Büro des Hauptmanns

"Dich in einen Leoparden verwandelt und in dieser Gestalt eine junge Frau verletzt zu haben."
Hauptmann Garret Burfield beugte sich etwas vor.
"Oder willst du das leugnen?"

Büro des Hauptmanns

"Welche Rechte du hast, entscheidest nicht du selbst", erwiderte der Hauptmann kalt.
Er nickte der Frau zu.
"Ihr habt Eure Antwort."
Die Frau lächelte weiter, mit ihrem sonderbar zeitlosen Gesicht und ihren toten Augen.
"Die habe ich", sagte sie mit einem leichten, fremdartigen Akzent.
Dann trat sie auf Leon zu.

Büro des Hauptmanns

Kaum hatte Alexander die Türklinke berührt, schloss sich die Tür auch schon wieder, wie von selbst.
Mit einem Mal schien jede Farbe aus dem Raum zu weichen, jede Bewegung, jedes Geräusch, jedes Leben.
Einzig die Frau blieb davon unangetastet, stand weiter dort, ein trüber Farbtupfer in einer monochromen Welt.
Langsam schritt sie auf die Bestia zu, während alles um sie gelähmt war, sich nicht rühren, nicht einmal blinzeln konnte.
"Du kennst sie nicht", sagte die Frau, ihre seltsame Stimme der einzige hörbare Laut, leise und doch in den Ohren schmerzend.
Ihr Blick grub sich in Alexander, schien tief in seiner Seele zu graben, sie zu beflecken, Kälte und Tod darin zu verbreiten.
"Doch das spielt keine Rolle."

Büro des Hauptmanns

"Ich fürchte, dass du nicht begreifst, worum es geht.
Aber das spielt keine Rolle."
Die Frau musterte Alexander, folgte jeder seiner Bewegungen.
Sie lächelte breit.
"Du bist widerstandsfähig."
Sie deutete mit einer kleinen Geste auf den Hauptmann, der starr und bewegungslos an seinem Platz saß.
"Lass mich dir helfen."
Sie streckte ihre Hand aus, hielt die Fläche direkt vor Alexanders Gesicht.
"Schlaf."
Dunkle Wellen strömten aus ihrer Hand und hüllten die Bestia ein.

"Du solltest jetzt besser nach Hause gehen", schlug der Wachmann Rosalie vor.
"Oder besser noch, zu einem Arzt um die Wunde versorgen zu lassen."
Das würde wohl kein Problem sein.
Die Heilerschüler waren meist sehr enthusiastisch.
"Wenn es etwas Neues gibt, werde ich mich bei dir melden."
Rosalie lächelte den Wachmann an.
"Vielen Dank", sagte sie und drückte kurz seine Hand.
"Ich werde warten."
Dann drehte sie sich um.
Hoffentlich würde die Bestia ein Strafgeld zahlen müssen.
Das würde ihr am meisten helfen.

Rosalie -> Akademie, Lehrräume


Lawrence schaute dem Mädchen nachdenklich hinterher, schüttelte dann leicht den Kopf und begab sich wieder an seinen Arbeitsplatz.
Gewissenhaft notierte er, was heute geschehen war - viel hatte er ansonsten auch nicht zu tun.
Nur einmal blickte er auf, als er den Bestia-Jungen in Begleitung der Frau durch den Flur auf den Ausgang zuschreiten sah.
Der Wachmann runzelte die Stirn, sagte aber nichts.
Es kam ihm seltsam vor, dass er einfach so gehen gelassen wurde und dann auch noch in Begleitung dieser Fremden ...
Plötzlich erstarrte Lawrence, umklammerte reflexartig den Griff seines Schwertes.
Seine Sinne mussten ihn täuschen - denn einen Moment lang war ihm, als seien die Augen des Jungen ebenso leer und tot wie die der seltsamen Frau.

Alexander -> Akademie, Forschungsbereich

Diesen Nachmittag, Abend und diese Nacht würde Lawrence keinerlei Verpflichtungen haben.
Einerseits beruhigte ihn das - viel zu tun hätte er ohnehin nicht gehabt und obwohl er nicht dazu verpflichtet war, seine Rüstung zu tragen, war seine Uniform ihm noch immer eine ganze Ecke zu warm. Er konnte kaum erwarten, etwas leichteres anzulegen.
Andererseits bedeutete dies, dass er sich eine Beschäftigung suchen müsste, um den Rest des Tages zu überbrücken.
Und das endete selten gut.
Meist bedeutete es einfach, dass er zu lange in einer Taverne saß, zu viel trank und zu viel über der Vergangenheit brüten würde.
Andererseits war es nicht so, als ob letzteres durch die Abstinenz von Alkohol verhindert werden könnte.
Nein, seine Vergangenheit verfolgte Lawrence auf Schritt und Tritt - selbst wenn sie gerade nirgends zu sehen war, so war sie doch jederzeit bereit, ihn einzuholen.
Und wenn sie es tat, dann würde er nicht mehr in dieser Welt leben.
Dann würde jedes Schwert wieder bereit sein, ihn zu durchbohren, jeder kräftige Mann ein gefallener Freund, jeder Heranwachsende dieser Junge.
Und in jedem Paar großer, grauer Augen würde Lawrence ihre Augen sehen.
Und das wäre am Schmerzhaftesten, denn dann würde er sich an das Glück erinnern, sie wieder ganz nah bei sich fühlen.
Und dann würde er erwachen und feststellen, dass es fort war, dass sie fort war, und dass er nicht da gewesen war, als sie gegangen war. Dass er nichts getan hatte, versagt hatte und nun nie wieder etwas tun könnte.
Und auch, dass nichts zurückkehren würde, wie sehr er es sich auch wünschen mochte.

Lawrence -> Hafenviertel, Gasthaus "Zur Wasserschlange"

Lawrence -> Ankunft

Flur

Mit blassem Gesicht schloss Lawrence die Tür hinter sich, ließ den Raum zurück, in dem man die beiden Leichen aufbewahrt hatte.
Als er einen Moment lang die Augen schloss, traten sie wieder vor ihn, die Bilder brennender Dörfer, klirrender Schwerter, fliehende Frauen mit Todesangst im Blick und Kinder, an deren Leichen sich schon die Krähen gütlich getan hatten.
Lawrence atmete tief ein, schlug seine Augen wieder auf, bezwang die Bilder des Grauens.
Sie hatten im Hier und Jetzt nichts verloren, störten ihn nur bei seiner Arbeit.
Zwei Tote waren es.
Ein Mann, so verstümmelt, dass kaum zu sagen war, woran er letztendlich gestorben war und womit ihm die Wunden geschlagen worden waren.
Und ein Mädchen, blass, hellhaarig, gerade erst an der Schwelle des Erwachsenwerdens.
Ihr Bauch war aufgerissen, das Innere fehlte zum Großteil.
Und wer oder was auch immer dafür verantwortlich war, war noch nicht gefunden.

Flur

Seufzend setzte Lawrence sich in Bewegung.
Er musste mehr in Erfahrung bringen - und dafür würde er wohl Nachforschungen anstellen müssen.
Als er die leichtbekleidete Wachfrau erblickte, blieb er stehen.
"Bist du eingeteilt?", fragte er sie.
Im Augenblick sollten eigentlich alle hochbeschäftigt sein.

Flur

Lawrence nickte.
"Ich habe die Anweisung, jeden Freistehenden dazuzuholen."
Er deutete auf sein Arbeitszimmer.
"Dort kann ich dir einen Überblick geben."

Lawrence’ Arbeitszimmer

Stumm beobachtete Lawrence die junge Wachfrau.
Deutlich konnte er ihr Missfallen sehen, kommentierte es aber nicht.
In diesem Alter hatte man eben noch andere Vorstellungen an das Leben, kannte die Welt noch nicht gut genug.
Wie man auch an Aleksandras Kleidung erkennen konnte.
"Heute Morgen wurden zwei Leichen im Spiegelwald gefunden", begann Lawrence, "ein Mann und ein junges Mädchen, beide noch unerkannt.
Bei dem Mann ist unklar, ob ein Mensch oder ein Tier ihn getötet hat - er ist vollkommen verstümmelt.
Das Mädchen scheint von einem Tier angefallen worden zu sein."
Er reichte Aleksandra eine Karte, in welche die Fundorte aufgezeichnet worden waren.
Besonders weit auseinander lagen sie nicht.
"Einige Suchtrupps durchkämmen im Augenblick den Wald.
Wie du vielleicht weißt, sind in letzter Zeit einige Menschen verschwunden - also wird auch nach weiteren Leichen gesucht."
Er schaute die Wachfrau fest an.
"Unsere Aufgabe ist es, uns in der Stadt umzusehen, falls wir es nicht mit einem Tier zu tun haben."
Warum Hauptmann Burfield ausgerechnet ihm diese Aufgabe übertragen hatte, wusste Lawrence nicht.
Bei den Suchtrupps wäre er sicher besser aufgehoben gewesen.
Zusätzliche Informationen hatte er auch nicht erhalten ...

Lawrence' Arbeitszimmer

"Beides", antwortete Lawrence ruhig.
"Gestern war ein junger Schmied wegen einer anderen Angelegenheit hier, der Hauptmann ließ ihn aber bald wieder gehen.
Er ist insofern leicht verdächtig, dass er eine Bestia ist, die sich in einen Leoparden verwandeln kann - und einige der Wunden sehen aus, als könnten sie von einer großen Katze stammen.
Und zwar nicht von einem Luchs oder einer Wildkatze."
Der Junge hatte auf Lawrence zwar nicht gerade wie ein Mörder gewirkt, allerdings spielte das jetzt keine Rolle.
Er hatte Anweisungen und wenig Anhaltspunkte.
Langsam erhob der Wachmannn sich.
"Er sollte noch einmal befragt werden.
Selbst wenn er nichts mit der Sache zu tun hat, kann er vielleicht Hinweise geben."

Lawrence' Arbeitszimmer

"Unglücklicherweise benötigt niemand das Jagdverhalten eines Tieres, um Menschen anzugreifen oder zu töten", seufzte Lawrence.
"Sonst hätten wir wohl mehr Zeit für Taschendiebe und keine Morde mehr.
Solange mir niemand beweist, dass Bestiae keine niederen Beweggründe - ob nun tierischer oder menschlicher Natur - haben können, werde ich mit ihnen umgehen, wie mit allen anderen Menschen auch."
Er schritt auf die Tür zu, nickte Aleksandra zu und sagte auf nicht unfreundliche Weise:
"Ich werde dann am Eingang warten, bis du deine Arbeitskleidung angelegt hast."
Mit dem Anflug eines Lächelns fügte er hinzu:
"Und als Wildkatzen versteht man hier kleine Raubkatzen, die unseren Haustieren nicht unähnlich sehen.
Wären Leoparden wie sie, müssten wir uns kaum Sorgen darum machen, dass sie jemanden anfallen."
Mit diesen Worten verließ er den Raum.

Eingangsbereich

Geduldig hatte Lawrence am Eingang auf Aleksandra gewartet.
Er nickte ihr knapp zu, als sie nun auf ihn zu schritt.
Wirklich glücklich war er nicht mit seiner Partnerin.
Sie ließ sich wenig anmerken, aber Lawrence spürte, dass sie ihm nicht sonderlich freundlich gesonnen war.
Und der bevorstehenden Aufgabe genausowenig.
Er konnte die Gründe dafür nur erraten und er war schon lange aus der jugendlichen Angewohnheit herausgewachsen, es als Angriff zu verstehen, wenn jemand ihn nicht mochte.
Aus Erfahrung kannte er aber die Folgen, die es nach sich ziehen konnte, wenn jemand seine Arbeit nicht ernst nahm ...
Nun, er konnte sich seine Partner nicht aussuchen.
Und jeder hatte eine Chance verdient.

Lawrence + Aleksandra -> Handwerkerviertel, Geschäfte