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02: Ein unverkäufliches Eichhorn

in Herbst 520 08.06.2015 22:50
von Glacies Citris Herzog | 15.151 Beiträge

Das Geschäft war gut gelaufen.
Lady Lucia hatte Zephyr an diesem Abend ins Gasthaus geschickt, wo ein potentieller Käufer - anscheinend ein reisender Magier - auf ihn warten würde und tatsächlich war es dem Eiselfen gelungen, alle mitgebrachten Artefakte gegen eine entsprechende Anzahl an Goldmünzen zurückzugeben. Seine Herrin würde zufrieden mit ihm sein.
Eigentlich wäre er auch schon längst zu ihr zurückgekehrt, doch der Abend war warm, beinahe noch sommerlich und der Apfelwein, den die junge Schankmaid ihm angeboten hatte, hatte Zephyr dann doch dazu bewegt, noch ein wenig zu bleiben.
Gedankenverloren saß er nun an einem Tisch im hinteren Teil des Schankraums, ein Glas mit dem lieblichen Getränk vor sich und Aria auf seinem Schoß. Dann und wann gönnte er auch dem Eichhörnchen einen Tropfen, doch das meiste behielt er für sich. Ihm wäre schließlich nicht geholfen, wenn die Einzige, die sein Leid teilte, an einer Alkoholvergiftung starb.

Lautes Gelächter, herzhaft und rau schallte durch den Raum, mehrere Leute betraten die Gaststätte, die meisten große, muskelbepackte Männer oder jene mit der drahtigen, zähen Figur eines Binsenrohrs.
"Macht Platz, ihr Arschlöcher!" Lachend trat die Besitzerin der Stimme gegen den Oberschenkel eines Mannes, entlockte ihm mit ihrem hölzernen, hohen Absatz ein dumpfes Grunzen. Rote, dicke Locken tanzten, hüpften auf und ab, während goldene Ringe klirrten, Anna sich an ihren Männern vorbei kämpfte. Der Wirt blickte ein wenig alarmiert, doch als er sah, dass die junge Frau ihre 'Begleiter' anscheinend gut unter Kontrolle halten konnte, wurde seine Miene wieder stoisch.
Erst als das Bier kühl und angenehm ihre Kehle hinabrann, den Geschmack von Salz, Schweiß und Meerwasser für einen Moment von der Zunge spürte, gestattete Anna sich, einen prüfenden Blick auf die anderen Gäste zu werfen. Als sie etwas sah, dass ihr Interesse weckte, zögerte sie nicht, schlenderte mit wiegenden Hüften und vollem Bierhumpen zu dem Tisch.
"Wie viel für das Scoatel?"

Überrascht blickte Zephyr auf, als eine weibliche Stimme sich offenbar an ihn richtete.
Er schaute in das Gesicht einer Frau, deren Volkszugehörigkeit er nicht bestimmen konnte. Durchaus attraktiv war sie mit den roten Locken, der sonnengebräunten Haut und dem hübschen Mund, die Narbe in ihrem Gesicht und die Augenklappe über ihrem einen Auge gaben ihr etwas Besonderes, Verwegenes. Es hatte eine Zeit gegeben, zu der Zephyr sich bemüht hätte, die Gunst dieser Frau zu erlangen. Diese Zeit war lange vorbei und er hoffte inständig, dass sie kein Interesse an ihm hegen würde - denn wenn es schon unangenehm war, Gelegenheiten verstreichen zu lassen, war es geradezu schmerzhaft, sie strickt fortwerfen zu müssen.
"Wie meinen?"
Sanft streichelte Zephyr über Arias Kopf, denn er spürte, wie sich ihr Fell sträubte, sah, wie sie misstrauisch die Frau musterte.

Kichernd streckte Anna die Hand aus, als wollte sie das Eichhörnchen berühren oder das flauschige Fell streicheln. Breit grinste sie auf, stützte eine Hand auf die Tischplatte und lehnte sich vor, so dass der Elfenmann einen wunderbaren Ausblick in die Weite ihres Ausschnitts haben würde.
"Das kleine Biest, da. Nussnager." Als ihre Worte nicht auf Verständnis trafen, verdrehte sie ihr gesundes Auge. "Eichhorn."

"Vorsicht!", warnte Zephyr noch, doch es war bereits zu spät.
Aria hatte bereits nach der Fremden geschnappt und in ihren Finger gebissen. Hastig packte er das Eichhörnchen und zog es von ihr weg.
"Entschuldigt bitte ... und Aria steht nicht zum Verkauf."
Aber es war ohnehin zweifelhaft, ob die Frau nun immer noch Interesse an ihr hatte.

Verdutzt starrte Anna auf ihre blutigen Finger, zischte vor Schmerz auf und steckte sich den blutigen Finger in den Mund. Als sie ihr eigenes, salziges Blut auf der Zunge schmeckte, verzog Anna erst das Gesicht, dann, als sie ihre Finger an der Hose abwischte, lachte sie heiser auf.
"Ein keckes, kleines Biest." Breit grinsend sah die Piratin zu dem Eichhörnchen herab. "Eine richtige Zicke, wie ich’s mag."

"Eine Prinzessin", korrigierte Zephyr lächelnd und streichelte sanft ihren weißen Bauchpelz. "Wenn auch eine launische."
Diese Worte ernteten ihm ein aufgebrachtes Zischen, aber keinen Biss. Aria biss ihn nie, nicht einmal auf verspielte Weise, wie sie es so gerne getan hatte, bevor sich für sie alles verändert hatte.
Vielleicht zeigte das auch am besten, wie sehr sich ihre Beziehung verändert hatte.

"Ich sag auch nicht zu einer Prinzessin nein", Anna grinste erneut, ehe sie sich abrupt aufrichtete. Unter ihren Männern war über Alkohol und Würfelspiel ein handfester Streit ausgebrochen, der im fliegenden Fäusten und Stuhlbeinen ausartete.
Einen Strang Wüster Flüche ausstoßend wirbelte Anna einem menschlichen Wirbelsturm gleich zwischen die Streitenden. Fäuste flogen und trafen Geräuschvoll auf Fleisch und nicht alle unterdrückten Schmerzenslaute waren aus männlichen Kehlen.
"Und da unten bleibst du! ", fauchte Anna zornig, drückte den Mann mit dem Stiefel wieder zu Boden. Sie wirkte etwas zerzaust, ihre Augenklappe hatte sie im Getümmel verloren, durch das schieben und drücken vieler Leiber zu gleichen Zeit war ihre Bluse verrutscht, offenbarte mehr als das sie verhüllte.
Das Grinsen kehrte in ihr Gesicht zurück, sie strich sich das Blut aus den Mundwinkel, wo sie im Eifer des Gefechts auf ihre eigenen Lippen gebissen hatte.
"Nicht erhebenderes als eine gute Schlägerei zum Bier ", lachend trank sie, ehe sich ihr Blick auf den Elfen fixierte. Das verletzte Auge schloss sich weder richtig, noch konnte sie es so weit aufreißen wie das gesunde. Die Pupille war starr und klein inmitten von hellgrün.

"Das glaube ich Euch", erwiderte Zephyr höflich, obwohl er selbst sich sein Leben lang aus so ziemlich allen Schlägereien herausgehalten hatte. Aber dass diese Frau nun einmal anders gestrickt war, sah man ja gleich auf den ersten Blick. Rau, wild und offenbar nicht allzu sehr um ihre Sittsamkeit bemüht. Zumindest machte sie keine Anstalten, ihre Kleidung zurecht zu zupfen, um die entblößte Haut ihres Oberkörpers wieder zu bedecken.
Er fühlte sich unweigerlich an seine Herrin erinnert, die sich an warmen Abenden manchmal nicht einmal darum bemühte, ihre Brust zu bedecken. Sadas musste ein glücklicher Mann sein.
Zephyr nippte an seinem Apfelwein, legte den Kopf schief und schaute in die ungleichen Augen der Frau.
"Erlaubt mir die Frage: Aber was wollt Ihr eigentlich mit einem Eichhörnchen?
Ihr seht mir nicht wie eine Frau aus, die ein Tier zu ihrem Schutz braucht."

Anna hob eine Augenbraue, ehe sich ein lauerndes Grinsen auf ihre Lippen schlich. Sie lehnte sich zurück, die Hände hinter dem Kopf verschränkt und breitbeinig wie ein Mann auf dem Stuhl faulenzen, dachte sie gespielt ernst nach, erlaubte sich einen kleinen Scherz.
"Ich brauch kein Schutz, ich kann verdammt gut selbst auf mich aufpassen. Aye, so wahr ich die Rote gebannt werde. "

"Das ist tatsächlich ein furchteinflößender Titel", gab Zephyr mit einem feinen Lächeln zu und nippte erneut an seinem Apfelwein. "Und sicher passend für eine Frau wie Euch."
Besänftigend strich er über Arias Rücken, denn sie warf der Frau stechende, feindselige Blicke zu.
"Aber das beantwortet meine Frage nicht."

Abrupt setzte Anna sich auf, die spielerische Laune verflogen, stattdessen brannte Feuer in ihren Augen, gefährlich und wild. Zorn. Er schien von Anna auszugehen wie ein feiner, roter Nebel.
"Steck dir deine Antwort so tief in den Arsch, dass du dir die Ohren von unten kratzen kannst."

"Nun, das ist nicht, was ich mit meinen Antworten zu tun pflege."
Nachdenklich musterte Zephyr die Frau, die sich "die Rote" nannte, hielt Aria dabei mit sanfter Gewalt fest, damit sie sich nicht auf diese stürzte und ihr Gesicht zerfleischte.
"Verzeiht, es war nicht meine Absicht, Euch zu beleidigen", fügte er schließlich hinzu. "Ich muss Euch falsch eingeschätzt haben. Das tut mir leid."
Er leerte sein Glas und winkte die Schankmaid heran, um zu zahlen.

Zischend wandte die Piratin sich ab, riss ihre Augenklappe aus der Hand eines Mannes, der an Sie heran getreten war.
"Schluss mit saufen! ", donnerte ihre Stimme durch den Raum. Sie stauchte ihre Männer zusammen, scheuchte sie allein mit Worten und einigen vulgären Gesten aus der Wirtschaft. Einer der eher schlankeren Männer knurrte leise in Zephyrs Richtung.
"Nur die Schuld von diesen Drecksspitzohr. Wenn der Anna nicht beleidigt hätte, könnten wir weiter saufen "

Zephyr hatte kein gutes Gefühl bei der Sache und beschloss, nachdem er gezahlt hatte, durch den Hinterausgang zu verschwinden. Er mochte nicht völlig hilflos sein, aber das Risiko, sich mit einer Bande rauflustiger Seemänner anzulegen, wollte er dann doch nicht eingehen.
Und auch auf die Stadtwache wollte er sich nicht zu sehr verlassen ...

Sie wartete am Hintereingang. Die Bluse wieder zurecht gerückt, das verletzte Auge verborgen hinter schwarzem Leder ihrer Augenklappe, lehnte Anna an der Wand. Fixierte Zephyr mit nun wieder ruhigem Blick.

Wie es schien, war die Idee, den zweiten Ausgang zu verwenden nicht gerade brillant gewesen. Wenigstens nicht brillant genug, um unangenehmen Situationen zu entgehen.
Zephyr legte den Kopf schief, verschränkte die Arme und warf der Frau einen fragenden Blick zu, wartete darauf, dass sie etwas sagte.
Gelassen wirkte er, doch er war gefasst, jeden Moment einem Schlag auszuweichen oder einen Zauber zu wirken, der sie von den Füßen reißen würde, sodass er verschwinden konnte. Vielleicht in seiner menschlichen Gestalt, vielleicht auch lieber in der einer Blaumeise oder eines Eichhörnchens.
Aria saß auf seiner Schulter, nach Außen still und ruhig wie er selbst, doch er wusste, dass sie, ebenso wie er selbst innerlich darauf vorbereitet war zu handeln. Die Zeit hatte sie beide ein gewisses Zusammenspiel gelehrt, wenn auch sonst so viel verloren gegangen war.

"Ich schulde dir noch eine Antwort. " Anna grinste breit und selbstbewusst. Sie strich sich die schweren Locken aus dem Gesicht, leckte sich die Lippen. Ihr Blick war sowohl kokett als auch berechnend. "Ich geb zwar einen scheiß auf Höflichkeit und Diplomatie ist etwas, dass besser quer in den Arsch eines Mannes gehört, aber Hey, ich bin nicht feige. Und warum? Findest du nicht, dass ich mit einem Nussknacker auf der Schulter unwiderstehlich wirken würde? "

Zephyrs Haltung entspannte sich ein wenig und er lachte leise.
"Ja, das würdet Ihr mit Sicherheit", gluckste er. "Und unvergesslich auch."
Allerdings bezweifelte er, dass letzteres eine Veränderung darstellen würde. Die Frau wusste jetzt schon, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

"Aye.", Anna lachte herzhaft auf, stützte die Hände auf die Hüften und neigte sich leicht vor. "Fürchtet Anna, die Rote, schrecken der Meere und Hexe der Sirenen!"

"Zephyr", stellte er sich vor. "Zephyr Dustkeep, meistens nicht zum Fürchten."
Zephyr Dustkeep, der jetzt besser verschwinden sollte.
Er wusste die Gesellschaft von Frauen zu schätzen, doch es hatte Gründe, weshalb er sie normalerweise mied. Ihren Griffen entglitt oder sie von sich stieß.
Gute Gründe, die er besser nicht vergessen sollte, auch wenn eine Frau mit solch rauem Charme vor ihm stand.

Gierig leckte Anna sich die vollen Lippen, trat langsam näher, mit wiegenden Hüften und dem gewissen wollüstigen Funkeln in ihrem sichtbaren Auge.
"Also, Zephyr, der nicht zum fürchten ist", sie schnurrte mit rauer Stimme die Worte. "Jetzt schuldest du mir eine Antwort~"

Er hätte damit rechnen müssen ...
"Was für eine Antwort schulde ich dir?", fragte er langsam und wich ein wenig zurück.
Es war nicht so, dass er nicht versucht wäre, auf Anna einzugehen, aber er konnte einfach nicht.
Vielleicht kam es da ganz gelegen, dass Aria schon wütend in sein Ohr keckerte, denn die Laute von Eichhörnchen waren nun einmal alles andere als stimulierend.

Annas Lachen unterbrach den erotischen Zauber, sie wandte sich ab und winkte über die Schulter zurück.
"Ein andres Mal."

"Gerne?", murmelte Zephyr unsicher, doch er war sicher, dass Anna ihn nicht mehr gehört hatte.
Vielleicht war das auch besser so.
Und zu einem nächsten Mal sollte es wirklich nicht kommen. Sonst würde er sich noch verführen lassen und das würde er nur bereuen.
Also wandte er sich ebenfalls ab und huschte unter der Abendsonne durch die Straßen zurück zum Haus seiner Herrin, die ja immer noch auf seinen Bericht und ihr Geld wartete.






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