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03: Abend vor der Reise

in Sommer 516 20.04.2015 18:18
von Glacies Citris Herzog | 15.151 Beiträge

Konzentriert starrte Elliot auf das nur von wenigen Lampen erhellte Schachbrett, doch er ahnte bereits, dass es zu spät war, noch etwas an dem Schicksal seines schwarzen Königs zu ändern.
Seine Läufer waren gefallen, die Türme standen ungünstig, auch die letzten Bauern waren keine Hilfe und weder seine Königin noch sein verbleibendes Pferd vermochten mehr zu tun, als sich zu opfern und Zeit zu verschaffen. Natürlich blieb ihm nichts anderes übrig, als ihnen ebendies zu befehlen und so dauerte es nur wenige Züge, bis eine weiße Dame sich auf das Feld der zu verteidigenden Figur stellte, diese auf nahezu martialische Weise umstieß.
"Wie es scheint, habt Ihr wieder gewonnen, Lady Fawns", bemerkte Elliot und lehnte sich lächelnd in seinem Lieblingssessel zurück. "Sollte ich langsam beginnen, mich in meinem Mannesstolz gekränkt zu fühlen?"
"Das müsst Ihr nicht, Mylord", versicherte Emilia ihm mit einer derart neutral anmutenden Stimme, dass er bei jedem anderen Menschen eine Anwandlung staubtrockenen Sarkasmus vermutet hätte. "Um zu gewinnen müsst Ihr lediglich lernen, Eure Vorhaben besser zu verbergen."
"Und wie soll mir das gelingen, meine liebe Emilia, wenn du doch in deinen Karten jedes Vorhaben voraussehen kannst, bevor ich es erdenke?"
Langsam erschien ihm das die einzig mögliche Erklärung für die unheilige Gabe der jungen Frau, ihn in jeder Schachpartie zur Niederlage zu zwingen. Alles hatte an einem verregneten Nachmittag im vergangenen Frühling begonnen, als Elliot, gelangweilt von dem trüben Wetter und Mangel an Festlichkeiten, Emilia zum ersten Mal zum Spiel aufgefordert hatte. Es hätte der Höflichkeit entsprochen, sie gewinnen zu lassen, und womöglich hätte er es sogar getan, wenigstens hin und wieder, doch sie hatte ihm keine Chance dazu gelassen. Stattdessen hatte sie ihn nach weitaus weniger Zügen als geplant Matt gesetzt und in ihm war der Ehrgeiz erwacht, sie zu besiegen ... was sich als weitaus schwerer erwies, als es hätte sein dürfen.
Elliot war kein Meister des Schachspiels, doch er hatte sich bisher immer, nicht gänzlich unangebracht, mit einer gewissen Begabung gerühmt und tatsächlich selten mehr als eine Partie am Stück verloren.
Diese Fähigkeit schwand nicht etwa, wenn er gegen Emilia antrat, im Gegenteil, in diesen Spielen war er aufmerksamer denn je, plante sorgfältiger, beobachtete ihre Züge genauer.
Doch wann immer er einen klugen Plan, eine unfehlbar erscheinende Strategie erdachte und in die Tat umzusetzen begann, schaute sie erst das Spielfeld, dann ihn an, mit diesen undurchdringlichen, fliederblauen Augen, als könne sie jeden seiner Gedanken genauestens lesen. Und dann dauerte es normalerweise nur noch wenige Züge bis zu seiner Niederlage.
"Die Karten erzählen viel, aber die Wahrheit ist selten dabei, wenigstens nicht auf eine Weise, die ich verstehen würde."
Elliot seufzte.
"Nun, dann muss ich mich wohl doch in meinem Stolz gekränkt fühlen, sonst hörst du noch auf, einen Mann in mir zu sehen."
Emilia schaute ihn kurz an, als erwäge sie, ihm zu sagen, er solle sich keine Sorgen machen, weil sie niemals einen Mann in ihm sehen würde. Zumindest vermutete er, dass sie das dachte, denn wie immer konnte er nicht hinter ihre Augen blicken.
"Es ist spät, Mylord", antwortete sie sanft und verrückte ihren Stuhl, sodass sie aufstehen konnte. "Morgen werdet Ihr sicher keinen Grund mehr sehen, an Eurem Stolz zu zweifeln."
Sie drehte sich um, schritt an den dunklen Fenstern vorbei in Richtung der Tür, doch Elliot griff sie am Arm, hielt sie zurück. Er spürte, wie sie erstarrte und bemühte sich darum, ausnahmsweise ehrenhaft und anständig zu klingen, als er sagte:
"Heute ist der letzte Abend, den ich hier verbringen werde. Willst du wirklich schon gehen? Wir müssen nicht Schach spielen, es gibt auch andere Dinge ..."
Natürlich wurde Emilias Blick bei diesen Worten kalt und sie zog rasch ihre Hand von ihm fort.
"Ich bin müde, Mylord. Bitte entschuldigt mich."
Und mit diesen Worten rauschte sie aus dem Salon, eine Wolke aus blondem Haar und hellgrüner Seide hinter sich.

Tharaniel unterdrückte ein hämisches Lachen, als er Emilias Abgang mit bekam. Er war noch damit beschäftigt die letzten Dinge zu packen und war nur durch Zufall an der halb offenen Tür vorbei gekommen. Der Schattentänzer hütete sich davor, seinem Herrn seine Belustigung spüren zu lassen. Denn, trotz all seines Alters, Schach war etwas, dass er nie beherrscht hatte und auch nie beherrschen würde. Seine Belustigung wuchs sogar noch, als Emilia aus dem Raum stürmte, der Gang eindeutig fluchtartig.
Ein erschrockenes Keuchen zeigte Tharaniel noch, dass er nicht der einzige in Emilias weg gewesen war, doch so erhellend wie es auch sein würde, das geliebte Goldkehlchen seines Herrn zu ärgern, die morgige Reise war wichtiger.

"Gute Nacht", rief Indivia noch leise hinter Emilia her, unsicher ob sie es überhaupt gehört hatte. Bei all dem Geraschel ihrer Röcke wunderte es ihn nicht, wenn es untergegangen war.
Unsicher und nachdenklich umklammerte er mit nervösen Fingern das Instrument. Lord Ashsteel hatte es eine Geige genannt. Seit gut zwei Wochen hatte er sie schon, ein Geschenk von Arahiel, doch zu selten hatte er gespielt. Schade eigentlich, denn Indivia erwies sich als durchaus begabt mit dem Instrument.
Das erste Mal als er eine Geige in der Hand gehalten hatte, war als seine Familie bei einer netten Händlerin für den Winter untergekommen war. Die Frau hatte sein Interesse für Musik genutzt, ihm die Grundzüge und bald auch einige kniffligere Kniffe beigebracht.
Eigentlich wollte Indivia seine verstaubten Fähigkeiten mit diesem Instrument im Salon testen, der einzige Raum, der weit genug von den Schlafzimmern entfernt und dennoch gemütlich war. Doch...
"Hallo?", leise und vorsichtig erklang Indivias Stimme, er lugte in den Raum, bemerkte das verlassene Schachbrett und den Herrn des Hauses. "Guten Abend, Lord Ashsteel."

Elliot hatte am Fenster gestanden und in den wolkenverhangenen Nachthimmel gestarrt, die Zähne frustriert zusammengebissen.
Der Gegenstand seiner Verstimmung war nicht nur, dass Emilia ihn diese eine Mal für eine vermeintliche Belästigung zurückgewiesen hatte, auch wenn er gar nicht die Absicht gehabt hatte, sie zu einem kleinen, erotischen Abenteuer zu überreden. Abweisungen dieser Art konnte er gut verkraften, war sie ja auch durchaus gewohnt.
Was ihn störte, was ihn plagte und innerlich zerfraß, war die Tatsache, dass sie sich ihm so völlig entzog, dass sie nichts von sich preisgab, ihm nicht die Gelegenheit ließ, sie kennenzulernen, das Eis zu brechen.
Als er Schritte und eine leise, zögerliche Stimme hörte, zwang Elliot sich doch zu einem Lächeln und drehte sich zu dem jungen Barden um.
"Ah, Indivia. Was kann ich für dich tun, mein Freund?"
Er sah eine Geige in seinen Händen, ein Instrument, dem er zweifellos wie allen anderen auch lieblichste Klänge entlocken konnte. Musik war auch eines der Dinge, die ihn mit Emilia verband. Eines der vielen Dinge. Elliot sah sie schon vor sich, in Indivias Armen liegend, sobald er aus dem Haus wäre.
Es war ein bitterer Gedanke, andererseits aber auch einer, den er guten Gewissens verwerfen konnte. Denn wenn er sich in einer Sache sicher war, dann darin, dass die beiden nicht einmal dann zueinander finden würden, wenn es ihren innersten Wünschen entspräche.

"Ich...ich wollte nur…" Verlegen verlagerte Indivia sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen, sah zu Boden. Er räusperte sich, strich wieder über glattes, helles Holz des Instruments, leckte sich die Lippen und lächelte dann. "Ich dachte hier wäre niemand mehr und wollte ein wenig üben...Es ist lange her, das ich das letzte Mal etwas anderes als eine Panflöte gespielt habe."

"Ja, ich kann mir vorstellen, dass es mit der Zeit verdrießlich wird, immer in das selbe Instrument zu blasen", antwortete Elliot spitzbübisch. "Und deine Finger werden sich bestimmt freuen, auch einmal mit etwas anderem spielen zu dürfen."
Er trat vom Fenster weg, einen Schritt auf Indivia zu.
"Möchtest du es mir zeigen?"

"Ich...äh...ich habe schon lange nicht mehr gespielt." Für einen Bruchteil musste Indivia überlegen, nachgrübeln warum der Lord seine Worte so seltsam betonte, doch dann überwog die Vorfreude und er lächelte. Mit schlanken Armen und leichten Bewegungen entlockte Indivia ungewöhnlich melancholische Laute dem Instrument, runzelte die Stirn und begann erneut. Diesmal wurden die Töne süßer, leichter und verspielter.

Elliot verschränkte die Arme und schloss die Augen.
Lauschte.
Womöglich verstand er sich nicht gut genug auf Geigenmusik, eher schien es ihm aber so, dass Indivia in seiner Unsicherheit Bescheidenheit an den Tag gelegt hatte.
Denn die Klänge, welche er da hörte, tönten alles andere als ungeübt.

Mit gerunzelter Stirn spielte Indivia weiter, versuchte Fehler auszumerzen, die nur sein Gehör wahrzunehmen schien, hin und wieder leckte er sich unbewusst über die Unterlippe, während er mit Streichen - mal lang und träge, mal kurz und beinahe hektisch - die Saiten zum Schwingen brachte.

Elliot wusste nicht, wie lange er dort gestanden und zugehört hatte, doch erst als er die Augen wieder aufschlug und Indivia anschaute, merkte er, wie gut es tat.
Ob er nun geübt war oder nicht, Indivia vermochte es, zarte Gefühle in seinem Spiel mitschwingen zu lassen. Gefühle, die nicht Elliots eigene waren, die er wahrscheinlich nicht einmal wirklich kannte, und die somit umso schöner waren, lenkten sie ihn doch von dem ab, was eigentlich in seinem Kof herumschwirrte. Von Emilia.

Leises Quietschen und ein frustriertes Seufzen kündete vom Ende des so genannten Konzertes. Indivia setzte die Geige ab und starrte mit großen, grünen Augen auf die noch leicht schwingenden Saiten. Drehte leicht das Instrument in der Hand, ehe er aufsah.
"Ich kann es wohl nicht mehr so gut wie früher."

"Nun, ich kann nicht beurteilen, wie gut du früher warst."
Elliot lachte leise und streckte die Hand aus, fuhr über Indivias Haar, als wäre er ein Kind. Es war leicht, zu vergessen, dass er eigentlich der Ältere von beiden war.
"Aber du kannst ja üben, während ich unterwegs bin, mein Freund, und mir dann demonstrieren, wie gut du geworden bist."

Ein breites, fröhliches Lächeln legte sich auf Indivias Lippen, er nickte kindlich und kicherte dann auf.
"Werde ich machen."

"Das setzt natürlich voraus", fuhr Elliot fort, "dass du die Zeit wirklich zum Üben mit der Geige nutzt. Und das, obwohl diese ruhigen Tage sicher eine gute Gelegenheit bieten werden, sich den Reizen einer jungen Dame hinzugeben."
Ja, die Vorstellung mochte an seinen Innereien nagen, doch er konnte nicht anders, als sie immer wieder heraufzubeschwören. Er wollte Gewissheit haben, wollte Indivias Gedanken zu diesem Thema kennen, denn am schlimmsten war es nun einmal, nicht zu wissen, ob die beiden nicht doch heimlich hinter seinem Rücken übereinander her fallen würden, sobald sich ihnen die Gelegenheit böte.
"Und Emilia hat sicher einige davon."

Erst blickte Indivia nur verwirrt, dann runzelte er die Stirn, formte tonlos elliots Worte mit den Lippen nach, als wären sie das, was er nicht verstand.
Er war kurz davor Elliot zu fragen, was er denn meinte, als das verstehen durchsickerte, seine Wangen und Hals sich schamesrot färbten.
"Aber... Ich habe doch gar nicht.... Emilia ist nur eine Freundin! "

"Oh, ist sie das?"
Elliot war überrascht, allerdings nicht, weil Indivia die Freundschaftlichkeit in seiner Beziehung zu dem Mädchen betonte, sondern weil er offenbar verstanden hatte, was er gesagt hatte. Er war so daran gewöhnt, zweideutige Bemerkungen in der Gegenwart seines kleinen Goldkehlchens zu machen, dass er sich nicht einmal mehr um Subtilität bemühte, da diese in aller Regel verschwendet wäre. Womöglich war dieses kleine Vögelchen in all seiner bezaubernden Unschuld aber doch etwas lernfähiger, als Elliot ihm innerlich zugestanden hatte.
"Es wird sie sicher enttäuschen, das zu hören", fuhr er fort, sich mit den Fingern durch das lange, pechschwarze Haar streichend. "So sehr, wie sie dir verfallen ist, mein Freund."

"Das ist... ", Indivia schluckte das Wort welches ihm harsch und ungewohnt rau auf der Zunge gelegen hatte. "Nicht wahr. "
Er packte den Hals seiner Geige und sah Elliot aus traurigen, grünen Augen an.
"Warum sagt Ihr so etwas? Weder Emilia noch ich haben derlei vorhaben."

Offenbar hatte Elliot hier einen wunden Punkt getroffen. Jedenfalls sprach echte Verletzung aus Indivias Stimme, schimmerte in seinen hübschen Augen.
Weil ich eine hässliche, verrottete Seele habe, dachte er. Weil ich es nicht ertragen kann, dass sie dir ein warmes Lächeln schenkt und sich mir als kalter Fisch präsentiert.
"Weil das nun einmal ist, wie es in meinen Augen aussieht", antwortete er stattdessen schulterzuckend. "Womöglich irre ich mich auch. Vielleicht gelten ihre wehmütigen Blicke ja gar nicht dir."
Dann lachte er unbeschwert.
"Aber wenn sie wirklich so uninteressant für dich ist, wird es sich sicher nicht stören, wenn ich mich um ihre Gunst bemühe."

Die Verletzung in Indivias Blick schwand binnen eines Wimpernschlags. Er nickte begeistert, hätte sogar leicht in die Hände geklatscht, wie er es immer tat wenn er eine Idee gut fand, hätten Indivias Finger nicht die Geige halten müssen.
Also beschränkte der Barde sich auf ein Nicken, so heftig dass seine dunklen Haare auf und ab hüpften.
"Bestimmt würde sie dann nicht mehr so traurig aussehen!"

So naiv, dass es schmerzt ...

"Womöglich", antwortete Elliot, klang jedoch nicht ansatzweise so überzeugt wie Indivia. Er war nicht sicher, ob irgendjemand jemals die Trauer und Leere gänzlich aus Emilias Augen verbannen können würde. Sicher aber würde es keinem Liebhaber gelingen. Nicht, wenn sie unter jeder Berührung gefror, bei jedem kühnen Lächeln, das man ihr schenkte, den Blick senkte, bei jedem schmeichelnden Wort verstummte. Eine zarte Blume, die gleich einging, wurde sie auch nur mit einem Tropfen zu
"Ich bin allerdings nicht gerade ein Mann, der Frauen länger als ein paar Nächte beglückt, wenn du verstehst was ich meine."
Was er mit Sicherheit nicht tat.
"Und ihr Herz scheint sich ohnehin nicht für mich zu erwärmen."

"Nein...weiß ich nicht", murmelte Indivia leise, drehte die Geige leicht zwischen seinen Händen und sah durch lange Wimpern auf zu Elliot. Den Kopf wieder leicht schiefgelegt, verwirrt und unschuldig. "Wirklich nicht?"

"Wirklich nicht", stimmte Elliot zu. "Sie verabscheut mich."
Er schaute wieder mit zum Fenster hinaus, sah aber nur seine eigene Reflektion im Glas. Jünger, so war ihm, sah er in dem Moment aus, wenn diese Ratlosigkeit ihm im Gesicht stand. Keinen Lord sah er, nur einen von lächerlichen Eifersuchtsanwandlungen geplagter Junge.

"Hm... Vielleicht braucht sie einfach noch ein bisschen mehr Zeit?", fragte Indivia mehr als das er es wirklich sagte. Er kannte diesen Ausdruck auf dem Gesicht des Lords. Wenn eine seiner Schwestern einen solchen Ausdruck trug, dann hatte er sie meistens gedrückt und gekitzelt.

"Das sollte ich wohl hoffen", seufzte Elliot.
Geduld war eine Tugend, die er nur selten an den Tag legte. Er brauchte sie für gewöhnlich such nicht, schließlich bekam er normalerweise was immer er wollte, ohne lange darauf warten zu müssen. Geduld war etwas für jene Menschen, die sich im Leben anstrengen, abrackern mussten, um jemals etwas darin zu erreichen.
Elliot dagegen hatte alles im Überfluss und daran würde sich vermutlich auch wenig ändern. Von den verhältnismäßig wenigen Pflichtbesuche und dem bisschen Papierkram abgesehen war sein Leben ein Rausch aus Bällen und anderen Festlichkeiten, erlesenstem Wein in seinem Kelch, den schönsten Frauen in seinen Armen.
Emilia war zwar nicht die Einzige, die ihn abwies, wohl aber die Einzige, die es so beharrlich tat.
Und bei weitem die Einzige, von der Elliot sich wirklich wünschte, dass es anders wäre.
"Du kennst sie besser als ich."

"Ich...", nachdenklich tippte Indivia sich gegen das Kinn und legte den Kopf schief, sah mit großen, grünen Augen zu dem Lord. "Wir spielen manchmal Karten aber...ich glaube nicht das ich sie besser kenne als Ihr."

"Dann kennt wohl niemand von uns sie wirklich."
Aber zumindest das gedachte Elliot zu ändern. Das war der Grund, weshalb er nach Hythe reisen würde, einem so verachteten Ort, zu angeheirateten Verwandten, mit denen ihn nichts verband. Um zu erfahren, ob seine liebste "Tante" nicht doch ein weiteres Kind gehabt hatte und ob dieses Kind nicht Emilia war.
Denn vielleicht würde das Wissen über ihre Vergangenheit ihm dabei helfen, die Emilia der Gegenwart zu verstehen.

"Was sehr schade ist", erwiderte Indivia leise, seufzte schwer. Er bedauerte es wohl wirklich. "Aber sie ist doch so nett und schön... Warum wohl mag sie Euch nicht?"

Weil sie hinter meine schöne Maske blicken kann. Weil ein Lächeln sie nicht täuscht.

"Vielleicht gerade weil sie nett und schön ist", gab Elliot in schalkhafter Stimme zurück, denn wenn er eines genoss, dann war es die Tatsache, dass Indivia sich so leicht täuschen ließ. "Vielleicht findet sie, dass jemand wie ich eine Frau mit solchen Reizen nicht verdiene."

"Jemand wie Ihr?", Indivias Stimme hatte wieder diesen leicht zwitschernden Beiklang, etwas dass immer an einen nervösen Singvogel erinnerte, etwas, dass dann auftauchte, wenn er versuchte Dinge zu begreifen, zu erlernen oder zu verstehen, die über seinen winzigen, von Unschuld und Naivität geprägten Horizont hinausgingen.

"Jemand wie ich", widerholte Elliot gelassen, als würde das alles erklären.
Indivia aus dem Gleichgewicht zu bringen, war nicht nur eine geradezu lächerlich einfache, sondern auch überaus lohnenswerte Tätigkeit, vertrieb sie doch immer seine schlechten Launen. Und im Augenblick, nach diesem sinnlosen und frustrierenden Schachabend mit Emilia konnte er ein bisschen Unterhaltung gut gebrauchen.
Also wandte er sich wieder ganz dem jungen Mann zu und sagte lächelnd:
"Aber lass uns nicht weiter darüber sprechen, was für ein abscheuliches Wesen ich bin. Es stimmt mich traurig."
Er musterte den Barden von oben bis unten. Beugte sich dann vor und streckte die Hand aus, kam Indivia näher als es notwendig oder angemessen gewesen wäre, strich flüchtig und sanft über seine gebräunte Wange.
"Erzähl mir lieber, mein Freund, wie es kommt, dass ein Prachtkerl wie du von weiblicher Zuwendung so kalt gelassen wird."

Beinahe augenblicklich wurde Indivias Haut rot und heiß vor Verlegenheit, er sah beinahe panisch überall hin, nur nicht in Elliots Gesicht.
"Ich, äh...ich... ", das Zwitschern nahm zu, verriet wie sehr der Barde sich wand.

Elliots Mundwinkel zuckten von der Anstrengung, die es ihn kostete, nicht laut loszulachen, als er diesem kindlich unschuldigen Geschöpf dabei zuschaute, wie es fieberhaft nach einem Fluchtweg aus dieser Situation suchte. Niedlich war dieses Gebaren, verlockte ihn dazu, Indivia immer weiter zu necken. Einen Moment lang überlegte Elliot sogar, ihn zu küssen, nur um sich an der Reaktion darauf zu ergötzen. Allerdings wäre das womöglich zu viel des Guten und würde ihn zu sehr mitreißen, was nicht gut wäre, wo er doch bald schon zu Bett zu gehen gedachte. Also begnügte er sich mit etwas anderem und so gesellte sich neben der Hand an Indivias Wange noch eine weitere auf seine Schulter.
"Ich bin ganz Ohr, mein Freund. Erzähl es mir."
Wenn die Besorgnis in Elliots Stimme zu künstlich klang, so war er doch sicher, dass sein Gegenüber dies nicht bemerken würde, zu sehr in den Akt des peinlich Berührtseins, des sich Schämens vertieft war.
"Ich bin sicher, dass deine Hände überaus geschickt sind, aber es ist sicher langweilig und einsam, nur sie zur nächtlichen Gesellschaft zu haben."

Nun völlig aus seinem Konzept gebracht, stotterte, wand und murmelte Indivia unzusammenhängende Dinge, Verneinungen, während sein Gesicht heiß und rot und voller Scham wurde, er sich an seinen eigenen unverständlichen Worten verschluckte.

Nun seufzte Elliot schwer und ließ von ihm ab, legte seinen besten, betrübten Tonfall an den Tag, als er sich umdrehte und wieder zum Fenster schritt.
"Ich verstehe.
Du vertraust mir ebenfalls nicht genug, um mit mir darüber zu sprechen."
Ein erneutes Seufzen und er stützte sich mit den Händen auf der Fensterbank ab, schaute nach draußen, konnte vom finsteren Garten aber nichts erkennen. Die Lampen waren gelöscht, hielt sich doch heute niemand dort auf.
"Und das habe ich wohl verdient, mein Freund."

"Wa-!? Aber...nein! bestimmt nicht!", nun klang Indivia verzweifelt, er erdrosselte beinahe seine Geige, hielt sie so fest umklammert und wusste nicht ein, nicht aus. Warum war der Lord plötzlich so bedrückt? "Ich würde Euch ganz gewiss alles erzählen was Ihr wissen wohl, aber ich kann doch nicht Lügen und Märchen erzählen, wenn da nichts ist!"

Nun hätte Elliot beinahe Mitleid gehabt.
Indivia war so unbedarft, dass es schon an Dummheit grenzte, doch an seiner Gutherzigkeit war nicht zu zweifeln, auch nicht daran, dass er sich bemühte. Vermutlich war das seine größte Schwäche. Vielleicht verdammte es ihn dazu, sein Leben lang nicht mehr zu sein, als das exotische Haustier reicher und gelangweilter Herrschaften.
Was Elliot daran hinderte, Reue zu verspüren, war die Tatsache, dass es keinen Unterschied machte - was er selbst unterlassen könnte, würde die Welt freudig an seiner Stelle aufnehmen.
Unschuld existiert, um ausgebeutet oder befleckt zu werden.
"Ist da wirklich nichts?", fragte Elliot indem er sich wieder zu Indivia umdrehte. "Hast du noch nie vor einer Frau gestanden und sie einfach gewollt? Hat du noch nie davon geträumt?"

"Wirklich nicht ", erwiderte der Barde mit einem Urvertrauen in der Stimme, das von seinem noch reinen Wesen zeugte, seiner naiven Sicht auf die Welt und die Absichten anderer.

Beinahe wie ein kleines Vögelchen, das sich an eine hungrige Katze schmiegt.

Es widerstrebte Elliot, doch er musste seinem dämonischen Diener, der sich wieder einmal ungebeten in seinen Kopf geschlichen hatte, zustimmen. Und genau deshalb tat er es nicht.
Ich bin nicht besonders hungrig.
Hast du deine Aufgaben erfüllt, Tharaniel?

"Nun, das ist äußerst schade für dich", antwortete er Indivia.
"Aber ich bin sicher, dass es mit der Zeit noch kommen wird."
Wahrscheinlich schlummerte das Verlangen in ihm einfach noch, darauf wartend, von jemandem geweckt zu werden. Oder es war schon längst wach und er verneinte es einfach.
Jedenfalls konnte Elliot sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass dort nichts war.

Juckt es Euch nicht in allen zehn Fingern herauszufinden ob da nicht doch Lust unter dieser ganzen Unschuld schlummert?
Grinsend verschnürte Tharaniel den letzten Koffer.
Wünscht Ihr noch etwas, Herr?

"Ich... weiß nicht ", murmelte Indivia leise, wand sich und wirkte ein wenig verängstigt von dem Gedanken, die Elliot einfach so aussprach.

Selbstverständlich tut es das.
Und ich bin sehr sicher, dass ich es dem Goldkehlchen eines Tages beweisen kann.

Vielleicht wäre es besser, wenn Elliot auf diese Holzhammer-Methoden verzichtete. Es war amüsant gewesen, die Hure in Indivias Zimmer zu schicken, ihn in Verlegenheit zu bringen war ein stetiger Quell seiner Unterhaltung, doch das alles war nicht sonderlich hilfreich gewesen.
Er nahm sich vor, nach seiner Rückkehr aus Hythe nach einem süßen Mädchen zu suchen, welches er damit beauftragen würde, dem Barden gehörig den Kopf zu verdrehen und ihm nebenbei die wahre Liebe vorzugaukeln. Das würde selbst Indivia weich machen und empfänglich für die Gelüste, die er sich selbst so vehement verwehrte.
"Du musst keine Angst davor haben", tadelte Elliot sanft. "Ich werde dich sicher nicht dazu zwingen, es herauszufinden, mein Freund."

Das ging runter wie Honig.

Beruhigt entspannte Indivia sich wieder etwas, erwürgte nicht mehr seine Geige vor Fluchttrieb, der Blick seiner Augen war wieder ruhiger, sanfter.
"Das ist gut ", murmelte er erleichtert, schenkte Elliot ein Lächeln.

Beinahe hätte ich auch Euch geglaubt.

Oh, du kannst mir ruhig glauben.
Ich gedenke nicht, irgendetwas zu erzwingen, denn das würde mir ja jegliche Spannung nehmen.

"Du würdest das Leben mehr genießen", fügte Elliot hinzu. "Und mich würde es freuen, einen so guten Freund glücklich zu sehen, aber es wäre doch kein wahres Glück, wenn ich dich dazu zwingen müsste."
Doch es kann nicht schaden, ihn ein wenig in die richtige Richtung zu lenken, nicht wahr?

"Ich genieße mein Leben doch schon..." Indivia legte den Kopf schief und wirkte so treu, so fröhlich, so unschuldig mit seinen großen, schimmernden Augen. Unwissend von der Welt.

"Glaub mir", erwiderte Elliot, lächelte dabei schmal und hintersinnig. "Es gibt Dinge im Leben, durch die du in Paradiese gelangen kannst, die sich deiner Vorstellungskraft entziehen, wenn du sie noch nicht kennst."
Zumindest in gewisser Weise entsprach dies sogar der Wahrheit.
Die sinnliche Seite des Lebens war eine der erfreulichen und das Gefühl, welches Elliot verspürt hatte, als er in den Armen einer Frau zum ersten Mal zum Höhepunkt gekommen war, war mit keinem einzigen vorherigen Sinneseindruck vergleichbar gewesen. Doch letztendlich handelte es sich doch um eines der Dinge im Leben, die fader wurden, je häufiger man sich ihnen widmete, die weder lange genug andauerten, noch oft genug wiederholbar waren, um Leid und Schmerzen dauerhaft zu verdrängen.
Meist war der Prozess des Verführens wesentlich interessanter als das Aufeinandertreffen verschwitzter Körper zwischen den Laken, das Stöhnen und Schnaufen, das Ausstoßen falscher, schmutziger Wörter.
Elliot bereute nicht, seine Unschuld verloren zu haben, und seine Umtriebigkeit machte ihm nicht zu schaffen, doch das bedeutete nicht, dass er darin den Sinn des Lebens sah.
Es war nur eine weitere der vielen Annehmlichkeiten, welche er sich gönnte, um die Zeit seines Lebens, die in langsamen und unaufhaltsamen Tropfen davonfloss, möglichst angenehm zu füllen.

"Was für Dinge meint Ihr?"
Indivia ging davon aus, dass Elliot etwas anders meinte als er sagte. Aber den Sinn hinter den Worten... Der entzog sich ihm.

Er weiß nicht was Ihr meint... Ein wunder dass seine Unschuld noch nicht sämtliche Succubi angelockt hat.

Das Rätsel sollte einfacher für dich zu lösen sein, als für mich. Schließlich musst du dich besser mit Dämonen auskennen.
"Oh, da gibt es Einige."
Lachend schritt Elliot zu seinem Schrank und holte eine Flasche Branntwein und zwei Gläser heraus.
"Frauen mögen wie zerbrechliche, frigide Geschöpfe wirken und sich am Anfang oft zieren, aber mit der richtigen Anleitung werden sie durchaus einfallsreich darin, wie sie ihre weiblichen Gaben zum Einsatz bringen können. Oder ihre Hände. Oder ihre Münder."
Er leckte sich nach den letzten Worten anzüglich über die Lippen. Dann füllte er eines der Gläser einen Finger breit mit der klaren, bernsteinfarbenen Flüssigkeit und reichte es Indivia.
"Manche Frauen lassen dich auch von hinten an sie heran. Aber das solltest du erst versuchen, wenn du mehr Erfahrung hast."

Ohne Zögern nahm Indivia das Glas an, setzte es aufmerksam lauschend, jedes einzelne Wort Elliots aufsaugend an seine Lippen. Er fragte nicht, wunderte sich nicht was das für eine Flüssigkeit war, vertraute dem Lord blind. Genauso gut hatte es Gift statt Branntwein sein können, Indivia hatte es trotzdem getrunken, eben weil Elliot es ihm gegeben hatte. Und der Lord würde ihm doch nicht schaden wollen. Schließlich waren sie ja Freunde!

Er versteht nichts.

Das hätte mich auch überrascht.
Sag, Tharaniel, wie kommt es eigentlich, dass du dich so gut damit auskennst?

Gab es Herrinnen, die dich mehr gefordert haben als ich es tue?
Elliot nippte an seinem Glas, betrachtete Indivias ahnungsloses Gesicht und überlegte, wie viel er sagen müsste, damit er verstand.
"Es kann auch mit zwei Frauen zur gleichen Zeit durchaus interessant werden, aber die meisten sind nicht willig genug dafür.
Dafür muss man sich meistens im Hafenviertel umschauen."

Meine erste Herrin war eine Hure, die aussteigen wollte. Ich sollte über sie wachen.

Der Alkohol brannte scharf auf Indivias Zunge, er verzog das Gesicht und stellte das Glas ab. Er keuchte beinahe, schmeckte für einen Moment gar nichts außer kaltbrennender Flüssigkeit. Dann versuchte der junge Barde rasch seine Abneigung zu verstecken.
"Ich...äh...", heiße Schamesröte kroch unter Indivias Haut, färbte seine Wangen, "… verzichte."

"Sicher."
Elliot lächelte süffisant in sein Glas hinein und beobachtete voller Genugtung, wie Indivias Haut im Gesicht einen noch dunkleren Ton annahm. Es war faszierend, mit welcher Treffsicherheit er derlei Reaktionen herbeirufen konnte.
"Zwei von ihnen würden dich ja nur überfordern.
Schließlich solltest du erst lernen, auch nur mit einer umzugehen."
Interessant. Dann hast du sicher einiges gelernt.
Vielleicht sollte ich damit aufhören, mein Geld und meine Zeit an die Huren der Stadt zu verschwenden und einfach dich beauftragen.
Was hältst du davon?

Gar nichts.
"Ich...habe keinen Bedarf", murmelte Indivia nun bestimmt und wandte sich ab, sammelte seine Geige auf und wandte sich dann langsam ab. "Gute Nacht, Lord Ashsteel..."

Wie bedauerlich.

"Schlaf gut, mein Freund."
Elliot wartete, bis Indivia die Tür hinter sich zugezogen hatte, dann leerte er sein Glas und begann, sich zu entkleiden.
Ich habe wohl einiges an meinem Charme verloren. Vielleicht werde ich alt.

Herr, Ihr solltet es dem Goldkehlchen gleichtun.
Tharaniels bleiche Gestalt war lautlos aus den Schatten getreten, die Hände hinter dem Rücken verschränkt und verneigte sich leicht, spöttisch. Laut fuhr er fort.
"In einigen Stunden werdet Ihr aufbrechen."

Was du nicht sagst ...
Elliot bedachte seinen Diener mit einem herablassenden Lächeln.
"Ausnahmsweise habe ich mich nicht ausgezogen, weil ich auf ein Stelldichein mit dir hoffe."
Und mit diesen Worten schlüpfte er unter seine Bettdecke, denn es war in der Tat an der Zeit, dass er sich etwas Schlaf gönnte.
In der Kutsche würde er reichlich wenig davon erhalten.






zuletzt bearbeitet 04.06.2015 13:47 | nach oben springen
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