scharf von unbeschwerten Kindheitstagen kannte, ließ sämtliche Kraft aus seinen Gliedern schwinden, ähnlich wie Blut aus einer wunde tropfte. "Hat deine Familie auch überlebt?"
Adastreia fühlte sich bei diesen Worten, als würde ein Dorn in ihr Herz stechen.
Deine Familie, nicht unsere.
Vielleicht war es nur die alte Gewohnheit oder die Verwirrung, doch es schmerzte sie, dass Orome sie selbst jetzt nicht als Teil seiner eigenen Familie betrachtete.
"Ich war nicht dort", sagte sie leise. "Schon lange nicht mehr. Erinnerst du dich nicht?"
Sie starrte einen Moment lang auf einen unbestimmten Punkt, irgendwo hinter ihrem Bruder.
"Ich dachte, dass ich die letzte sei, bis ich von dir gehört habe."
"Hm." Lian trag zur Seite und ließ die Elfe eintreten. "Und das erste, was du in der Stadt tust, ist einen Kindheitsfreund zu besuchen?"
Es war irgendwie seltsam. Sehr, sehr seltsam sogar. Sie waren früher befreundet gewesen, dann war sie verheiratet worden. Nur um jetzt wieder hier aufzutauchen?
"Ist das so merkwürdig?", fragte Adastreia und ließ den Blick durch die lichte, geräumige Eingangshalle gleiten.
Eine Kindheitsfreundin.
War das alles, was sie für ihn war?
Nicht das eigene Blut, sondern nur eine Erinnerung an unbeschwertere Tage?
"Es gibt keinen Ort, zu dem ich gehen könnte", fuhr sie fort, während sie die Fingerspitzen über eine filigrane, blaue Vase gleiten ließ, die einen Strauß gelber Fingerblumen beherbergte. "Mein Mann starb vor Kurzem und es war mir zuwider, den Rest meines Lebens unter Witwen zu verbringen, wie es unter diesen Barbaren üblich ist. Also kehrte ich nach Anastra zurück, um ..."
... um zu verzweifeln?
... um entgültig zu sterben?
Adastreia wusste selbst nicht, was sie dort gewollt hatte. Auch ohne das Ausmaß der Zerstörung zu erblicken hatte sie doch nicht damit gerechnet, dort einen Hoffnungsschimmer zu finden.
"... um es mit eigenen Augen zu sehen."
Sie wandte sich wieder Orome zu.
"Das habe ich.
Und in der kleinen Bergsiedlung habe ich von dir gehört."
Ein Schatten legte sich über Lians Augen, er sah fort. Alte Wunden, kaum verheilt, begannen wieder zu pochen, lauthals um Aufmerksamkeit zu heischen.
"Es ist nichts mehr da.", erwiderte er mit fester, beinahe kalter Stimme. Innerlich wollte er wieder weinen, in die Ecke verschwinden. "Nichts."
"Ich weiß."
Cyanfarbene Wellen zogen sich langsam durch Adastreias Kristall, als sie Orome unverwandt anblickte.
"Ich weiß."
Sie war nicht weit vorgedrungen. Es wäre nicht möglich gewesen, hätte ihr nur den Tod gebracht. Zu leicht wäre sie gestolpert und in einen endlos tiefen Spalt gestürzt, zu unsicher waren die steinernen, rissigen Decken, zu gefährlich die Ballungen von Magie, die dort noch immer zu finden waren, zu leicht entfesselt wurden, explodierten.
Doch selbst die sicheren Außenbereiche der zerstörten Stadt hatten einen zermürbenden Eindruck hinterlassen. Ruinen wohin das Auge auch schaute, all die vertrauten Orte reduziert auf lose Steine und moosüberwucherte Mauerreste, vertrocknete und verseuchte Brunnen, Wohnhäuser, aus denen kein Lachen mehr klang, steinerne Bänke, auf denen schon lange kein junges Paar mehr gesessen hatte, niedrige Torbögen, auf die kein übermütiges Kind mehr klettern würde.
Und die Stille.
So still war es gewesen, dass Adastreias Schritte wie Donner geklungen hatte, dass ihr gewesen war, als hätte ihr eigener Herzschlag ein Echo erzeugt.
Ein Schleier des Todes und des Schweigens hatte schwer über diesem Ort gehangen, der einst ihre Heimat gewesen war.
Kaltes, fahles Grau breitete sich in Lians goldenem Juwel aus, ein Zeichen, wie sehr die Erinnerung noch schmerzte, selbst jetzt.
"Ich will nicht über Anastra reden. Ich will das alles nur endlich hinter mir haben, an die schöne Zeit denken können, ohne das Gefühl eines Messers im Herzen zu haben."
"Natürlich. Du hast Recht."
Adastreias Miene hellte sich ein wenig auf und ein weiches Lächeln formte sich auf ihren Lippen.
"Ich bin auch nicht dafür hierher gereist."
Sie betrachtete Orome zum ersten Mal seit ihrer Ankunft ausgiebig und mit schwindender Besorgnis, nun da die erste Hürde überwunden war.
"Wie ist es dir in all den Jahren ergangen?"
"Gut.“ Die Lüge kam automatisch über seine Lippen, wirkte völlig natürlich. Und hinterließ einen hohlen Nachklang in seinen eigenen Ohren. "Ich bin verlobt."
Nur flüchtig huschte ein Hauch von Zweifel, von Unsicherheit und Nachdenklichkeit über Adastreias Züge, bevor sie nickte, höflich lächelte und entgegnete:
"Ich habe davon gehört.
Ich hoffe, dass dir größeres Glück vergönnt sein wird als mir."
"Ich habe schlechte Erinnerungen daran, wie meine erste Heirat geendet hat", erwiderte Lian mit einem leicht genervten Unterton. Räusperte sich mehrmals und wandte sich ab.
"Ich verstehe."
Adastreias Lächeln erstarb.
Ich komme ihm ungelegen, fuhr es ihr durch den Kopf. Ich störe ihn in seinem neuen Leben. Er würde lieber seine eigene Schwester vergessen, als an seine Vergangenheit erinnert zu werden.
Der Gedanke schmerzte. Umso mehr, weil sie es ihm nur bedingt verübeln konnte. Er musste lange in dem Glauben gelebt haben, sie sei mit all den Anderen gestorben.
Hätte die Nachricht seines Überlebens sie auch gestört, wäre es ihr in der Zwischenzeit gelungen, eine neue Existenz aufzubauen? Sie wusste die Antwort nicht.
"Weißt du", begann sie nachdenklich, die Augen auf Lians Nacken gerichtet, "als deine Eltern mir zum ersten Mal erzählten, dass ich zum Wohle des Reiches heiraten würde, glaubte ich, dass du es sein würdest.
Ich fühlte mich, als würden sie mir ins Gesicht schlagen, als sie mir sagten, ich würde mit diesen Kriegsherren vermählt werden.
Das war einfältig und dumm von mir, nicht wahr?
Aber ich wusste von nichts. Von gar nichts."
Ihre Stimme, ruhig und fest zu Beginn, wurde mit jedem Wort dünner, zittriger, ihr Stirnjuwel hatte langsam ein dunkles Blau angenommen. Sie wollte sich nicht daran erinnern, wollte den Schmerz nicht wieder hervorholen, die Bitternis der Enthüllung auf ihrer Zunge schmecken. Doch sie musste es tun, sie wollte nicht länger davon geplagt werden, ihn nicht länger dumpf in einem entfernten Winkel ihres Kopfes spüren.
Sie musste darüber reden.
"Meine Mutter erzählte mir schließlich am Abend vor meiner Abreise die Wahrheit.
Die ganze Wahrheit.
Deshalb habe ich mich nie von dir verabschiedet.
Ich ... ich konnte es einfach nicht ..."
Nun runzelte Lian die Stirn, leckte sich die Lippen und legte den Kopf schief.
"Welche Wahrheit?" Wovon redete sie? War sie von der Einsamkeit und der Erkenntnis des Verlustes verrückt geworden?
"Die Wahrheit über uns", antwortete Adastreia stockend.
Unsicher glitten ihre goldenen Augen über sein Gesicht, suchten nach einer Regung, einem Gefühl, irgendetwas, das Sinn ergab, ohne sie noch mehr zu verletzen.
Warum leugnest du es? Was hast du noch zu verlieren?
Und dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.
"Du weißt es nicht ..."
Fassungslos wandte sie sich ab, presste die Hand gegen die Lippen und konnte dennoch nicht das Kichern unterdrücken, welches ihrer Kehle entsprang.
Impulsiv, nervös, beinahe schon hysterisch und gänzlich undamenhaft drangen die Laute zwischen ihren weißen Fingern hervor.
Als sie sich wieder einigermaßen gefasst hatte, stellte ihr Gesichtsausdruck eine Mischung aus Belustigung und tiefer Verzweiflung dar.
"Seine Majestät hat es dir nie erzählt, nicht wahr?"
"Uns? Über uns?" Ihr Lachen, Kichern hoch und schrill, rang in seinen Ohren, zerrte und zog an seinen schwachen Nerven. Lian ballte leicht die Faust, wollte ihren schrecklich grellen Ton mit seinen Nägeln zum Verstummen bringen. Und war wohl am meisten überrascht, angesichts seiner brutalen Gedanken. All dem Chaos in seinem Kopf.
Sie ist wahnsinnig.
Seine Erkenntnis ließ ihn mit einem Schlag ruhiger werden, beinahe schon besonnen. Er legte eine Hand auf ihre Schulter, seine Augen spiegelten das gleiche, mitleidige Dulden wieder, welches man jedem schenkte, von dem man glaubte er hätte den Verstand verloren.
"Es gibt nichts, was erzählt werden müsste."
Adastreias Stimme verstummte jäh, als sie die Berührung an ihrem Arm fühlte, den Blick in Oromes Augen sah.
Er verstand nicht. Und er würde es nicht verstehen, wenn sie es ihm erklären würde.
Aber Adastreia war nicht gekommen um zu schweigen. Sie würde die Stille mehr bereuen als das Schweigen.
Sie schüttelte den Kopf und wich vor Orome zurück, fort von seiner Hand.
"Nein, es gibt nichts, was erzählt werden müsste", antwortete sie bitter. "Denn die Einzigen, die bezeugen können, dass du eine Schwester hast, sind seit Jahrzehnten tot."
Nun wanderten Lians Augenbrauen nach oben. Eine Schwester? Er? Beinahe hätte er gelacht. Hätte kalt und hart, wie zerbrochenes Glas sein Lachen vor ihre Füße gespuckt.
Was erhofft sie sich? Jetzt? Wo Anastra vernichtet ist?
"Und was sollte mir diese Information bringen?", er trat zurück, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Kalt und aufrecht, beinahe schon stolz. "Oder meiner...Schwester. Es ist nichts mehr übrig. Nicht einmal mehr Asche."
"Nicht einmal mehr Asche ..."
Adastreia starrte ins Leere, suchte nach Worten, die ihr Recht geben und diesen schlechten Scherz beseitigen konnten. Worte die es nicht gab.
Er will mich nicht zurück, nach all den Jahren.
Ich kann das nicht ändern.
"Du hast Recht", erwiderte sie, als sie aus schmalen Augen wieder in Oromes Gesicht schaute.
"Es ist nichts geblieben.
Ich habe keinen Beweis für das, was ich bin, außer mein Gesicht, mein Haar und meinen Kristall. Und was sind diese Äußerlichkeiten schon gegen die Worte eines Königs?
Du hast keinen Nutzen davon, die Wahrheit zu erfahren, dass deine Schwester gleich nach ihrer Geburt in die Arme einer anderen Frau gelegt wurde, damit sie niemals rechtmäßig Einfluss auf dich üben könnte."
Es hatte keinen Sinn, weiter zu kämpfen. Adastreia hatte gesagt, was sie sagen wollte, hatte erfahren, was sie wissen wollte, und nun war es an der Zeit, sich zurückzuziehen, denn andernfalls konnte sie nur verlieren.
"Gehabt Euch wohl, Lian", sagte sie förmlich und knickste vor ihrem Bruder. "Vergesst, dass ich jemals hier war und werdet glücklich mit Eurer Gemahlin."
Mit diesen Worten drehte sie sich um, schritt aufrecht, stolz und elegant zur Tür.
Sie würde hier nicht zusammenbrechen.
Sie würde weinen, oh ja, das würde sie, aber nicht hier, sondern in der Einsamkeit eines geschlossenen Schlafgemachs in der Stille der Nacht.
Sie hatte sich vor langer Zeit geschworen, keinem Mann mehr die Genugtuung zu verschaffen, ihre Tränen zu sehen, und somit würden diese erst fließen, wenn sie es ihnen erlaubte.
Sie geht. So wie früher...
"Ada." Lian klang leise, seine Gestalt - stolz und kühl - sackte leicht zusammen, er sah ihrem schmalen Rücken hinterher, ihren wiegenden Hüften und dem schwingenden Haar. "Adastreia."
Sie hatte beinahe die Tür erreicht, als er sie endlich eingeholt hatte, sie am Arm kurz hielt, sofort wieder los ließ.
"Geh nicht weg."
Adastreia erstarrte in der Bewegung, ihre Hand ruhte auf dem Türknauf.
Orome war immer der sanftere von ihnen gewesen, der nachgiebigere.
Und er war es auch jetzt noch.
War noch immer derselbe Feenprinz, mit dem sie in der Kindheit alles geteilt hatte.
"Es ist so seltsam, wie man sich wiedertrifft", sagte sie schließlich leise und ließ die Hand sinken.
Zähne knirschend senkte Lian den Kopf und musterte sie durch helle, lange Wimpern.
Oh, bei allen Vorfahren, jetzt habe ich eine Schwester...
"Warum", warum erzählte sie es ihm? Warum war sie nicht früher gekommen. "Warum setzen wir uns nicht."
Er wollte nicht, dass sie ging. Lian deutete auf zwei Sessel, nahe der bunten, hohen Fenster.
"Und reden. Oder trinken. Wie früher."
Als wir uns in den Weinkeller meines - unseres - Großvaters geschlichen haben, die Sahneliköre probiert haben.
Adastreias Blick folgte der Bewegung seiner Hand, nickte dann.
"Gerne."
Als sie sich auf der weichen Polsterung eines Sessels niedergelassen, kurz das bunte Muster bewundert hatte, welches das Licht durch die Fenster auf ihre Haut und den Boden warf, schaute sie wieder zu Orome auf und lächelte ihn geziert an.
"Hättest du Likör im Haus, Fee?"
"Nicht den gleichen wie früher." Lian wühlte sich durch die Vitrine und zog dann eine langhalsige Flasche aus dem Schrank. Die milchige, gelbliche Flüssigkeit schwappte gegen das dicke Glas, als die Flasche samt zweier, zierlicher Gläser auf den runden Edelholztisch gestellt wurde. "Aber Sahne. Und Vanille."
"Das klingt nach einem guten Ersatz", antwortete Adastreia und beäugte das karamellfarbene Getränk angetan.
"Vielleicht besser sogar, wenn man bedenkt, wie unser letzter Ausflug in den Keller des ... in Großvaters Keller geendet hat."
Der alte König hatte seine Tropfen stark und kräftig bevorzugt, und trotzdem hatten sie der Zunge so geschmeichelt, dass Adastreia kaum genug davon bekommen hatte.
"Erinnerst du dich?"
"Wie könnte ich nicht...", erstaunlich, gerade noch wollte er sie zum Schweigen bringen, nun konnte er nicht genug bekommen, von ihrer Stimme, von Erinnerungen, die er unwiderruflich verloren hielt. "Mir klingeln immer noch die Ohren."
Lachend brach der Kristallelf das Siegel der Flasche, drehte den Korken raus und roch beinahe sofort, den süffig süßen, schweren Geruch des Alkohols, vermengt mit Sahne.
"Ich wusste gar nicht, dass er so schreien kann."
"Ich auch nicht."
Adastreia lachte leise bei der Erinnerung an eine der wohl unangenehmsten Situationen in ihrem gesamten Heranwachsendenalter.
Damals hatte sie wahrhaftig Angst verspürt.
"Ich glaubte schon, er würde uns jeden Moment köpfen lassen."
"Mh-hm", dumpf nickte Lian während er Adastreia eines der Gläser reichte. Die süffige Schwere lullte seine Zunge ein, er lehnte sich im Sitz zurück und schüttelte wieder den Kopf. "Ich glaube, er hat es kurz in Erwägung gezogen."
Als sie das Glas zum Mund führte, schloss Adastreia kurz die Augen. Es war nicht derselbe Likör, den sie damals mit Orome gekostet, doch mit Abstand das Beste, was sie seit langem getrunken hatte und ähnelte ihm genug, um eine gewisse Nostalgie aufkommen zu lassen. Erinnerungen an all die Abende, die sie gemeinsam verbracht hatten, mal mit verbotenem Wein, mal ohne. Geredet hatten sie, gelacht, sich über Eltern beschwert und über Diener gelästert, von der Zukunft geträumt, sich gegenseitig Wünsche offenbart ... es war eine herrliche Zeit gewesen, eine unbeschwerte Zeit, in der Regeln langsam gelockert wurden keine Pflicht oder Verantwortung bindend gewesen war.
Nach einem kleinen Tropfen süßer Schwere, der sich auf ihre Zunge gelegt hatte und dann mit einem zarten Hauch von Schärfe ihre Kehle herabgeronnen war, schlug Adastreia ihre Augen wieder auf und schenkte Orome einen warmen, goldenen Blick, hob ihr Glas leicht an.
"Auf unseren Großvater.
Und die alten Zeiten."
"Auf die alten Zeiten." Lian stieß mit ihr an und nippte dann an seinem Glas. Er konnte nicht...noch nicht.
Es ist zu...grotesk. Zumindest vom jetzigen Zeitpunkt gesehen.
Der nächste Schluck, den Adastreia zu sich nahm, war deutlich größer, währte länger.
Und seine erfreuliche Wirkung, Wärme, die ihren ganzen Leib durchlief, setzte schnell ein. Eine leichte Trunkenheit würde uch bald einsetzen, sie hatte nie viel vertragen.
Entspannt lehnte Adastreia sich zurück und lächelte ihren Bruder an.
"Ich habe dich vermisst, Fee."
"Oh Himmel", bei der Nennung seines alten Spitznamen lachte Lian auf, hell und herzhaft, wie schon lange nicht mehr. Er strich sich eine feine, weiße Haarsträhne aus dem Gesicht, schüttelte den Kopf energischer. "Warum hast du mir so einen Spitznamen gegeben"
"Um ehrlich zu sein", erwiderte Adastreia und gluckste leise. "Weiß ich es gar nicht mehr."
Sie legte den Kopf schief und betrachtete den Mann, der aus ihrem Kindheitsfreund erwachsen war, die schmalen, feinen Hände, das schneeweiße Haar. Hätte er Flügel gehabt, wäre das Bild auch heute noch perfekt gewesen.
"Aber ich war immer der Meinung, dass er zu dir gepasst hat, Orome."
"Die meisten nennen mich hier Lian." Der Kristallelf verdrehte die Augen und leerte sein Glas in einem Zug. "Es ist irgendwie seltsam, wie unwissend sie sind."
Er kicherte belustigt und schüttelte den Kopf. Lian schenkte sich und auch Adastreia nach. In dem leisen Klirren des Glases, ging es beinahe unter. Das leise Huschen von Fell über glattem Steinboden.
Adastreia schnaubte belustigt.
"Das ist wahr.
Und woher sollten diese armen, glücklichen Ignoranten?"
Als Orome nachfüllte, war es ihr, als hörte sie etwas, das hier nicht zu hören sein sollte.
Sie erstarrte, lauschte aufmerksam, kam dann aber zu dem Schluss, dass das Geräusch von draußen gekommen oder aber bloße Einbildung gewesen war.
"Und, wie soll ich dich nennen?", fragte sie ihren Bruder keck. "Orome, Fee ... oder etwa auch Lian?"
"Lord Orome?", Garalends leise Stimme klang wie das Miauen eines Kätzchens. Sanft, leicht zu überhören und auf gewisse Weise mitleiderregend.
Der gelbäugige Fil-shatah brachte Lian immer dazu, inne zu halten, sich nach ihm umzusehen. So auch diesmal.
Garalend stand - einen Stapel ungeöffneter Briefe gegen die zarte Brust gedrückt - im Türrahmen, die Augen unsicher auf die Fremde gerichtet.
Stirnrunzelnd beäugte Adastreia den jungen Mann, den sie erst gar nicht bemerkt hatte und der nun Oromes Aufmerksamkeit einforderte.
Er war nicht sonderlich groß, schmal, hübsch wenn man von den irritierenden Ohren und dem Katzenschweif absah.
Und er wirkte wie ein verlorenes Kind.
"Garalend." Lian legte den Kopf schief und sah zu den Briefen, sah wie der Fil-shatah von der Anwesenheit Adastreias verunsichert wurde. "Ich komme gleich zu dir und helfe dir."
Ein Diener?
Adastreia nippte an ihrem Glas, ohne die goldenen Augen von dem Jungen abzuwenden.
Aber keiner, der eine sonderlich gute Ausbildung genossen hat, wenn er Hilfe von seinem Herrn benötigt, um seine Arbeit zu verrichten.
Es wunderte sie, dass Orome trotz seines Vermögens nicht mehr Geld in seine Dienstboten investierte.
Der Fil-Shatah machte sich unter Adastreias bohrendem Blick kleiner als er ohnehin schon war, zog die schmalen Schultern an und senkte den Kopf, ehe er rückwärts aus dem Zimmer ging, seinen flauschigen, wuscheligen Katzenschweif beinahe zwischen die Beine geklemmt.
"Immer noch ängstlich." Lian seufzte leise und warf der Elfe einen forschenden Blick über den Rand seines Glases zu. Ob sie genauso rassistisch eingestellt war, wie er zu Beginn?
"Wer ist das, Orome?", fragte Adastreia.
"Ein Schützling?
Oder etwa einer deiner Diener?"
Sollte letzteres der Fall sein, konnte man dem Jungen wohl wenigstens zugutehalten, dass er sich seines Platzes einigermaßen bewusst war. An Demut schien es ihm jedenfalls nicht zu mangeln.
"Sowohl als auch", erwiderte Lian ruhig. Er strich über sein Glas, lauschte dem leisen Klirren, das sein Finger erzeugte, wenn das Glas leicht kippte, zurück fiel, auf die Tischplatte. Der Likör brannte warm und süß in seinem Bauch, ließ ihn angenehm träge werden. "Garalend ist eigentlich ein sehr beliebter Schneider gewesen. Nach dem der Sturm seine Lebensgrundlage zerstört hat, nahm ich ihn auf. Er wurde als Sklave großgezogen, ist loyal und sehr geschickt. Der einzige Makel ist, dass er weder lesen noch schreiben kann. Niamh versucht schon es ihm beizubringen, doch der Kleine ist anscheinend zu sehr in Sorge um sich richtig darauf konzentrieren zu können."
"Eine traurige Geschichte", bemerkte Adastreia leise. Gedankenverloren spielte sie mit ihrem Glas, starrte die milchige Flüssigkeit darin an, ehe sie diese in einem Zug herunterspülte, ihre Zunge somit schmeichelte, den Hals jedoch verbrannte.
Ein bittersüßes Gefühl.
"Niamh", fuhr sie fort, als sie den Kopf hob, um Orome wieder in die Augen zu schauen. "Das ist deine Verlobte, nicht wahr?"
"Ja." Mehr sagte er nicht. Nur Ja. Simpel. Einfach. Beinahe endgültig. Lian schenkte noch einmal nach, dann verkorkte er die halbleere Flasche wieder und stellte sie zurück in die Vitrine, ehe er in seinen Sessel zurückkehrte. "Und was passiert jetzt? Schwesterherz."
Adastreia runzelte die Stirn.
Ihr Bruder wirkte nicht wie ein Bräutigam, der sich auf die Hochzeit mit der Liebsten freute.
Nein, eher schien er Resignation zu fühlen.
Er hat sie doch nicht etwa in Schwierigkeiten gebracht?
Hastig schob sie den Gedanken beiseite. Das mochte ein Grund sein, warum Männer sich gegen den eigenen Willen vermählten, doch Orome gehörte einfach nicht zu der Sorte, die unschuldige Mädchen verdarb. Er war immer ein Mann von Ehre gewesen.
"Ich weiß es nicht. Was soll jetzt passieren?"
Bei den Göttinnen, ich muss sie von Nathaniel fern halten.
Bei dem Gedanken - so gefährlich er auch sein mochte - konnte der Kristallelf sich ein kurzes Schmunzeln nicht verkneifen. Dann jedoch schüttelte er den Kopf, fuhr sich durch das kurze Haar und sah sich um.
"Genau genommen, weiß ich das auch nicht."
Adastreia nickte.
Es war nicht zu erwarten gewesen, schließlich hatte sie Orome sowohl mit ihrem Besuch als auch mit ihrer bloßen Existenz überrascht.
"Ich habe nur noch wenig Geld übrig, aber eine Freundin hat mir Unterkunft für die Nacht gewährt.
Weißt du einen Ort, an dem ich leben könnte?"
Sicher hatte er nach all der Zeit hier genug Einfluss in der Stadt, um etwas arrangieren zu können.
Doch um nicht zu anmaßend zu klingen, fügte Adastreia hinzu:
"Ich gebe mich auch mit wenig zufrieden. Das Haus muss nicht mehr als zwei Stockwerke haben und zwei oder drei Diener genügen mir ebenfalls."
Mit wenig?!
Einzig ein geringer Faden seiner Selbstkontrolle hielt Lian davon ab, in hysterisches Gelächter auszubrechen. Adastreia hatte Luxus immer geliebt, natürlich, aber das war...unverschämt? Unerhört?
"Ich fürchte, du überschätzt meinen Einfluss.", murmelte Lian ehe er sein Gesicht hinter dem Glas versteckte.
"Wirklich?"
Stirnrunzelnd legte Adastreia den Kopf schief.
Eine solche Kleinigkeit konnte Orome ihr nicht verschaffen?
Das erschien ihr merkwürdig.
"Sind die Menschen hier so barbarisch, dass ein zivilisierter Mann nicht die Chance hat, an Einfluss zu gewinnen?", fragte sie mitfühlend, denn das erschien ihr wahrscheinlich.
Zumindest bis ihr ein anderer Einfall kam, der alles noch besser erklärte.
Natürlich - in dieser Region konnte man sicher nur durch Blutlinien Fuß fassen.
Deswegen würde Orome also heiraten, obwohl er es nicht wünschte.
"Kennt deine künftige Frau vielleicht jemanden, der mir helfen kann?"
"Nein. Wirklich nicht. Das ist eine sture Gemeinde, um es vorsichtig auszudrücken." Lian beließ es dabei. Er lächelte und widmete sich lieber seinem Getränk.
Adastreia seufzte schwer.
"Das ist wirklich bedauerlich. Kennst du wirklich keinen einzigen Ort, an dem ich bleiben könnte?"
Es gab einen Weg, es gab immer einen.
Doch Adastreia hoffte zutiefst, dass sie sich nicht wieder vermählen musste, um hierzubleiben. Sie hatte es beim ersten Mal gehasst, würde es auch beim zweiten Mal tun.
Insgeheim hoffte sie, dass Orome ihr wenigstens einen Platz im eigenen Haus anbieten würde. So musste sie Keya nicht länger zur Last fallen und würde in der Nähe ihres Bruders sein. Und sie würde um eine zweite Ehe mit einem zweiten Barbaren herumkommen.
Ein lautes Pochen an der Haustür holte sie aus ihren Gedanken.
Ehe Lian aufstehen konnte, war der Fil-shatah vorbei gehuscht, leise und flink, öffnete die Tür und begrüßte den Besucher leise.
Abgelenkt von dem Besucher achtete der Kristallelf kaum noch auf seine neue, alte Schwester. Ein kurzes Lächeln huschte erneut über seine Lippen, kurz nur, flüchtig, dann Wandte er sich wieder an Adastreia.
"Mein Schwiegervater wohnt hier noch Bei uns. Er ist krank und braucht intensive Pflege "
"Oh."
Die leichte Sorge in Adastreias Augen war nicht gekünstelt.
"Ich hoffe doch, dass du ihm mit deinen Kräften gut helfen kannst, Fee?"
Sie hörte einige Worte an der Türe und sich nähernde Schritte, dann eine leise, männliche Stimme, die einen guten Tag wünschte. Als Adastreia sich umdrehte, blickte sie flüchtig in ein Paar blaugrüner Augen.
"Mylady", sagte der junge Mann, dessen schwarzes Haar ihm zerzaust in die blasse Stirn fiel, mit einem knappen Nicken, ehe er sich ihrem Bruder zuwandte. "Lord Orome, Ihr wünscht meine Anwesenheit?"
Er blickte Orome nicht länger an als Adastreia, senkte gleich wieder den Kopf. Er trug ein einfaches braunes Gewand, einfache Schuhe ... alles an ihm wirkte schmucklos und einfach. Es passte nicht zu den hellen Augen und den ebenen Gesichtszügen, welche Adastreia erspäht hatte.
"Richtig." Lian erhob sich in einer fließenden Bewegung. Er schritt an Adastreias Sessel vorbei. Verharrte neben der Armlehne und legte eine Hand auf die Schulter seiner Schwester. "Dein Besuch war überraschend, Adastreia. Du kannst mich gerne wieder besuchen. "
Und mit einem letzten, warmen Blick zu der Elfe, war Lian aus dem Zimmer gegangen, den Neuankömmling mit sich winkend. Zurück blieb nur der Fil-shatah.
"S...soll ich Mylady hinaus begleiten?"
"Danke, ich finde den Weg alleine."
Adastreias Blick war abwesend, ein wenig besorgt.
Sie hatte ihren Bruder gefunden, er schien noch immer der Gleiche zu sein.
Und doch nagte Unbehagen an ihr, wenn sie daran dachte, wie wenig sie tatsächlich über ihn wusste.
Und auch, dass sie noch immer nicht wusste, was aus ihr werden sollte ...
In diese Gedanken gehüllt trat sie hinaus.
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