Leise kicherte Lucille.
Er starrte dem Elfen furchtlos in die Augen.
Wovor sollte er sich schon fürchten?
Da gab es nichts, was wirklich schlimm für ihn sein konnte.
Nichts.
Die Finger des Gefallenen zuckten leicht und aus seiner eigenen Wunde schoss mit ein dünner Blutstrahl, durchbohrte mit unglaublicher Geschwindigkeit zuerst die Handfläche, dann die Schulter des Mischlings.
Nichts.


"Lass ihn los!"
Lucretia bebte, vor Zorn und auch vor Anstrengung, war sie doch bei dem ersten verdächtigen Geräusch hergerannt.
Und tatsächlich hatte sie ihn hier gefunden.
"Lass ihn LOS!!!"
Ihre Augen glühten rot im Dämmerlicht.

Lucretia zögerte nicht.
Sie ignorierte alles, was geschehen war.
Sie ignorierte auch das manische Lachen der silberhaarigen Frau.
Sie rannte einfach nur auf Nilay zu, stieß ihn von ihr fort und hieb mit einem Schwert nach ihm.

Lucretia rannte weiter.
Ihre täglichen Übungen zahlten sich aus.
Als sie Nilay fast erreicht hatte, schnellte sie vorwärts, überholte ihn und versperrte ihm den Weg.
"Bist du jetzt auch noch taub!?"

In aller Seelenruhe richtete Lucille sich auf und zog weiter an dem Faden, hielt ihn fest.
Immer mehr Blut strömte aus der Wunde des rennenden Mannes hervor.
Der Gefallene lächelte.

Das Halbblut sollte sie nicht unterschätzen!
Lucretia wirbelte mit einer fließenden Bewegung herum und rammte ihr rechtes Schwert in Nilays Schulter.
"Hör auf, Mischblut!
Oder such dir jemanden, der sich wehren kann!"

Lucille kicherte leise.
Einen Blutfaden zertrennen zu wollen war in etwa so effektiv wie der Versuch, einen Wasserstrahl zu durchtrennen.

Lucretia schaffte es gerade noch, einen blutigen Kratzer auf seinem Handrücken zu hinterlassen, ehe sie zurücktaumelte.
Sie fasste sich aber schnell wieder und folgte Nilay weiter.
"Was, hast du Angst, dass ich mich wehre!?"

Lucille lachte leise, spürte seine Wunde heilen, während das Leben immer weiter aus dem Mann floss.
Es war bald aus für ihn.
Nur wenige Momente noch, ehe er zusammenbrechen würde.
Schade eigentlich.

"Vorher würde ich dich töten!", zischte Lucretia und stellte sich vor Nilay und die Fremde, die Schwerter fest in beiden Händen.
"Sagtest du nicht, dass du es hasst, so zu sein!?"

Lucille war fast ein wenig enttäuscht.
"Ich hatte mehr erwartet ..."
Er lächelte.
"Nun, dann werde ich mich ausnahmsweise dazu herablassen, dir einen Wunsch zu erfüllen und zu gehen."
Er trat einen Schritt zurück, breitete seine Flügel aus und verschwand im Himmel.
Nur eine einzelne Feder blieb zurück.
Sie sah aus wie blutgetränkt.

Ailis -> Ankunft

Es war nicht schwer gewesen, den beiden zu folgen.
Ein Junge mit einem Wolf fielen eben in einer Stadt auf.
Und sonst gab es in dieser Richtung nicht viel, das man hätte besuchen können.
Als Ailis Leon mit Fire erblickte, näherte sie sich zögerlich.
"Darf ich mich zu euch setzen?", fragte sie leise.
"Ich habe diesmal keine Honigmilch dabei ..."

Ailis wich zurück, ihre Augen schimmerten verletzt und unsicher.
"Hätte ich nicht kommen dürfen?", fragte sie leise und geknickt.

Erleichtert atmete Ailis auf.
Sie hatte schon befürchtet, dass er sie fortschicken würde.
Dass er sie zurückweisen und dann verlassen würde, wie alle anderen.
Sie wusste noch immer nicht, welches Geheimnis sie nun genau an die Stadtwache weitergegeben hatte.
Aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie es wirklich aus bösem Willen getan hatte ...
"Darf ich das Geheimnis wissen?", fragte Ailis sanft und legte eine Hand an Leons Arm.
Vielleicht würde sie dann auch wissen, was ihn so traurig machte.

"Sein Geheimnis, dass er eine Bestia ist?"
Ailis setzte sich, winkelte ihre Knie an und stützte ihre Hände darauf ab.
Sie erinnerte sich an Rosalies Worte und auch an den aufrichtigen Zorn in ihren Augen.
"Ich glaube, dass sie es getan hat, weil sie es wirklich für das Richtige hielt", antwortete sie leise.
Ailis wagte nicht, aufzublicken.
Sie hatte plötzlich Angst, dass sich Leons Wut gegen sie richten würde.
Noch nie hatte sie ihn so außer sich erlebt.
So traurig, so wütend, so ungehalten.

"Ich weiß es nicht", erwiderte Ailis und kauerte sich enger zusammen.
"Und ich weiß auch nicht, was das Richtige war.
Ich glaube nur, dass sie es dafür gehalten hat."
Einen Moment lang schwieg die junge Frau, das rote Haar fiel in ihr Gesicht, verdeckte ihre Augen.
Erst nach einer Weile wagte sie, wieder in die Augen des Jungen zu schauen.
"Darf ich dich etwas fragen, Leon?"

Ailis wagte kaum, zu atmen, während sie in seine Augen schaute, den argwöhnischen Blick sah.
Er wollte ihr nicht antworten.
Er vertraute ihr nicht.
Bis zu diesem Moment hatte Ailis das gar nicht in Betracht gezogen.
Und auch nicht, wie weh es ihr tat.
Trotzdem fragte sie nach, selbst wenn es bedeuten würde, dass er sie zurücklassen würde.
"Warum bist du so traurig?"